Olympische Spiele in Peking:Der Perfekte macht einen Fehler

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Die deutschen Turner beenden das Finale auf Platz vier - auch weil Fabian Hambüchen am Reck patzt. Bei Olympiasieger China macht es nur zack, zack, zack.

Jürgen Schmieder

Es war dieser Moment, in dem selbst der chinesischen Hostess die Gesichtszüge entglitten. Gewöhnlich sitzen diese Mädchen mit an beiden Ohren festgetackertem Lächeln auf der Bank, nun aber versteckte sie ihren Mund hinter dem Plakat, auf dem "Germany" stand, ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie hatte etwas gesehen, von dem man glaubte, dass man es bei diesen Olympischen Spielen, ja vielleicht niemals sehen würde: ein Fehler von Fabian Hambüchen am Reck.

Fabian Hambüchen am Reck: ein Mal danebengegriffen. (Foto: Foto: dpa)

Beim leichten Element Markelow/Rybalko hatte der deutsche Turner danebengegriffen, seine linke Hand war an der Stange vorbeigerutscht, er konnte sich nicht mehr halten und fiel nach unten. Hambüchen ärgerte sich nicht, er klatschte nur in die Hände, zwinkerte der erschrockenen Hostess zu - und wiederholte die Übung fehlerfrei. Freilich musste er einen Punktabzug hinnehmen. "Ich habe einfach nur vorbeigegriffen", sagte Hambüchen nach dem Wettkampf. "Wir haben als Mannschaft drei Fehler gemacht, das ist einfach menschlich."

"Wir müssen auf Angriff turnen", hatte Bundestrainer Andreas Hirsch vor dem Wettkampf gesagt. "Aber man darf keinen Fehler machen, weil jede Übung zählt. Nur wenn wir unsere Möglichkeiten voll ausschöpfen können, werden wir vorne mitmischen." Am Ende gab es nach den Fehlern der deutschen Turner (274,600 Gesamtpunkte) ein paar Abzüge zu viel, um die erhoffte Medaille zu erreichen. Marcel Nguyen etwa patzte am Barren, als er nach einem Doppelsalto abrutschte. Philipp Boy setzte sich nach der Landung beim Sprung auf den Hosenboden. "Ich weiß, dass ich es eigentlich besser kann, deshalb ist das schon ärgerlich", sagte Nguyen nach dem Wettbewerb. Sein Trainer sagte: "Dennoch überwiegt die Freude, es war ein toller Kampf der Mannschaft."

Fehlerfrei blieben dagegen die chinesischen Turner (286,125 Punkte), die sich mit deutlichem Vorsprung die Goldmedaille vor Japan (278,875 Punkte) holten. Es war eine perfekte Inszenierung - nicht nur während der Übungen. Chen Yibing etwa schaffte an den Ringen eine unfassliche Wertung von 16,575 Punkten. Er jubelte kurz, dann klatschte er mit seinen Kollegen ab. Zack. Zack. Zack. Nach dem Rhythmus des Klatschens hätte man ein Metronom justieren können. Ein kurzer Ausrutscher von Xiao Qin am Sprung war schon der einzige Makel, den sich die Chinesen erlaubten.

Die Entscheidung um die Plätze hinter den Olympiasiegern fiel erst am letzten Gerät, was vor allem daran lag, dass sich zahlreiche Turner Fehler leisteten. 18.000 Zuschauer im Nationalen Hallenstadion jubelten bei jeder Aktion der chinesischen Turner, bei jeder Wertungsanzeige und bei jeder kleinen Geste der Akteure - was die Konzentration der anderen Athleten bisweilen erheblich störte. So zeigten die amerikanischen Turner, die zuvor überraschend stark agierten, am Pauschenpferd Nerven und gaben die sicher geglaubte Silbermedaille noch an die japanische Mannschaft ab.

Für einen Moment hatte es gar den Anschein, als könnte sich die deutsche Mannschaft noch auf den dritten Platz verbessern. Nach der Pauschenpferd-Übung von Thomas Andergassen leuchtete hinter der deutschen Fahne eine "3" auf. Andreas Hirsch und Fabian Hambüchen lagen sich schon in den Armen, dann sahen sie nochmal hinauf zur Anzeigetafel - die Wertung der chinesischen Turner am Reck war noch nicht eingetragen. Als das nachgeholt wurde, rutschte die deutsche Mannschaft auf Platz vier.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich auch Hambüchen von dem Schock erholt, ausgerechnet an seinem Paradegerät danebengegriffen zu haben. Am Boden zeigte er eine bemerkenswerte Vorstellung und schaffte 15,875. "Wir können stolz auf unsere Leistung sein, deshalb freuen wir uns auch", sagte Hambüchen. Dann umarmte er seine Kollegen. Im Hintergrund stand das Mädchen mit dem Deutschland-Pappschild. Es lachte wieder.

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