Olympia:Athleten, denen das olympische Motto noch heilig ist

Der eine wurde vom Militär ins Ruderboot gesetzt, die andere verdiente sich auf dem Laufsteg das Geld für den Sport: sechs Athleten, für die dabei sein alles ist.

Von René Hofmann, Rio de Janeiro

Dattu Baban Bhokanal, 25, Ruderer aus Pune/Indien

1 / 12
(Foto: dpa)

Dattu Baban Bhokanals zwei jüngere Brüder verstehen immer noch nicht, was er da macht. "Für meine Familie ist es schwer sich vorzustellen, dass es einen Sport gibt, den man auf dem Wasser betreibt", hat er in Rio berichtet, "dort, wo ich aufgewachsen bin, gibt es kein Wasser." Dattu Baban Bhokanal stammt aus einer Region, die nordöstlich von Mumbai liegt. Um an Trinkwasser zu gelangen, musste die Familie, als Dattu Baban Bhokanal klein war, stets eine beschwerliche Reise unternehmen. Kein Wunder, dass er nicht schwimmen lernte. Im Dezember 2011 starb Dattu Baban Bhokanals Vater. Der Sohn trat daraufhin in die indische Armee ein. Was ihm dort dann befohlen wurde, erfreute ihn erst einmal gar nicht.

Dattu Baban Bhokanal, 25, Ruderer aus Pune/Indien

2 / 12
(Foto: Getty Images)

Wegen seiner Größe von 1,89 Metern wurde Bhokanal ins Ruder-Team delegiert. Darauf, dass er Angst vor Wasser hatte, wurde wenig Rücksicht genommen. "Am Anfang hat es mir gar nicht gefallen", beschrieb Bhokanal in Rio seine Startschwierigkeiten, versicherte aber: "Jetzt fühle ich mich auf dem Wasser total wohl." Sein Ziel bei diesen Spielen? Ein Platz unter den besten zehn im Einer. Den verpasste Dattu Baban Bhokanal. Sein 13. Rang aber war besser als das Ergebnis, das Indien in der Disziplin 2012 in London geglückt war; damals war Sawarn Singh Sechzehnter geworden.

James Coughlan, 25, Hockey-Spieler aus Auckland/Neuseeland

3 / 12
(Foto: dpa)

James Coughlan (in Schwarz) kam nicht zufällig zum Hockey. Aber er kam zufällig zum Feld- Hockey. Und das kam so: Im Grundschul-Alter verfolgte er die Olympischen Winterspiele am Fernseher. Vor allem eine Sportart fand er cool: Eishockey. Als er an seiner Schule kurz darauf ein Schild sah, dass ein Hockey-Kurs angeboten werde, dachte er sich: Super, da gehe ich hin! Die Überraschung bei der ersten Stunde war dann groß. Als er sah, dass er nicht auf Eis spielen sollte, sondern auf Kunstrasen, schoss Coughlan durch den Kopf: "Was ist denn das? Wofür habe ich mich denn da angemeldet?" Geblieben ist er dann doch.

James Coughlan, 25, Hockey-Spieler aus Auckland/Neuseeland

4 / 12
(Foto: Getty Images)

Sein Ziel: Irgendwann einmal bei den Olympischen Spielen dabei sein, fast egal in welchem Sport. Im Rio glückte ihm das zum ersten Mal. Nach einem Sieg (9:0 gegen Brasilien), einem Unentschieden (2:2 gegen Großbritannien) und vier Niederlagen (1:2 gegen Australien, 2:3 gegen Spanien, 1:3 gegen Belgien und 2:3 gegen Deutschland) wurden die Hockey-Männer aus Neuseeland Siebte. James Coughlan (links) ist jetzt Olympia-Teilnehmer, einem Missverständnis sei Dank.

Nicolas L. Wettstein, 35, Vielseitigkeitsreiter aus Genf, am Start für Ecuador

5 / 12
(Foto: Getty Images)

Das Reiten lag für Nicolas Lionel Wettstein in der Familie. Seine Mutter Monique Deyme trat in den Achtzigerjahren bei internationalen Wettkämpfen an. Die Initialzündung für die olympischen Ambitionen des Sohnes aber gab ein anderer: Als Nicolas Lionel Wettstein 1988 bei den Spielen in Seoul den französischen Gerichtsvollzieher Pierre Durand auf seinem Wallach Jappeloup de Luze, der bloß ein Stockmaß von etwa 1,60 Metern hatte, Gold im Springreiten gewinnen sah, wusste er, wo er hinwollte. Wettstein stammt aus der Schweiz, seit seiner Hochzeit aber hat er auch einen ecuadorianischen Pass. Seit 2011 tritt er für das Land an, für das er sich nun auch für die Spiele in Rio qualifizierte.

Nicolas L. Wettstein, 35, Vielseitigkeitsreiter aus Genf, am Start für Ecuador

6 / 12
(Foto: REUTERS)

Wettstein ist Amateur, er arbeitet für ein Pharma- Unternehmen. Die bis zu vier Stunden Training am Tag erledigt er nebenher. "Die Spiele sind mein Urlaub", hat er in Rio erzählt. Eine besondere Beziehung hat er zu seinem Pferd Nadeville Merze; seit zehn Jahren reitet Wettstein den Wallach. Er begleitete ihn nicht nur in dem Frachtflugzeug auf dem Weg nach Brasilien. Um ihm die Reise so angenehm wie möglich zu gestalten, fuhr Wettstein Nadeville Merze auch selbst in dem Lastwagen, den der Wallach kennt, zum Flughafen in Belgien, von wo aus es los ging. In der Dressur- Prüfung der Vielseitigkeits-Wettbewerbes belegten die beiden in Rio unter 65 Teilnehmern Platz 55; schon vor dem Geländeritt mussten sie aufgeben.

María Belén Pérez Maurice, 31, Fechterin aus Buenos Aires

7 / 12
(Foto: AP)

Über den Laufsteg schreiten, bewundert werden und dafür auch noch Geld bekommen: Für viele Mädchen ist das ein Traum. Für María Belén Pérez Maurice (links) war es das nicht wirklich. Gemacht hat sie es trotzdem - um auf der Planche zu bleiben. Als der Argentinierin mit Anfang 20 das Geld für die vielen Reisen fehlte, die das Fechten erforderte, überlegte sie, was sie tun könne. "Ich musste arbeiten. Zu modeln war das einfachste", sagt María Belén Pérez Maurice.

María Belén Pérez Maurice, 31, Fechterin aus Buenos Aires

8 / 12
(Foto: Getty Images)

Die Ausflüge auf den Laufsteg halfen ihr, es bis zu den Olympischen Spielen 2012 nach London zu schaffen. Dort wurde sie 21. im Wettstreit mit dem Säbel. Inzwischen ist sie eine etablierte Athletin, die auch vom argentinischen Fecht-Verband Unterstützung erhält. "Seit London fühle ich mich erwachsen", sagt María Belén Pérez Maurice. Das Modeln lässt sie mittlerweile bleiben. Am Ende der Säbel-Kämpfe wurde sie dieses Mal auf Rang 25 geführt.

Dulguun Batsaikhan, 29, Schwimmer aus Erdernet/Mongolei

9 / 12
(Foto: REUTERS)

Dulguun Batsaikhan und seine Frau Yanjinlkham Olzvoibaatar hatten einen Plan. Sie wollten beide bei den Spielen in Rio antreten. Er im Schwimmen, sie beim Schießen. Als Yanjinlkham Olzvoibaatar die Qualifikation für den Wettbewerb mit der Luftpistole verpasste, änderten die beiden ihren Plan. "Wir haben beschlossen, stattdessen ein Baby zu bekommen", sagt Dulguun Batsaikhan. Er und seine Frau, der Eindruck drängt sich auf, gehen viele Dinge sehr gezielt an. Yanjinlkham Olzvoibaatar ist aktuell im siebten Monat schwanger. Sie ist daheim in der Mongolei geblieben und schaut sich Olympia im Fernsehen an. Die Luftpistole wird sie nur kurz zur Seite legen. Bis zu den nächsten Spielen, 2020 in Tokio, will sie gut genug sein, um Gold gewinnen zu können. "Das ist unsere Mission", sagt Dulguun Batsaikhan, und seine weitere Mission sei es, bis dahin als Trainer bessere mongolische Schwimmer an den Start zu bringen. Ein Talent hat er schon gefunden ...

Dulguun Batsaikhan, 29, Schwimmer aus Erdernet/Mongolei

10 / 12
(Foto: REUTERS)

... die 16-jährige Yesui Bayar, die auch in Rio an den Start ging. Weil ihre Familie das Geld dafür aufbrachte, hatte sie sich auf die Spiele in Florida vorbereiten können. Dulguun Batsaikhan dagegen trainierte in seiner Heimat - unter schwierigen Bedingungen. In der Hauptstadt Ulaanbaatar gibt es nur zwei Schwimmbäder. Als Batsaikhans Trainigspool wegen Renovierungsarbeiten geschlossen wurde, musste er in einen Fluss ausweichen. "Das war ein bisschen kalt", berichtete er in Rio, als Klage aber war das nicht gemeint. "Wasser ist Wasser", findet Dulguun Batsaikhan. In seinem Vorlauf über 50 Meter Freistil wurde er mit einer Zeit von 24,90 Sekunden Achter. Yesui Bayar wurde über die gleiche Strecke in ihrem Vorlauf Zweite; ihre Zeit von 28,40 Sekunden reichte aber auch nicht zum Weiterkommen.

Katrina Young, 24, Wasserspringerin aus Tallahassee, Florida

11 / 12
(Foto: Getty Images)

Turmspringer brauchen ein besonderes Gemüt. Das beste Beispiel dafür ist vielleicht Katrina Young. 2005, als der todbringende Hurrikan Katrina aufzog, trat Katrina Young gerade bei den Panamerikanischen Jugendspielen in Fort Lauderdale an. Auch dort hatte der Sturm schon eine gewaltige Kraft, doch nachdem der Wind sich wieder ein wenig gelegt hatte und die Eltern das Becken von den abgerissenen Palmwedel befreit hatten, ging der Wettbewerb ohne viel Federlesens weiter. "Wir haben gar nicht gemerkt, wie schlimm der Hurrikan wirklich war", hat Katrina Young in Rio erzählt, "wir waren aber auch auf unseren Wettbewerb konzentriert."

Katrina Young, 24, Wasserspringerin aus Tallahassee, Florida

12 / 12
(Foto: AFP)

Die schlimmsten Bedingungen, da waren sich die US-Springer einig, hätten sie auch nicht in der Heimat erlebt, wo sie - um sich abzuhärten - im Januar ein Trainingsspringen im Freien bei zwölf Grad Außentemperatur abhielten, sondern beim internationalen Olympia-Qualifikationswettkampf in Rio. Bei dem regnete es so heftig, dass der Wettbewerb für eine Stunde unterbrochen werden musste. Als es wieder weiterging, funktionierten die Lautsprecher nicht mehr. Die Springer mussten per Megafon aufgerufen werden; nach den Sprüngen hielten die Preisrichter Papp-Täfelchen hoch. Die Noten für Katarina Young nach ihren Sprüngen vom Zehn-Meter-Turm bei Olympia? Reichten im Halbfinale für Rang 13. Das Finale verpasste sie.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: