Olympia 2024:Sensible Stelle

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Endspurt für das Hamburger Olympia-Referendum - an der Ruderstrecke zeigt sich, wie knifflig die Sportstätten-Suche ist.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Vom S-Bahnhof Allermöhe aus ist es doch ein etwas längerer Spaziergang bis zur Ruderstrecke des Hamburger Olympia-Traums. Aber einer, auf dem man einen sehr guten Eindruck davon bekommt, wie die Stadt ins Schwemmland der Elbe hineingewachsen ist. Der Weg führt aus den ordentlichen Klinkerbau-Formationen der Siedlung Neuallermöhe hinaus zum Deich. Rechter Hand erstreckt sich die struppige Marsch, links schaut man durch Buschwerk und niedrige Bäume die Anhöhe hinauf. Dahinter verläuft die rauschende Autobahn. Bald mündet der Weg in einer Unterführung , und wenig später ist man da: im Landesleistungszentrum für Rudern und Kanu am Ufer der Dove-Elbe. An einem Ort zwischen Natur und Kunstwelt, der im Grunde perfekt ist für ein olympisches Erlebnis. Oder?

Die ganze Nation blickt am Sonntag auf die Wahlberechtigten in Hamburg, zumindest müsste sie das tun. Beim Referendum über Ja oder Nein zur Bewerbung der Hansestadt für Olympische und Paralympische Spiele 2024 geht es schließlich nicht nur um irgendeine lokale Gaudi. 7,4 Milliarden Euro Steuergeld würden die Spiele kosten, hat der Hamburger Senat vorgerechnet und dazu ebenso präzise angegeben, dass 6,2 Milliarden davon der Bund tragen müsste. Bürger in Kempten oder Chemnitz müssen also drauf vertrauen, dass die Landsleute in Hamburg nicht nur ihre Befindlichkeiten im Blick haben, wenn sie ihr Kreuz setzen. Allerdings ist es für interessierte Normal-Hamburger nicht einfach, unbefangen zu entscheiden, weil ein PR-Gewitter losgebrochen ist, das wenig anderes zeigt als hellste Olympia-Begeisterung und unversöhnliche Ablehnung.

Rückwärts dem Ziel entgegen: Ruderer unter Herbstlaub in Hamburg. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Ein nüchterner Blick auf das Sportstättenkonzept der Bewerbung kann da helfen, weil sich daran am ehesten zeigt, ob die Bewerber das Ereignis in eine Umgebung bringen wollen, in die es passt, oder ob sie sich dafür in gigantische Bauarbeiten stürzen müssen. Wie sind die Hamburger Pläne einzuschätzen? Sind sie irre? Bedienen sie die Vorzüge des Standorts? Eine einfache Antwort gibt es nicht. Einerseits verbindet die Hansestadt tatsächlich ein gigantisches Bauvorhaben mit Olympia: Hafenunternehmen will sie umsiedeln, um auf dem kleinen Grasbrook einen neuen Stadtteil zu erschließen - rund um ein Olympiastadion, das nach den Spielen ein Wohnblock mit Arena-Funktion werden soll. Das kann man durchaus irre nennen.

Aber im Grunde fügt sich das Konzept harmonisch ins Stadtbild. Kluge Einsicht hat die Bewerber dazu bewogen, nicht zwanghaft viele Millionen in eine neue Kanuslalom-Strecke zu stecken, sondern lieber auf die bestehende in Markkleeberg, Sachsen, auszuweichen - auch wenn die mehr als 300 Kilometer weit weg liegt. Und den Ruder-Standort in Allermöhe, Bezirk Bergedorf, nennt die Stadt nicht zu Unrecht einen "Pluspunkt der Hamburger Olympiabewerbung". Der S-Bahnhof ist nicht zu weit weg, die Autobahnausfahrt sehr nah, und man rudert dort auf einem sauberen Naturgewässer. Der urwüchsige Olympia-Kernsport und die urbane Gesellschaft scheinen hier gute Nachbarn zu sein. Und nachdem 2010 der neue Zielturm gekommen und ein modernes Neun-Bahnen-System installiert war, bewährte sich die Dove-Elbe als Bühne für einen Weltcup (2011) und eine Junioren-WM (2014).

SZ-Karte (Foto: rudern_hh)

Trotzdem ist gerade die Ruderregatta-Strecke in Allermöhe ein Symbol dafür, dass auch die stolzen Hamburger verlieren können. Mit viel Engagement bemühten sie sich um die WM 2019 und bekamen im Sommer die Absage des Weltverbandes Fisa, weil der österreichische Mitbewerber besser geeignet sei. Grund: "Hamburg hat stärkeren und mehr Wind im Vergleich zu Linz-Ottensheim." Ist Allermöhe also doch kein Pluspunkt der Bewerbung?

Jan Eutert, Vorstand Leistungssport im Landesruderverband Hamburg, teilt die Bedenken nicht. Zweifel an der Dove-Elbe? "Überhaupt gar nicht", sagt er. Der Grund für die Niederlage sei klar. Die WM 2019 dient auch als Qualifikation für Olympia 2020 in Tokio. Dafür will die Fisa möglichst faire Bedingungen, deshalb folgte sie dem Gutachten, das den Hamburgern eine höhere Sturmwahrscheinlichkeit zuschrieb. "Der Wind ist kein K.o.-Kriterium für Hamburg." Natürlich kennt Eutert die sensible Stelle der Strecke. Bei 750 Metern mündet die Gose-Elbe in die Dove-Elbe, dort schlagen leicht die Wellen hoch. "Aber dafür gibt es verschiedene Ideen", sagt Eutert, etwa schwimmende Aufbauten. Die Fisa habe schon wieder angefragt, ob Hamburg sich noch mal für eine WM bewerbe. Hamburg hat die Gegenfrage gestellt. Ist die norddeutsche Thermik vielleicht doch ein K.o.-Kriterium? Die Antwort steht aus.

Männer treten aus der Dunkelheit. Sie gehören zum Team, das im Sommer WM-Gold im Leichtgewichts-Achter gewann. Sie haben gerade auf der Dove-Elbe trainiert - ohne Schiffbruch. Auch Bundestrainer Tim Schönberg kann nichts Schlechtes sagen. "Ich bin da nicht ganz so objektiv", räumt er ein, "aber wir trainieren hier ja jeden Tag, und dass man nicht raus kann, ist selten." Schönberg findet die Dove-Elbe "schon fair". Wind gibt es anderswo auch. In Rio zum Beispiel, auf dem Olympiakurs von 2016 in der Lagune Rodrigo de Freitas, wo in diesem Sommer das Programm der Junioren-WM wegen Sturmes durcheinander kam. Außerdem ist dort die Wasserqualität so schlecht, dass manche WM-Teilnehmer glaubten, ihre Übelkeit käme von der Lagune. Sowas hat in Hamburg noch niemand gedacht. In die Dove-Elbe kann man bedenkenlos fallen.

© SZ vom 26.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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