Nicola Adams:Lebensaufgabe

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Nicola Adams in der Siegerpose. (Foto: Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Die Britin gewinnt Gold im Fliegengewicht - es ist mehr als eine Medaille für die bisexuelle, schwarze Box-Pionierin.

Von Benedikt Warmbrunn

Wer mit Boxhandschuhen in den Ring steigt, für den beginnt meistens der eigentliche Kampf erst nach dem letzten Gong. Joe Louis kämpfte nicht nur gegen Max Schmeling, sondern aus Sicht aller Amerikaner auch gegen Nazi-Deutschland und somit für die Freiheit; später stieg er nur in den Ring, weil er auch gegen die Steuerbehörde kämpfte. Muhammad Ali kämpfte für die Gleichberechtigung von Schwarzen und Weißen, später kämpfte er gegen Parkinson und für die Würde. Mike Tyson kämpfte gegen den eigenen Wahnsinn. Nicola Adams kämpft dafür, dass das Normale endlich als normal gilt, zumindest ist das der große, übergeordnete Kampf ihres Lebens.

Bei den Olympischen Spielen hat die Britin Adams, Goldmedaillengewinnerin bei den Spielen 2012 in London, ihren Titel im Fliegengewicht verteidigt. Es war ein historischer Erfolg am Samstag im Finale gegen die Französin Sarah Ourahmoune. Als einziger Brite hatte bisher der Mittelgewichtler Harry Mallin seinen Gold-Triumph wiederholt, bei den Spielen 1920 und 1924.

"Ich kann es nicht glauben", sagte sie nach einem souveränen Punktsieg, der zu keinem Zeitpunkt in Gefahr gewesen war. "Ich habe es geschafft, ich bin die erfolgreichste Amateurboxerin, die Großbritannien je hatte". Doch Nicola Adams ist viel mehr als das; viel mehr als eine Boxerin, die sich ihren sportlichen Traum erfüllt. Nicola Adams, 33, eine schwarze, bisexuelle Frau aus Leeds, ist seit ihrem Triumph 2012 und seit diesem Samstag noch viel mehr: eine gesellschaftspolitische Figur.

Alle sollen verstehen, dass auch ihr Leben ein ganz normales ist

Adams begann als Zwölfjährige mit dem Boxen, weil ihre Mutter keinen Babysitter gefunden hatte. Also musste sie mit ihrem Bruder mit ins Box-Gym. Sie sah anderen Kindern beim Schattenboxen zu, sie sah den Schweißdampf an den Fensterscheiben, und sie fühlte, dass diese Welt ihr endlich die Ruhe bringen würde, die sie sonst nirgends fand. Als Mädchen litt sie an der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), sie war unruhig, hibbelig, hatte schlechte Noten in der Schule. Erst das Boxen gab ihr die Kraft, ein langfristiges Ziel zu verfolgen. Bis ihr das Boxen diese Kraft fast wieder genommen hätte.

Die Boxwelt ist nach wie vor eine Welt, die von Machos dominiert wird. Für diese gehören Frauen oft nur in den Ring, wenn sie knappe Höschen und Schilder mit der Rundenanzahl tragen. Bei den Profis nehmen nur wenige Promotor Frauen ernst, und noch weniger fördern Frauen. Auch bei den olympischen Boxerinnen war das lange nicht anders. Wollte Adams zu einem Turnier oder ins Trainingslager reisen, musste ihre Mutter alles zahlen; Adams selbst arbeitete als Fliesenlegerin oder übernahm Nebenrollen in Soap Operas im Fernsehen. Erst als Frauenboxen in London olympisch wurde, begann die späte Förderung der Karriere der Nicola Adams.

Sie trainierte nun am English Institute of Sport in Sheffield, fünfmal die Woche, von neun Uhr morgens bis 17 Uhr am Nachmittag, keine Kohlehydrate nach 19 Uhr. Der Staat investierte in sie, weil er eine gute Bilanz vorzeigen wollte. Sie gewann in London eine der 29 britischen Goldmedaillen, sie verlor danach bis zu diesem Samstag keinen Amateurboxkampf, sie hatte in Brasilien in keinem ihrer Kämpfe große Probleme mit ihren Gegnerinnen, obwohl sie teils fahrig boxte. Im Finale war sie von Beginn an konzentriert gegen die Französin, die Adams vor dem Kampf voller Respekt eine Pionierin des Sports genannt hatte.

Eine 1,65 Meter große Frau hatte als erste erfolgreich eine Männerdomäne herausgefordert, und wie ihr Idol Muhammad Ali nutzte sie den Ruhm, um für das zu werben, was sie war. Sie erzählte, wie schwer es für sie als Frau lange Zeit gewesen war, aber sie beschwerte sich nie. Sie betonte nicht die Ungerechtigkeiten. Sondern sie erzählte von ihrem Leben als schwarze, bisexuelle Frau. Es ist das einzige Leben, das sie kennt, und deswegen macht sie darüber auch kein großes Aufsehen.

"Ich denke, dass ich im Frauenboxen für einen Wandel sorgen kann"

"Niemand hat sich wirklich jemals dafür interessiert, dass ich bisexuell bin, und ich habe das nur erzählt, weil ich es schon immer erzählt hatte - nur die Öffentlichkeit wusste nichts davon", sagte Adams vor Kurzem der Zeitschrift Vogue. Sie will einfach, dass alle verstehen, dass auch ihr Leben ein ganz normales ist.

Nach dem Titelgewinn in London hatte Adams bald gespürt, dass viele Menschen andere Erwartungen an sie gestellt hatten. Sie war nun eine Frau, die ein Ziel erreicht hatte, das es zu Beginn ihres Weges überhaupt noch nicht gegeben hatte. Das einzige Leben, das sie kennt, nehmen andere nun wahr als eines, das Mut machen kann, um sich für die eigene Sache einzusetzen. Adams geht in Talkshows, sie gibt Interviews, "ich denke, dass ich im Frauenboxen für einen Wandel sorgen kann". Am besten, glaubt sie, gelingt ihr dies, indem sie einfach weiterhin das macht, was ihr immer als das Leichteste im Leben vorkam: die Boxhandschuhe anzuziehen und in den Ring zu steigen.

Nachdem die Punktrichter in Rio mit 3:0 für sie stimmten, tänzelte sie im Ring von einem Fuß auf den anderen, es war der Tanz ihres Idols: Nicola Adams strahlte - und tanzte den Ali-Shuffle.

Dieser Text erschien in einer ähnlichen Version am 22. Juli 2016 in der Süddeutschen Zeitung.

© SZ vom 21.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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