Olympische Spiele in Peking:Namen mit Nachhall

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Alberto Contador, Carlos Sastre, Cadel Evans, Paolo Bettini und Stefan Schumacher: Das Straßenrennen der Radprofis ist ein Stelldichein von verdächtigen Fahrern.

Thomas Kistner

Die Stimme des Radiomannes vom spanischen Sender Cadena Ser dröhnte vor Empörung. "Herr Rogge", fuhr er den IOC-Präsidenten an, "das spanische Radteam musste hier bereits acht Dopingkontrollen in zwei Tagen absolvieren. Stehen unsere Fahrer in Peking unter einem besonderen Verdacht?" - "Klar", entgegnete Rogge, "schon mal was von Fuentes gehört? Ist euer berüchtigter Blutdoktor in Madrid. Oder von der Operacion Puerto? Betrifft mehr als 50 Radprofis, wurde aber von der Justiz in Spanien niedergeschlagen. Oder von den 200 Blutbeuteln, die dort liegen, und keiner geht mit DNA-Tests ran und..." Nein, stopp, das hat Rogge nicht gesagt. Er sagte: "Wir machen hier 4500 Dopingtests, das trifft eben viele Athleten."

Stefan Schumacher: "Keine Zeit zur Erholung." (Foto: Foto: dpa)

Das Dauerproblem Radsport ist sehr ärgerlich für den belgischen Arzt, der sich als Aufklärer profilierte an der IOC-Spitze und in Salt Lake 2002 und Athen 2004 sogar Zielkontrollen verfügt hatte, denen A-Prominenz wie der Dreifach-Sieger im Langlauf, Johann Mühlegg, oder das griechische Motorradunfall-Doppel Kenteris/Thanou zum Opfer fielen. Andererseits ist Rogge Enkel eines Radprofis, und IOC-Vize Hein Verbruggen einer seiner Vertrauten. Der Holländer gilt als Godfather des vom mafiösen Schweigeritual geprägten Radsports, dessen Weltverband UCI er viele Jahre führte, und zwar tief in den Dopingsumpf.

Natürlich steht der Radsport hier unter scharfer Beobachtung, der spanische im Besonderen. Neben Tour-Sieger Carlos Sastre ist ja auch Vorgänger Alberto Contador dabei, der bei der Tour 2008 mit seinem von Betrugsfällen erschütterten Astana-Team nicht starten durfte. Unerwünscht ist der Profi, dessen Initialen auf der Kundenliste des Doktor Fuentes prangen, gewiss auch bei Rogge.

Aber konkrete Handhabe gibt es nicht - nur Dopingtests mit ihrer beschränkten Effektivität, die auch bei der Tour 2008 zum Vorschein trat. Dort wurde zwar der Fund des Blutverdickers Cera aus der neuen dritten Epo-Generation als Riesencoup gefeiert, indessen wundert sich der erwischte Italiener Riccardo Ricco, dass er bei diversen Tour-Tests zuvor nicht aufgeflogen war.

Und Teamgefährte Piepoli, der im ersten Schrecken über Riccos Entlarvung selbst Cera-Doping eingestand, dürfte sich längst sonstwohin beißen: Von ihm liegt gar kein Positivtest vor. Zwar teilte jetzt die französische Anti-Dopingagentur AFLD einen fünften Befund für die Tour mit, doch der wird kaum Piepoli zuzurechnen sein, es geht um Corticoide. Addiert man den Selbstanzeiger hinzu, förderte die 95. Tour im Juli sechs Doper zutage, doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Die TV-Sender sehen darin einen Umschwung: zum Besseren.

Das Wetter als Hauptkonkurrent

Der Spätbefund zur Tour schuf im deutschen Rad-Tross keine Unruhe. Stefan Schumacher war schon am Nachmittag im Bilde, Stunden zuvor hatte auch er die bereits zweite Dopingkontrolle in Peking absolvieren müssen. "Ich bin nicht euphorisch, habe viel Respekt vor diesem Kurs", sagte der Schwabe, der als zweimaliger Tour-Etappensieger zu den raren deutschen Gold-Kandidaten zählt. Er selbst wäre zufrieden, wenn es "irgendeine Medaille gibt aus den zwei Wettbewerben hier", wobei er das Straßenrennen am Samstag als Fahrt ins "Unbekannte" sieht.

Die 248 Kilometer lange Strecke wird in der Tat als bislang härteste Herausforderung bei Olympia gehandelt, sie schlängelt sich erst durch die Sehenswürdigkeiten der Stadt, aus dem antiken Viertel von Yongdingmen vorbei an Himmelstempel, Tiananmen-Platz und Verbotener Stadt, dann jagt das Peloton über die Schnellstraße, 80 Kilometer flaches Gelände, bis zur Großen Mauer, wo man einen kleineren Gang wählen muss, eine 24Kilometer lange Schleife führt durchs Hügelland ("kein Alpenpass", so Schumacher, "aber auch keine Zeit zur Erholung"), siebenmal muss dieses Profil gemeistert werden, dann endet das Rennen beim Südtor der Mauer.

Das Wetter wird der Hauptkonkurrent für alle Medaillenkandidaten sein, zu denen neben den Spaniern Contador, Sastre, Valverde und Freire der Australier Cadel Evans und Paolo Bettini (Italien) zählen.

Alles Namen mit dunklem Nachhall, aber der gilt hier schon als guter Ton. Auch Schumacher, selbst wiederholt auffällig, sagt, dass er sauber sei, mit der Vergangenheit müsse er halt leben, "sie ist Teil meiner Vita". Doch sie ist mehr, diese kollektive Vergangenheit: eine Hypothek. Die Helden der Spiele von Sydney und Athen sind fast durchweg enttarnt, von Tyler Hamilton, Alexander Winokurow und Gonzalez de Galdeano bis zu den mutmaßlichen Fuentes-Kunden Jan Ullrich und Santiago Botero. Aber ruhig Blut: Weil weitgehend offen ist, wem die 200 Plasmabeutel im Fuentes-Archiv der Guardia Civil gehören, deutet wenig darauf hin, dass die olympische Radsporttradition der späten Medaillenumverteilung nach Peking ein Ende hat.

Dort wartet noch eine zweite Last für alle, Schumacher drückte es so aus: "Klima und Smog sind hier echt am Limit." Vier US-Radler hatten sich besonders gut darauf vorbereitet, sie trugen schon bei der Landung in Peking Mund- und Nasenschutz. So schlenderten sie in den Flughafen, ins Blitzlichtgewitter der Fotografen - tags darauf war eine Entschuldigung des US-Olympiakomitees USOC fällig bei der Veranstalter-Organisation Bocog: Der kleine Maskenball habe mitnichten eine Haltung zu Fragen der Politik oder Umwelt wiedergeben, sagten die Funktionäre. Die Athleten hatten einfach vergessen, das Zeug im Flughafen abzunehmen. Entwarnung, zur Grundausstattung für Radprofis zählt der Gesichtsschutz noch nicht.

© SZ vom 9.8..2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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