Polen:Lewandowskis Problem

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Nach dem mühsamen Erfolg gegen ein extrem defensives Nordirland fühlt sich Polen bereit für die ungleich schwierigere Partie gegen Deutschland.

Von Ulrich Hartmann, Nizza

Die meisten Touristen verlassen Nizza voll wunderbarer Erinnerungen. Vielleicht haben sie einen Tag am Meer verbracht oder einen Salat Niçoise unter einem Sonnenschirm in der Altstadt gegessen, vielleicht haben sie das reiche Kulturangebot der Stadt genossen. All dies hat Robert Lewandowski am Sonntag nicht getan. Der 27-jährige Pole hat sich im Stade de Nice am westlichen Ortsrand auf einer städtischen Grünfläche grimmiger Naturburschen namens Craig Cathcart, Gareth McAuley und Jonathan Evans erwehren müssen. Das beinharte Trio bildete die Innenverteidigung einer nordirischen Fünferkette "Das war natürlich nicht so leicht", sagte der Mittelstürmer vom FC Bayern München hinterher mit ein paar Kratzern und einem Lächeln im Gesicht. "Da geht es manchmal auch für mich darum, Platz für meine Mitspieler zu machen." So selbstlos kennt man den Torschützenkönig der Bundesliga eigentlich nicht, aber am Sonntag war es für ihn okay. Immerhin hatte er in der 51. Minute Platz geschaffen, damit sein Mitstürmer Arkadiusz Milik das Tor zum 1:0-Sieg der Polen gegen Nordirland erzielen konnte. Lewandowski selbst ging leer aus. Nizza wird trotz dieses ersten Sieges im siebten EM-Spiel der polnischen Fußballhistorie vermutlich nicht unbedingt seine schönste Erinnerung an diese EM werden, aber am wichtigsten sei doch, sagte er, bevor er das Stadion in die dunkelblaue Dämmerung hinaus verließ, "dass wir das erste Spiel gewonnen haben".

Polen ist also halbwegs bereit für die ungleich schwierigere Partie gegen Deutschland am Donnerstagabend in Saint-Denis nahe Paris. Es geht hier bereits um die Gewissheit über den Achtelfinaleinzug. Für Lewandowski, so unterstellten es ihm in den Katakomben des Stadions von Nizza Journalisten, sei es doch herrlich, nun mit jenen deutschen Abwehrspielern konfrontiert zu werden, die er so gut kenne und besser ausrechnen könne als die Nordiren. "Ja", sagte Lewandowski, "aber das Problem ist: Sie kennen mich auch."

51. Spielminute: Polens Arkadiusz Milik überwindet die dichte Abwehrreihe der Nordiren. (Foto: Ali Haider/dpa)

Für einen der besten Mittelstürmer gibt es nun mal keine Geheimniskrämerei mehr. Die Abwehrspieler dieser Welt analysieren seine Bewegungen und Laufwege - mitunter sogar "forensisch", wie Nordirlands Trainer Michael O'Neill trocken berichtete. "Lewandowski ist für Polen das, was Ibrahimovic für Schweden ist", sagte O'Neill und provozierte mit dieser These freilich Spieler wie Lukasz Piszczek, Jakub Blaszczykowski und Grzegorz Krychowiak, der zum besten Spieler des Spiels ernannt wurde, oder den Ajax-Stürmer Milik, der das Siegtor schoss. Polen auf Lewandowski zu reduzieren, hat den Nordiren kein Glück gebracht, zumal sie im Bemühen, ihn auszuschalten, zunächst völlig vergessen hatten, vielleicht ja auch selbst einen Treffer zu benötigen. Als es für die restlichen 40 Minuten des Spiels 0:1 hieß, fehlte ihnen die Kraft für den Ausgleich.

Die Polen waren mit ihrer Gesamtleistung letztlich nur bedingt zufrieden. "Aber das war ja auch erst der Anfang", sagte Krychowiak, "wir können besser spielen." Der 26-Jährige, der lange in Frankreich gespielt hat und jüngst mit dem FC Sevilla die Europa League gewann, appelliert an das Selbstvertrauen und die fußballerischen Tugenden seiner Mannschart. Man werde beides gegen Deutschland benötigen. "Es wird schwer gegen die Deutschen, wir haben oft gegen sie gespielt und kennen sie gut - wir müssen in der bestmöglichen Stimmung sein, dann können wir drei Punkte holen." Auch Lewandowski ist vorsichtig optimistisch. "Für mich ist Deutschland nicht nur Favorit in diesem Spiel, sondern auch im ganzen Turnier - aber wenn wir ruhig bleiben und keine Angst haben, dann können wir etwas schaffen."

Arkadiusz Milik erzielte das Siegtor gegen Nordirland und bescherte Polen damit den ersten Erfolg im siebten Spiel bei einer Europameisterschaft. (Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

Skeptischer beurteilt Nordirlands Trainer O'Neill die Chancen für jene Polen, aus deren Reihen er Spieler wie Lewandowski oder Krychowiak in den vergangenen Tagen sogar als "Weltklasse" bezeichnet hatte. Sie seien im Ballbesitz stark, aber da sie gegen Deutschland weniger Ballbesitz bekämen, werde es für sie schwieriger, ihr Spiel aufzuziehen. Vielleicht auch deshalb hofft Lewandowski, in der deutschen Abwehr ein bisschen mehr Platz zu finden als gegen die Nordiren. Er hat sich da einiges vorgenommen.

© SZ vom 14.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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