Olympische Spiele 2008:Unter falscher Flagge

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Die Olympiamannschaft Taiwans wird in Peking hinter veränderten Nationalsymbolen versteckt.

Ronny Blaschke

Lee Chih-Te fühlt sich beobachtet, aber er will sich das nicht anmerken lassen. Während seine Finger über die Tastatur seines Laptops gleiten, wandert sein Blick über die Pressetribüne des Sportzentrums Wukesong. Er glaubt, dass einige der freundlich lächelnden Helfer, die in ihren blauen Sporthemden so harmlos wirken, ein Auge auf ihn werfen. Lee Chih-Te lebt auf der Insel Taiwan, die von den Machthabern Chinas nicht als eigenständiger Staat, sondern als abtrünnige Provinz betrachtet wird. Der Journalist gilt als potentieller Störenfried. "Das ist für mich nichts Neues", sagt er.

Da der Name Taiwan in China unaussprechlich ist, steht auf den Trikots der Sportler meist TPE. (Foto: Foto: dpa)

Seine Zeitung, United Daily News, hat am Dienstag gemeldet, dass sich Reisende aus Taiwan in Peking auf politische Proteste vorbereiten. Die chinesische Ein-Partei-Diktatur fürchtet sich davor, Misstöne würden einen Jahrzehnte alten Konflikt, der in Europa oder Amerika nicht jedem bekannt ist, wieder zu einem weltweiten Thema machen. Lee Chih-Te sagt: "Ich hätte nichts dagegen."

Der Reporter zeigt mit dem Zeigefinger auf die Tribüne nebenan. Etwa 2000 Zuschauer jubeln nach jedem gelungenen Wurf ihres taiwanesischen Baseballteams gegen die Niederlande. Wie viele tatsächlich auf der Insel geboren wurden, kann er nicht abschätzen, sie dürfen sich ohnehin nicht zu erkennen geben. Die Olympiamannschaft Taiwans wird offiziell als Chinese Taipei bezeichnet, sie tritt mit einer eigens entworfenen Flagge und einer eigens komponierten Hymne an. Originale sind streng verboten. "Wenn ich die richtige Flagge zeigen würde, würde ich im Gefängnis landen", sagt Lee Chih-Te. "Das ist traurig, aber wir haben uns daran gewöhnt."

"Die Unterdrückung ist historisch gewachsen"

Die Spiele von Peking gelten als die politischsten der Geschichte. Kaum eine Nation kann das so sicher beurteilen wie Taiwan. "Die Unterdrückung ist historisch gewachsen", erzählt Lee Chih-Te. Ursache für den Konflikt war das Ende des chinesischen Bürgerkrieges 1949. Während Mao in Peking die Volksrepublik ausrief, flüchteten die unterlegenen Nationalisten auf die Insel im westlichen Pazifik. Taiwan nannte sich Republik China, was Pekings Politiker extrem provozierte. In den fünfziger Jahren wurde der Streit oft militärisch ausgetragen, auch im Sport standen die Zeichen auf Konfrontation.

Vor den Spielen 1952 in Helsinki eskalierte der Konflikt zwischen Kommunisten und Nationalisten, zwischen Diktatur und Demokratie. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) gewährte beiden Staaten eine Teilnahme, doch Taiwan zog zurück. Vier Jahre später in Melbourne hissten die Organisatoren für Taiwan die Flagge der Volksrepublik. Die Sportler rissen sie herunter, daraufhin waren Pekings Vertreter so wütend, dass sie den Spielen auf Jahre fernblieben.

Im Zuge der wachsenden Macht Chinas wurde Taiwan in den siebziger Jahre aus vielen internationalen Vereinigungen ausgeschlossen. Die Vereinten Nationen (UN) und die meisten ihrer Mitglieder erkannten eine Souveränität der Republik China nicht an, in Europa unterhält einzig der Vatikan diplomatische Beziehungen zu Taiwan, wo 23 Millionen Menschen leben. Aus diesem Grund benannte das IOC das Nationale Olympische Komitee Taiwans 1979 in das NOK von Chinese Taipei um, orientiert an der Hauptstadt Taiwans. Seit Olympia 1984 treten taiwanesische Sportler unter diesem Fantasienamen an. Das ist so, als hätten Athleten der DDR früher unter dem Mantel des "Deutschen Berlin" Sport getrieben. Viele Organisationen haben die Bezeichnung des IOC übernommen, um Peking nicht zu verärgern.

Annäherung hat wirtschaftliche Gründe

Lee Chih-Te will sich nicht beschweren. Die Volksrepublik China und die Republik China nähern sich seit Jahren wieder an, das hat vor allem wirtschaftliche Gründe. Touristen können aus dem Festland wieder direkt nach Taipei fliegen. Im Sportzentrum Wukesong sitzt ein halbes Dutzend taiwanesischer Politiker, sie springen auf, klatschen, wedeln mit ihren Mützen. Niemand hindert sie daran. Doch den offiziellen Titel ihrer Heimat dürfen sie öffentlich nicht kundtun.

Nach der Vergabe der Spiele 2001 spotteten Funktionäre in Taipei, dass Peking fortan kaum Zeit bleiben werde, um Taiwan zurück zu erobern. Groß scheint das Vertrauen noch immer nicht zu sein. Vor vier Jahren, während der Athener Spiele, verbannte der Fernsehsender Taiwan Television den Namen Chinese Taipei aus der Berichterstattung, weitere Stationen folgten dem Beispiel. Auch Lee Chih-Te schreibt in den United Daily News über Taiwan und die Republik China.

"Taiwan sehnt sich nach Anerkennung", sagt Lee Chih-Te. Deshalb werden Chu Mu-Yen und Chen Shih-Hsin wie Götter verehrt. Die Taekwondo-Kämpfer gewannen 2004 die ersten Goldmedaillen für ihr Land. In nicht allzu ferner Zeit möchte Taipei selbst die Olympische Sommerspiele austragen. In Kaohsiung, der zweitgrößten Stadt Taiwans, finden im kommenden Jahr immerhin die World Games statt, die Spiele der nicht-olympischen Sportarten. Seit langem werben die Politiker dafür, manchmal zu sehr. Der Bürgermeister hatte im Ausland aus Versehen über Taiwan gesprochen, er wurde zu einer Entschuldigung gedrängt.

© SZ vom 14.08.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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