Olympische Spiele:"Ein Verrückter"

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Ankie Spitzer, Ehefrau eines Opfers von 1972, zu Arnd Krügers Thesen. Dieser hatte im Juni behauptet, die israelischen Athleten seien freiwillig in den Tod gegangen

Michael Barsuhn

Mit großer Verwunderung und Empörung reagieren auch die Angehörigen der Opfer des Olympia-Attentats von 1972 auf Arnd Krügers Thesen. Der Direktor des Sportwissenschaftlichen Instituts der Universität Göttingen, hatte im Juni behauptet, die israelischen Athleten hätten von den Anschlagsplänen gewusst und seien freiwillig in den Tod gegangen. Obwohl Krüger keine Belege präsentierte, sieht die Uni Göttingen ihre Richtlinien wissenschaftlicher Praxis nicht verletzt. Ankie Spitzer, Ehefrau des ermordeten Fechttrainers Andre Spitzer, setzt sich seit Jahren für das Gedenken an die Opfer von München ein.

Ankie Spitzer, Ehefrau des ermordeten Fechttrainers Andre Spitzer, bei einer Gedenkrede 1997 in München. (Foto: Foto: AP)

SZ: Frau Spitzer, im Hochschulsportmagazin der Uni Göttingen hatte Arnd Krüger seine These vom Opfergang der israelischen Sportler schon Monate vor der Konferenz öffentlich gemacht. Krüger wird dort mit folgenden Worten zitiert: "Als die Attentäter in das Olympische Dorf eindrangen, flüchtete einer der Geher als Letzter über den Balkon. Er hatte zentimeterdicke Brillengläser, das heißt, er war praktisch blind ohne Brille. Und wenn jemand wir er flüchten konnte, hätte jeder flüchten können, aber die anderen wollten nicht. Sie hatten sich freiwillig gemeldet und wussten, dass die Palästinenser kommen würden." Wie kommentieren Sie das?

Spitzer: Mir gefriert das Blut in den Adern. Ich bin verletzt und zornig, dass es jemanden in Deutschland gibt, der so etwas behauptet. Warum spricht Krüger nicht mit dem damaligen Innenminister Hans-Dietrich Genscher. Er suchte die Geiseln auf und sagte, dass er die Angst in ihren Augen gesehen hat und die Hoffnung, dass jemand sie retten würde. Krügers Behauptung ist gefährlich und bösartig, die Aussage eines Verrückten. Sie hatten keine Chance zu entkommen. Glauben Sie wirklich, mein 27 Jahre alter Mann, der ein einmonatiges Kind hatte, hätte sich für irgendetwas geopfert, für ein Land, eine Idee - auf keinen Fall.

SZ: Wie war die Stimmung im Olympischen Dorf? Gab es so etwas wie Angst vor einem möglichen Anschlag?

Spitzer: Überhaupt nicht. Den Athleten wurde nur gesagt, dass sie nicht mit ihren Trainingsanzügen mit der Aufschrift Israel herumlaufen sollten. Das waren die einzigen Vorkehrungen.

SZ: Die von Arnd Krüger als einzige Zeitzeugin zitierte israelische Leichtathletin Hana Shezifi sagte dem Deutschlandfunk, sie habe nie mit Krüger über dieses Thema gesprochen. Sie habe auch nie behauptet, wie Krüger sagt, aus Angst vor einer terroristischen Attacke aus dem Olympischen Dorf ausgezogen zu sein. Krüger gab später mangelhafte Recherche zu. Er hatte behauptet: "Von den männlichen Mitgliedern des israelischen Teams waren nur Geheimdienstler, Reserveoffiziere und Freiwillige da, außer der Ringer Moshe Weinberg." Zwei Wochen nach der Konferenz räumte Krüger ein: "Ich muss sagen, dafür habe ich keinen Beleg."

Spitzer: Krüger hat keinen einzigen Beweis für seine Behauptungen. Der Ringer Mark Slawin war 18 Jahre alt und zu jung, um in der Armee zu sein. Mein Mann hatte nur zwei Jahre in der Armee gedient. Er war kein Offizier oder Geheimdienstler. Im gesamten Team war kein Offizier oder Mitarbeiter des Geheimdienstes. Ich weiß nicht, woher Herr Krüger seine Informationen hat. Ich habe einige seiner Interviews gelesen. Dort behauptet er, dass der Ringer Moshe Weinberg am Vorabend des Attentats von einem Familienbesuch aus Amsterdam zurückgekehrt sei. Das war nicht Weinberg, sondern mein Mann. Ich komme aus Holland und war mit Andre in Amsterdam, weil unsere Tochter dort im Krankenhaus lag. Am Vorabend des Attentats kehrte Andre ins Olympische Dorf zurück. Ich habe mit ihm noch kurz vor Mitternacht telefoniert und er sagte, er gehe gleich schlafen. Die anderen seien im Theater, und er würde morgen noch mal anrufen, um abzusprechen, wann wir uns nach den Spielen am Flughafen treffen. Niemand rechnete damit, dass etwas passieren würde.

SZ: Eine vom Präsidium der Universität Göttingen eingesetzte Untersuchungskommission sollte prüfen, ob Krüger die "guten Richtlinien des wissenschaftlichen Arbeitens" verletzt hat. Krüger wurde diese Woche frei gesprochen.

Spitzer: Die Universität Göttingen sollte sich schämen. Sie bezeichnen sich als Eliteuniversität, und deswegen passt ihnen diese Angelegenheit nicht. Sie wollen alles unter den Teppich kehren und eine Auseinandersetzung vermeiden, aber es wird zur Konfrontation kommen. Ich möchte, dass die Universität Göttingen weiß, dass wir, die Angehörigen der Opfer, es nicht zulassen werden, dass ein Verrückter sich in der internationalen Presse über die vermeintlichen Absichten und Motive der ermordeten Athleten auslässt. Die israelischen Athleten fuhren nach München, um an einem sportlichen Fest der Liebe, Brüderlichkeit und des Friedens teilzunehmen, und sie kamen alle in einem Sarg zurück.

SZ: Sie haben mit Angehörigen und Freunden anderer Opfer gesprochen. Was sind deren Empfindungen?

Spitzer: Wir, die Angehörigen der Opfer von München, betrachten die Aussagen von Arnd Krüger nicht als einen normalen Vorgang. Wir sind sehr verletzt und zornig. Wir werden mit Sicherheit gegen diese Verleumdung gerichtlich vorgehen.

© SZ vom 01.08.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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