Aus der deutschen Handballer:Noch vier Sekunden, letzter Wurf, vorbei

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Große Trauer nach dem Aus bei den deustchen Handballern. (Foto: dpa)
  • Die deutschen Handballer liegen im Halbfinale gegen Frankreich bereits mit sieben Toren zurück - ehe sie den Ausgleich schaffen.
  • Sekunden vor Abpfiff trifft Narcisse, das Aus ist besiegelt.
  • Die Franzosen siegen 29:28 und ziehen ins Finale ein.

Vier Minuten waren noch zu spielen. Sollte doch noch etwas gehen? Sollten die Franzosen, die Weltmeister, doch noch die Nerven verlieren, nachdem sie von der ersten bis zu dieser 56. Minute stets geführt hatten? Nachdem sie den Deutschen, dem Europameister, schon mit fünf, sechs, sieben Toren (22:15) enteilt waren? Sollte dieser Ansammlung der Routiniers doch noch die Hände zittern?

Es sah so aus: Eine Minute vor Abpfiff war auf der Anzeigetafel ein 28:28 zu lesen. Würde sich die deutsche Auswahl, die lange so fahrig gewirkt hatte, für eine famose Aufholjagd belohnen? Was für ein Krimi hatte sich da entwickelt?

Noch sechs Sekunden, noch fünf, noch vier, drei ... Verlängerung? Daniel Narcisse wirft. Langes Eck, am Bein von Torwart Silvio Heinevetter vorbei: 29:28 (16:13) für Frankreich, Abpfiff. "Das war ein ganz bitteres Ende für uns", sagte Bundestrainer Dagur Sigurdsson, während Kreisläufer Patrick Wiencek beklagte: "Frankreich hätte keine Chance gehabt, wenn wir immer so gespielt hätten wie in der Schlussphase." Das DHB-Team drehte allerdings erst auf, als es eigentlich schon viel zu spät war.

Nun steht Titelverteidiger Frankreich im Finale gegen Dänemark, das Polen nach Verlängerung mit 29:28 besiegte. Die Deutschen spielen am Sonntag so gegen die Polen um Bronze. Es wäre ihre erste Handball-Medaille nach Silber 1984 in Los Angeles und 2004 in Athen.

Wechsel im deutschen Tor

Wen er in Rio unbedingt treffen wolle, war Andreas Wolff gefragt worden, bevor er nach Brasilien reiste. Usain Bolt, den Sprinter? Michael Phelps, den Schwimmer? Den Tennis-Profi Rafael Nadel? Wolff entschied sich für Prominenz aus der eigenen Zunft: "Ich will gegen Nikola Karabatic spielen im Olympia-Finale." Der Wunsch ging nicht ganz in Erfüllung - er traf den mehrmaligen Welthandballer bereits in der Runde zuvor. Jedoch entwickelte sich dieses Rendezvous zum Gegenteil dessen, was sich Wolff erträumt hatte. Nach zehn Minuten war es für ihn zunächst beendet.

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Was für ein Drama: Die deutschen Handballer holen im Halbfinale gegen Frankreich einen Sieben-Tore-Rückstand auf - um dann doch 28:29 zu verlieren.

Dagur Sigurdsson, der Trainer, befahl einen Wechsel im deutschen Tor. Und Wolff, der Mann, der vor sieben Monaten im EM-Finale die Spanier mit seinen Paraden ausbremste, hatte nicht eine Hand an den Ball bekommen. 5:7 hieß es, als der Kieler für den Berliner Silvio Heinevetter raus musste - auch der benötigte einige Augenblicke der Akklimatisation.

15 Minuten und 48 Sekunden waren auf der Uhr bereits verstrichen, ehe ein deutscher Torwart in diesem olympischen Halbfinale den ersten Ball parierte! 6:10 stand es da - und Thierry Omeyer, Frankreichs Torwart, der 39-Jährige, hatten seinen Job hochklassig erledigt.

Dass die Deutschen zur Pause nicht höher zurücklagen, hatten sie Einzelaktionen zu verdanken, besonders von Uwe Gensheimer. Der Linksaußen verbuchte bis zur Pause sieben Treffer, davon drei Siebenmeter. Für ihn war dies eine Art Visitenkarte - nach der Rückkehr aus Brasilien wird der Kapitän seine Koffer packen, um von den Rhein Neckar Löwen, mit denen er Meister wurde, zu seinem neuen Arbeitgeber Paris St. Germain umzuziehen.

Zur Halbzeit hatte Sigurdsson ein Einsehen. Er wollte den so unglücklichen Wolff noch einmal ins Spiel bringen. Der Bundestrainer wusste aus so vielen Länderspielen: Wenn dieser Torwart einmal einen Lauf hat, können die Gegner an ihm verzweifeln; an diesem Nachmittag in Rio aber schien er mehr und mehr an sich selbst zu verzweifeln. 15:20 stand es, fast 40 Minuten waren verstrichen, als Wolff plötzlich einen Siebenmeter, der als Heber angesetzt war, aus der Luft pflückte. Konnte dies das Signal zur Wende sein?

Drittes Gold für Frankreich?

Die Deutschen hatten noch immer keine rechte Haltung zu dieser Veranstaltung gefunden. Weiterhin hatte ihr Angriffsspiel keinen Fluss, weiterhin scheiterten sie an Omeyer, der bald mit Gensheimer in Paris spielen wird, und der es sich erlaubte, das 22:15 selbst zu erzielen. Ins leere Tor, das Wolff für einen Augenblick geräumt hatte, damit die Deutschen einen Angreifer mehr einsetzen konnten. Was sie auch versuchten, es ging schief - nur Gensheimer sorgte mit insgesamt elf Toren dafür, dass eine Rest-Spannung erhalten blieb.

Und dass alle doch noch Mut fassen konnten, dass plötzlich der Gummersbacher Julius Kühn eine Serie startete (acht Treffer), und dass das lange nur kämpferisch präsente DHB-Team beim 24:26 urplötzlich wieder dran war. Dennoch war das Fazit nach Abpfiff schnell gezogen. Die jungen Deutschen hatten eine Lektion erhalten, was nur insofern tröstlich ist, als dass sie sobald wohl nicht wieder so viel Zeit in einem Spiel ungenutzt verschwenden werden.

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Der Aufstieg der deutschen Handballer hat viel mit Trainer Sigurdsson zu tun: Dass nach dem EM-Titel nun eine Olympia-Medaille möglich ist, liegt an besonderen Qualitäten des Isländers.

Von Maik Rosner, Rio de Janeiro

Die Senioren aus Frankreich - Omeyer, 39, Karabatic, 32, Narcisse, 36 - verabschieden sich nach Olympia aus dem Nationalteam. Mehr geht ja nicht in diesem knüppelharten Sport. Denn wenn nicht alles täuscht, wird das Triple abgerundet: Nach Peking 2008 und London 2012 liegt das dritte Gold für diese Generation bereit.

© SZ vom 20.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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