Nach Radweg-Unfall:Brasilien ist gelähmt - Olympia erdrückt Rio

Lesezeit: 2 min

Hier entstand der Radweg - doch er brach ein. (Foto: Christophe Simon/AFP)
  • In Rio zeigt der Einsturz eines Radweges mit Todesfolgen, dass die Stadt dringendere Probleme hat als Sport.
  • Das Chaos um die Spiele im August ist verheerend.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Als Ende Januar der "Ciclovia Tim Maia" feierlich eingeweiht wurde, schwärmte Rios Bürgermeister Eduardo Paes vom "schönsten Radweg der Welt". Paes ist kein Mann, der zur Untertreibung neigt, aber diese Konstruktion sah tatsächlich spektakulär aus. Eine 3,9 Kilometer lange Brückenkonstruktion auf Stelzen zwischen den Stadtteilen Leblon und São Conrado, rechts die Berge, links die Meeresbrandung.

Dieser Weg sollte auch ein elementarer Bestandteil des städtischen Verkehrskonzepts für die Olympischen Spiele im August werden. Er verlief entlang der stauanfälligen Schnellstraße Avenida Niemeyer, die das Stadtzentrum mit dem Mittelpunkt der Spiele im Vorort Barra da Tijuca verbindet. Er galt als Vorzeigeprojekt für das sogenannte "olympische Vermächtnis" von Rio de Janeiro.

Brasilien
:Olympia-Radweg in Rio eingestürzt - zwei Tote

Der auf Pfeilern an der Steilküste erbaute Radweg sollte ein Magnet für Olympiatouristen werden. Eine Person wird nach dem Unglück noch vermisst.

Am Donnerstagvormittag, rund 100 Tage vor der Eröffnungsfeier, ist dieses Vermächtnis eingestürzt. Eine Welle, die an den Küstenfelsen hochschlug, riss ein rund 50 Meter breites Stück aus der Fahrradbrücke und fünf Menschen mit hinab in die Brandung. Zwei Leichen wurde bislang gefunden, zwei Menschen konnten sich retten, einer wird vermisst. In Rio ist jetzt vom "Radweg des Todes" die Rede.

Natürlich stellt sich die Frage, wie das passieren konnte. Wie kann es sein, dass ein Prestigeprojekt, das mehr als elf Millionen Euro kostete, von einer einzigen Welle weggespült wird? In lokalen Medien äußerten Architekten und Statiker die Vermutung, dass bei den Bauarbeiten die "Kraft des Meeres" nicht einkalkuliert worden war.

Anschlussfrage: Was wurde denn noch alles nicht einkalkuliert beim Bau der Olympiastadt? Man ahnt leider, wie solche Projekte in Brasilien laufen, weil sie schon oft genug so gelaufen sind: Nur ein Teil der offiziellen Investitionssumme wird tatsächlich verbaut, den Rest teilen die Beteiligten untereinander auf. Das ist das Korruptionsschema im Petrobras-Skandal, der dieses Land seit zwei Jahren erschüttert und nahezu die gesamte Baubranche einschließt. Auch die Firma Concremat, die für den Radweg verantwortlich war, wurde bereits im Zuge der Petrobras-Ermittlungen genannt.

Bürgermeister Paes sprach von einem "unverzeihlichen" Unglück. Er war am Donnerstag in Griechenland, wo kurz vor dem Kollaps der Tim-Maia-Brücke die Olympische Fackel entzündet wurde. Darüber redet jetzt niemand mehr in Rio. Es ist ein weiterer herber Rückschlag für das IOC und das nationale Organisationskomitee, die seit Wochen schwer damit beschäftigt sind, dem Eindruck entgegen- zuwirken, die Stadt sei mit der Ausrichtung der Spiele überfordert.

Es gab in den vergangenen Jahrzehnten kaum ein sportliches Großevent, bei dem vorab nicht über unfertige Stadien, fehlgeleitete Investitionen und andere Probleme diskutiert wurde. Das gehört schon fast zur Folklore. In Brasilien, speziell in Rio, überlagern sich aber gerade so viele Krisen, dass man tatsächlich annehmen muss, über diesen Spielen laste ein Fluch. Das eben noch aufstrebende Land ist politisch und wirtschaftlich gelähmt. Niemand weiß so recht, wer gerade regiert, wer sich um die Notfallpläne für Olympia kümmert.

Der Bundesstaat Rio de Janeiro ist praktisch pleite, öffentliche Krankenhäuser und Schulen müssen schließen, im Monat April werden keine Renten ausbezahlt. Dazu kommt die mysteriöse Zika-Epidemie, es gilt weiterhin der globale Gesundheitsnotstand, Schwangere werden vor Reisen in Risikogebiete (wie zum Beispiel Rio) gewarnt. Die Weltöffentlichkeit, die Sportverbände, die Athleten und Touristen sind zurecht verunsichert, ob das noch was wird im August.

In Brasilien selbst haben diese Spiele allerdings nicht nur ein Image-, sondern auch ein Aufmerksamkeitsproblem. Die meisten Leute sorgen sich im Moment um Dringlicheres. Das spiegelt sich auch im schleppenden Verkauf der Eintrittskarten wider. Olympia macht im Olympialand nur dann Schlagzeilen, wenn Radfahrer sterben, U-Bahnen nicht fertig werden oder Leichenteile in der Segelbucht gefunden werden.

Irgendwie wird das Ereignis, das ja vor allem im Fernsehen funktionieren muss, über die Bühne gehen. Es wird wieder strahlende Sieger und tragische Verlierer geben. Derzeit deutet aber wenig darauf hin, dass eine der schönsten Städte der Welt am Ende auf der Seite der Gewinner stehen könnte.

© SZ vom 23.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: