Olympia:Zu klein für Gigantismus

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Sportstätten, die sich natürlich in die Landschaft einfügen: Die Eislaufhalle in Hamar steht stellvertretend für die denkwürdigen Schauplätze von 1994. (Foto: Camera 4/Imago)

Inspiriert von den Jugendspielen reift in Lillehammer die Idee, das ganz große Winter-Spektakel zurückzuholen.

Von Thomas Hahn, Lillehammer

Der Kronprinz wollte kein Dessert, deshalb sei er nun doch pünktlich, sagt Espen Granberg Johnsen, Bürgermeister von Lillehammer. Er sagt es in diesem typisch norwegischen Umgangston, der freundlich ist, aber auch einen großen Stolz aufs kleine Königreich anklingen lässt. Dann setzt sich Johnsen im Rathaus in einen Konferenzraum und nimmt zufrieden die Komplimente für die Organisation der Olympischen Jugendspiele entgegen. Er weiß, dass sie berechtigt sind. Und bald lenkt er das Gespräch auf den strategischen Vorteil, den es bringt, das Internationale Olympische Komitee in der Stadt zu haben. "Gute Verbindungen zum IOC sind immer nützlich", sagt Johnsen: "Man könnte also sagen, dass die Jugendspiele für uns eine Investition in die Zukunft sind."

Bis heute schwärmen Zeugen von den herrlichen Tagen anno 1994

Lillehammer ist die modernste Olympia-Stadt aus einer anderen Zeit. Hier im Gudbrandsdalen, Provinz Oppland, haben vor 22 Jahren die vorerst letzten Winterspiele stattgefunden, die praktisch unbelastet waren von Gigantismus-Vorwürfen oder Umweltschützer-Kritik. Auch die Norweger haben einst um den Preis des Ereignisses und die notwendigen Neubauten diskutiert, ehe im Februar 1994 an den Lysgaardsbakken das Olympische Feuer brannte. Aber dann waren die Spiele da und entfalteten eine besondere Kraft. Die Winternation Norwegen zeigte der Welt, wie man dem Frost mit Herzenswärme begegnet. Bis heute schwärmen Zeitzeugen von den herrlichen Tagen am Mjösa-See.

Lillehammer gibt in diesen Tagen sein Spiele-Comeback, allerdings eben nur mit der Miniatur-Ausgabe Olympias, den Jugendspielen für 15- bis 18-Jährige. Das ist ein schöner Anlass, um wieder mal durch die norwegische Winterlandschaft zu streifen, in die sich die Sportstätten einfügen, als gehörten sie ganz natürlich dazu. Zum Birkebeiner-Stadion im Wald. Zu den Lysgaards-Schanzen am Hang. Zur Eisschnelllauf-Halle in Hamar, die aussieht wie ein umgedrehtes Wikingerschiff. Oder zur Felsenhalle, welche die Norweger einst in den Berg von Gjövik geschlagen haben.

Man kann diese Landschaft in Gedanken mit den pompösen Anlagen von Sotschi vergleichen, welche die Russen für Olympia 2014 in die Natur klotzten. Und man kann sich klar machen, wie riesig die Winterspiele geworden sind, seit sie in Lillehammer Station gemacht haben. 1994 gab es 61 Entscheidungen mit 1739 Aktiven. 2014 waren es 98 mit 2861 Aktiven.

Trotzdem gibt es in Lillehammer eine Sehnsucht, die großen Spiele zurückzuholen, und der Bürgermeister Johnsen, 39, versteckt sie nicht. Dass Norwegens Regierung 2014 den Olympia-Versuch der Hauptstadt stoppte, bremst ihn nicht. "Die Bewerbung für 2022 war Oslo mit Lillehammer. Ich denke, wir sollten das umdrehen", sagt Johnsen. Letztlich müssten Regierung und Nationales Olympisches Komitee entscheiden. "Aber wenn Sie mich fragen: Wir sollten uns für 2026 bewerben."

"Wir überschätzen uns", ruft Wolfgang Müller in seinem Wohnzimmer unweit der Schanzen. Ausgerechnet er ist skeptisch, der Deutsche, ohne den der olympische Geist wohl nie ins Gudbrandsdalen gekommen wäre. Müller, 71, gebürtiger Essener, seit 1968 in Lillehammer, war hier einst Geschäftsführer einer Hotelkette. Urlauber ins Land zu holen, war sein Job, und dafür brauchte er "eine Megasache". Olympia in Lillehammer war seine Idee, und als der Zuschlag da war, bekam die Kleinstadt das, was sie bis heute trägt: Straßen, Sportstätten, die Hochschule. "Wir hatten ja damals nur Stein und Wald hier", sagt Müller.

Aber die neue Infrastruktur hat Lillehammer nicht zur Metropole gemacht. Seit 1994 ist die Stadt um 5000 Menschen gewachsen, sie hat 27 000 Einwohner. Lillehammer ist immer noch beschaulich, es ist nicht so gewachsen, wie Olympia gewachsen ist. Spiele und Ort haben sich auseinandergelebt. Bei aller Liebe zu seiner Wahlheimat sagt Müller: "Wir sind zu klein dafür."

Die vergangenen 22 Jahre sind eigentlich gut gelaufen für Lillehammer. Die Stadt profitiert vom Olympia-Image, und die Sportstätten haben sich nicht in weiße Elefanten verwandelt. Sie beherbergen regelmäßig Weltcups und andere Sportereignisse, lokale wie internationale. Lillehammer ist ein beliebter Trainingsstandort und Sitz eines Sportinternats. Sogar die Bobbahn steht ordentlich da, weil die Betreibergesellschaft sie als Touristen-Attraktion vermarktet, als Spielfeld für Paintball-Freunde und extravaganten Versammlungsort für Firmengruppen. Und die Jugendspiele passen prächtig in die gepflegten Kulissen von einst. Sie sind nicht einmal ein Finanzrisiko für die Kommune, weil die Regierung das meiste bezahlt. Laut Johnsen kosten die Spiele den Gastgeber 300 Millionen Kronen (30 Millionen Euro), 108 Millionen davon habe das IOC beigesteuert und damit den einzigen großen Neubau für die Jugendspiele mitfinanziert: das Athletendorf, das nach den Spielen ein Studentenwohnheim wird.

Der Bürgermeister weiß, dass seine Stadt einen Partner bräuchte

Aber der Kampf um die Finanzierung der früheren Olympiastätten geht weiter. Wahrscheinlich hat es auch damit zu tun, dass die großen Spiele zurückkehren sollen. Mit Vernunft schienen die Norweger in Lillehammer ihre Zukunft zu planen. Und jetzt? Groß-Olympia? Spinnen die?

Der Bürgermeister Johnsen will nicht den Eindruck erwecken, als sei er vom Größenwahn befallen. Er weiß schon, Winter-Olympia ist größer heute. Lillehammer bräuchte dafür eine andere Stadt als Partner. Und Johnsen verweist auf die Agenda 2020 des IOC, wonach auch kleine Städte eine Chance hätten. Aber seine Ansage nimmt er nicht zurück. Lillehammer traut sich was. "Wir sind bereit, wenn es der Rest von Norwegen ist."

© SZ vom 19.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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