Olympisches Hockeyturnier:Sieg im Kinderzimmer

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In einem dramatischen Spiel gegen die Niederlande ziehen die deutschen Hockey-Männer ins Finale ein. Im Pekinger Nieselregen kosteten sie sämtliche Spannungselemente aus.

Thomas Becker, Peking

Von den Hosen ging heute jedenfalls keine Gefahr aus. Team Deutschland trat diesmal im traditionellen Dress an: weißes Hemd, schwarze Hose. Da konnte nichts schief gehen. So wie im Spiel gegen Neuseeland. In roten Hosen liefen die deutschen Hockeyherren da auf, und dummerweise hatten Oliver Korn und Tobias Hauke etwas nicht bedacht: die Bestimmung 7.2 des internationalen Hockeyverbands. Die sieht vor, dass "zusätzliche Kleidung" die selbe Farbe wie das eigentliche Dress haben muss. Was bei Hauke und Korn nicht der Fall war: Die beiden trugen schwarze Radlerhosen unter roter Sporthose - wie sieht das denn aus? Tatsächlich wurde der deutsche Team-Manager Joachim Heimpel wegen dieses üblen Verstoßes gegen den "Code of conduct" von der Bank verbannt und musste von der Tribüne aus das Halbfinale seiner Mannschaft gegen die Niederlande verfolgen.

Das späte 1:1: Philipp Zeller jubelt nach seinem Ausgleichstreffer. (Foto: Foto: Reuters)

Das konnte die deutsche Mannschaft allerdings nicht aufhalten. In einem dramatischen Siebenmeter-Schießen gewann sie 4:3, nachdem es zuvor 1:1 geheißen hatte. Spieler Moritz Fürste sagte anschließend: "Wir hatten die Holländer so gut im Griff wie seit vier Jahren nicht mehr. Jetzt kommt das geilste Spiel überhaupt. Ich bin so heiß. Wir werden da ein Feuerwerk abbrennen. Das kann ich versprechen."

Heimpels Aufgabe übernahm der Hockey-Delegationsleiter Rainer Nittel. Der hatte am Abend zuvor schon eine kalte Dusche abbekommen. Nach der 2:3-Niederlage der Damen gegen China stand Nittel ahnungslos am Spielfeldrand, als plötzlich ein Meter neben ihm der Rasensprenger anging und Nittel voll erwischte. Nittel nahm's locker, duschen könnte man in der drückenden Hitze hier ja sowieso ständig.

Flutlicht am hellen Tag

Den Niederländern, die ihr viertes olympisches Finale in Folge erreichen wollten, waren die Deutschen zuletzt bei der jüngsten Champions Trophy 1:2 unterlegen. Das Team von Trainer Markus Weise hatte dort nur den enttäuschenden fünften Platz belegt. Auch im Olympia-Halbfinale vor vier Jahren in Athen hatten die Oranjes die Deutschen besiegt. Überhaupt sieht die deutsche Bilanz gegen den Nachbarn bei großen Turnieren gar nicht gut aus: sechs Siege, 14 Niederlagen. Und kurz vor dem Anpfiff hatte der DJ im Stadion auch noch "Viva Hollandria" gespielt - zu einer Melodie, die einst vom Kölner Raum aus Verbreitung fand. Mehr als genügend Motivation für die Hockey-Herren, nebenbei noch die letzte deutsche Mannschaft mit einer Chance auf Gold.

Im Pekinger Nieselregen war die erste Halbzeit allerdings zunächst ähnlich trüb wie die Witterung im Norden der Hauptstadt. Der Smog war wieder einmal so stark, dass schon am Mittag das Flutlicht eingeschaltet werden musste. Null Torchancen auf beiden Seiten, bis der holländische Top-Torschütze Teun de Nooijer, der bereits seine vierten olympischen Spiele bestreitet, in der 30. Minute aus spitzem Winkel knapp am deutschen Tor vorbei schoss. Drei Minuten später bot sich auf der Gegenseite Florian Keller die Chance zum Führungstreffer, doch der 26-jährige vergab nach guter Vorarbeit von Tibor Weissenborn.

Durchgang zwei schloss an die aufregende Schlussphase von Hälfte eins an. Zunächst verpasste Christoph Zeller eine gute Möglichkeit, kurz darauf scheiterte Bruder Philipp am gegnerischen Keeper. Florian Keller landete kurz darauf einen Volltreffer: Sein Schuss aus kurzer Distanz landete mit voller Wucht im Kehlkopfschutz des niederländischen Torhüters. Das deutsche Team bestimmte nun die Partie, auch verbal. In einer kurzen Spielunterbrechung schrie Moritz Fürste über den Platz: "Auf, Jungs! Wir wollen ins Finale! Kommt!"

Schock kurz vor Schluss

Doch in Minute 53 war es so weit: die erste Strafecke für die Niederlande, ihre Spezialität. Bereits zehn Scorerpunkte hatte Taeke Taekema bei diesem Turnier bereits auf dem Konto - doppelt so viel wie der nächstbeste Schütze. Doch sein Schuss blieb diesmal an einem deutschen Schienbeinschoner hängen. Keeper Max Weinhold riss jubelnd die Arme hoch.

Fünf Minuten vor Schluss dann die zweite Chance für den Ecken-Spezialisten Taekema: Und dieses Mal klappte es. Taekama zog ab, allerdings nicht Richtung Tor, sondern zum Kollegen Timme Hyong, der den Schläger hinhielt - und traf. 1:0 für die Niederlande. Fast im Gegenzug vergab Christopher Zeller nach der ersten deutschen Strafecke die Chance zum Ausgleich. Doch zwei Minuten später traf dafür Bruder Philipp zum verdienten 1:1. Was für eine bewegte Schlussphase! Kurz darauf pfiff der Schiedsrichter ab: Verlängerung, Golden Goal.

In diesen zwei Mal siebeneinhalb Minuten Verlängerung hatte Timo Wess dann die Entscheidung auf dem Schläger, doch sein Schuss landete am Pfosten - Deutschland hätte im Finale gestanden. Es kam schließlich zum Siebenmeterschießen. Schulterklopfer für die beiden Keeper von ihren Mannschaftskameraden. Max Weinhold ging mit 15 Zentimeter Körpergröße mehr als sein niederländischer Kollege ins Rennen - und gewann schließlich. Erst nach dem siebten Schützen stand die Entscheidung fest: Ausgerechnet der erfolgreichste Torschütze des bisherigen Turniers, Taeke Taekema, scheiterte an Weinhold, und danach glich das Spielfeld einem Kinderzimmer: Alle Spielwerkzeuge flogen wild durch die Gegend, die Jungs besprangen sich gegenseitig, lagen übereinander, und niemand weit und breit dachte ans Aufräumen. Deutschlands Hockeymänner stehen im olympischen Finale. Bis dahin werden Schläger und Schoner wieder eingesammelt sein.

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