Österreich:Zurück im Tal der Tränen

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Sieht sich in der österreichischen Nationalelf zu Höherem berufen: David Alaba vom FC Bayern München. (Foto: John Sibley/Reuters)

Nach dem 0:1 in Wales wird Österreich die WM wohl verpassen. Mittelfeldspieler David Alaba fehlt dem Team in der Abwehr, und Trainer Koller steht in der Kritik.

Von Sven Haist, Cardiff

In Badeschlappen kehrte Marko Arnautovic aus der Kabine zurück auf den Platz. Einsam lief er über den Rasen ans andere Ende des Spielfelds, um den Dialog zu suchen mit den Fans, die ihn direkt nach Abpfiff mit Unmutsbekundungen überzogen hatten. Minutenlang diskutierte er mit den Anhängern, hörte ihnen zu und warb um Verständnis für ein Ergebnis, welches Österreich die Hoffnung nahm, es doch noch zur WM im nächsten Jahr nach Russland schaffen zu können. "Ich habe den Fans verdeutlicht, dass uns Spielern das genauso wehtut wie ihnen."

Was den Fußball in Österreich angeht, so wechselt die Atmosphäre im Land meist so schnell wie das Wetter in den Bergen. Am Samstag, nach dem 0:1 in Wales, blieb vom Hochgefühl der Qualifikation für die EM 2016 bloß die Erinnerung übrig. Damals sah man sich gar als Geheimfavorit. Nun ist die Stimmung wieder ganz unten. Mit acht Punkten befindet sich Österreich in der Gruppe D hinter Serbien, Irland, Wales sowie dem eigenen Anspruch und dem Anspruch der Bevölkerung. Der Sprung auf den eventuellen Playoff-Rang zwei ist lediglich in der Theorie möglich. "Ich denke nicht, dass irgendjemand heute schlafen wird. In den nächsten Tagen wird es mental sehr heftig", sagte Arnautovic. Mit der Hand wischte er sich über die Augen.

Nach wie vor hat die Nationalelf das Vorrundenaus 2016 in Frankreich nicht verkraftet. In den folgenden neun Partien gab es nur zwei Siege. Dabei besteht die Elf weiter aus fast den gleichen Spielern, mit einem Unterschied: Durch den Rücktritt des Linkverteidigers Christian Fuchs ist eine Position vakant geworden, über die zuvor selbst im debattenreichen Österreich eigentlich nie debattiert worden war. Es gibt im Aufgebot eine adäquate Alternative für Fuchs. Nur diese Alternative, David Alaba vom FC Bayern, möchte die Alternative nicht sein. Bei der Nationalelf sieht sich Alaba zu mehr berufen, als auf der linken Seite in der Abwehrreihe auszuhelfen.

Der Teamchef Marcel Koller hat das akzeptiert. Mitunter findet er ebenso, dass Alaba als Linksverteidiger unter Wert eingesetzt wäre. Doch auf der Suche nach einem anderen Linksverteidiger traf Koller im Repertoire des Kaders auf Grenzen. Die Experimente mit Markus Suttner, Kevin Wimmer und Martin Hinteregger schlugen fehl, ebenso wie eine Formation ohne Linksverteidiger.

Selbst im richtungsweisenden Spiel in Wales verzichtete Koller, 56, auf Alaba als Linksverteidiger. Und es passierte, was passieren musste: Wales leitete den Siegtreffer über Österreichs labile linke Seite ein. Der erst 17 Jahre alte Ben Woodburn nutzte das bei seinem Länderspieldebüt für ein Traumtor, das für Österreich zum Albtraum geriet.

Nach dem Gegentreffer ließ sich Alaba auf den Boden fallen - am Mittelkreis. Durch die Niederlage wird es für die meisten österreichischen Spieler schwierig, sich den Traum von einer WM-Teilnahme noch zu erfüllen. Für eine Achse um Innenverteidiger Sebastian Prödl, 30, die Mittelfeldspieler Julian Baumgartlinger, 29, und Stefan Ilsanker, 28, sowie die Stürmer Martin Harnik, 30, und Arnautovic, 28, dürfte die WM 2022 in Katar nicht mehr zu erreichen sein.

Noch früher zu Ende gehen dürfte die Zeit beim Nationalteam für den Schweizer Koller. Seit knapp sechs Jahren leitet er die Geschicke der österreichischen Mannschaft. Koller hat das Land aus dem Tal der Tränen erst herausgeführt - und nun wieder hinein. "Unter ihm hatten wir die erfolgreichste Zeit seit Jahrzehnten", sagt Harnik: "Das spricht für sich." Doch Kollers Vertrag läuft im November aus. "Ich weiß nicht, was die Gespräche bringen werden. Es ist schwierig zu sagen, ob ich weitermachen will", sagt er.

Als mögliche Nachfolger dürften bald die beiden österreichischen Trainer Ralph Hasenhüttl und Peter Stöger gehandelt werden. Wegen ihrer Tätigkeit in der Bundesliga erscheint eine Anfrage jedoch wenig aussichtsreich. Dem ehemaligen Auswahlspieler Andreas Herzog, zuletzt Assistent unter Jürgen Klinsmann beim US-amerikanischen Nationalteam, traut nicht jeder die Aufgabe zu. Aber das war einst auch die Meinung in Österreich zu Marcel Koller.

© SZ vom 04.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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