Olympisches Schwimmen:Blindflug in die Geschichte

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Michael Phelps kann selbst eine undichte Brille nicht aufhalten, er ist nun der erfolgreichste Olympionike aller Zeiten. Doch die Rekordhatz bei den Schwimmern erregt weiter Misstrauen.

Thomas Hummel

Um Punkt 11.11 Uhr Peking-Zeit wies die schöne chinesische Hostess Michael Phelps endlich den Weg in die Kabine. Vorher hatte er seine vierte Goldmedaille in China noch hier den Fotografen, noch dort der Haupttribüne zeigen müssen. Bei der Ehrenrunde durch den Water Cube war der US-Amerikaner den Kollegen mit Silber (Laszlo Cseh aus Ungarn) und Bronze (Takeshi Matsuda aus Japan) bereits einige Male enteilt, schließlich hatte Phelps keine Zeit zu verlieren. Das fünfte Gold wartete schon.

"Er ist ein Held. Es gibt keinen Zweifel, dass er der größte Olympionike der Geschichte ist." Michael Phelps. (Foto: Foto: Reuters)

Um 11.15 Uhr war Phelps' nächster Start vorgesehen. Es wurde dann 11.19 Uhr, bis er zusammen mit der 4x200 Meter Freistilstaffel wieder aus der Kabine kam. Um 11.22 Uhr tauchte er wieder ins Wasser. Es dauerte nicht einmal bis 11.29 Uhr, bis er seine nächste Goldmedaille bejubelte, als erste Staffel blieben die Amerikaner unter sieben Minuten und verbesserten den Weltrekord um sage und schreibe mehr als viereinhalb Sekunden.

Michael Phelps, 23 Jahre alter Schimmer, geboren in Baltimore, Maryland, USA, ist jetzt der erfolgreichste Olympionike aller Zeiten. Kein Athlet vor ihm hat elf Goldmedaillen gewonnen, und bei diesen Spielen in Peking sollen ja noch mindestens drei dazukommen. Mustapha Larfaoui, Präsident des Schwimm-Weltverbandes FINA, sagte: "Er ist ein Held. Es gibt keinen Zweifel, dass er der größte Olympionike der Geschichte ist. Wir als Weltverband sind unheimlich stolz auf Michael Phelps. Alle anderen Athleten schauen bewundernd zu ihm auf."

"Nicht schlecht"

Dabei ist die Überlegenheit des Amerikaners so eindrucksvoll, dass ihm selbst schon kaum mehr eine Geste der Freude zu entlocken ist. Nach dem Sieg über 200 Meter Schmetterling tauchte ein misslauniger Phelps aus dem Wasser, Brille und Badekappe warf er fast wütend neben den Startblock. Den Grund für so viel schlechte Laune trotz des insgesamt zehnten Olympiagoldes lieferte er nach: Seine Schwimmbrille war undicht. "Ich konnte auf den letzten 100 Meter nichts mehr sehen, weil sich die Brille mit Wasser gefüllt hat", erklärte Phelps. Trotzdem schwamm er Weltrekord und hängte den Rest ab, wenngleich nicht so dramatisch wie sonst. "Ich wollte zwar unter 1:52 Minuten bleiben, aber unter diesen Umständen war es nicht schlecht."

Das Rennen führte zu spontanen Spekulationen, ob Phelps langsam an Kraft verlieren könnte. Franziska van Almsick kommentierte in der ARD: "Es ist sympathisch, dass er nun ein wenig menschlich wirkt. Er sah so k.o. aus nach dem Rennen. Vorher glaubte man ja, er sei ein Wasserroboter." Sie wusste noch nichts von dem Malheur mit der Brille.

Der NBC-Plan geht auf

Noch drei Goldmedaillen sind für ihn vorgesehen, dann hätte er auch den Rekord von Mark Spitz gebrochen, der in München 1972 als bisher einziger Athlet sieben Mal Gold bei einer Veranstaltung holte. Es scheint, als würde die Rechnung aufgehen, die auch der Fernsehsender NBC aufmachte, als er sich für 890 Millionen Dollar die Senderechte für Peking kaufte. Die Schwimmendläufe finden zur US-Prime-Time statt, 10 Uhr vormittags in Peking. Der Zeitplan wurde außerdem auf Phelps Programm ausgerichtet, die heutige Eile zwischen Siegerehrung und nächstem Endlauf ist eine einmalige Überschneidung.

Während Phelps alles überragt, setzten an diesem Vormittag allerdings auch andere Schwimmer die Hatz nach Bestleistungen fort. Die ersten vier Rennen wurden alle in Weltrekordzeit beendet. Es begann mit einer Bestmarke im Halbfinale über 100 Meter Freistil des Franzosen Alain Bernard (47,20 Sekunden), dessen Zeit im zweiten Halbfinale vom Australier Eamon Sullivan schon wieder unterboten wurde (47,05). Danach schwammen Federica Pellegrini aus Italien (Gold, 1:54,97) und Sara Isakovic aus Slowenien (Silber, 1:54,97) als erste Frauen die 200 Meter unter 1:55 Minuten. Später blieben die Australierin Stephanie Rice und Kirsty Coventry aus Simbabwe unter der bisherigen Weltrekordzeit über 200 Meter Lagen, Rice gewann Gold in 2:08,45 Minuten.

Trend zu Muskelprotzen

Angesichts dieser Leistungen gingen allenthalben die Diskussionen weiter, wie das alles zu erklären sei. Der Schweizer Dominik Meichtry, der im zweiten 100 Meter Freistil Halbfinale Eamon Sullivan hinterherschwamm, führt es vor allem auf die neuen Schwimmanzüge zurück. Die lägen so eng an, würden die Muskelkörper so komprimieren, dass "man viel höher im Wasser liegt", sagte Meichtry.

Außerdem geht der Trend im Schwimmen zu wahren Muskelprotzen, was vor allem der Franzose Bernard eindrucksvoll demonstriert. Bei 1,96 Meter Körperlänge und Muskeln wie ein Bodybuilder ähnelt er einem Türsteher auf St. Pauli. Pieter van den Hoogenband etwa, der bis März 2008 sieben Jahren lang den Weltrekord über 100 Meter Freistil hielt, teilte sich die Rennen ein, um einen guten Endspurt zu haben. Nun schwimmt er sechs Zehntel hinterher. Bernard und Sullivan powern einfach durch.

"Stolz, dabei zu sein"

Woher die Muskelberge kommen, auch darüber spekuliert die Schwimmwelt. Viele glauben an die Einnahme von Dopingmitteln, andere ziehen vor allem die Professionalisierung des Sports in vielen Ländern als Erklärung heran. Kirsty Coventry, die in Peking mit teils enormen Leistungssprüngen für Aufsehen sorgt, findet: "Das Frauenschwimmen explodiert gerade. In ein paar Jahren werden wir stolz sein, dass wir in dieser Phase dabei gewesen sind."

Und Franziska van Almsick? Immerhin hatte sie mit ansehen müssen, wie auf ihrer Spezialdisziplin 200 Meter Freistil in neue Dimensionen geschwommen wurde. Bis März 2007 hielt die Berlinerin hier den Weltrekord mit 1:56,64 Minuten, Pellegrini schwamm nun fast zwei Sekunden schneller. "Gott sei Dank" stehe sie nicht unten am Becken und müsse da mitschwimmen, sagte sie. Doch von Misstrauen keine Spur: "Es macht Spaß, zuzuschauen."

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