Motorsport:Zu Gast beim Despoten

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Die Formel 1 sucht mit dem Rennen in Aserbaidschan nach neuem Glanz und weiteren Umsätzen. Dabei hofiert sie den Diktator Ilham Alijew.

Von Johannes Aumüller

Bernie Ecclestone ist wahrscheinlich zu sehr mit der Lektüre von anderen wichtigen Dokumenten beschäftigt, um sich einmal die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit der Kennung 217 A (III) zu Gemüte zu führen. Die ist nicht einmal sonderlich lang, nämlich nur sechs Seiten, und auch schon etwas älter, nämlich vom 10. Dezember 1948, aber in jedem Fall würde der allmächtige Chef der Formel 1 in diesem Text eine recht eindeutige Antwort auf die Frage finden, die er in diesen Tagen in der typischen Ignoranz eines Sportweltführers von sich gab: "Können Sie mir sagen, was Menschenrechte genau sind?"

Bernie Ecclestone, die Formel-1- und die gesamte Sportwelt müssen sich wieder mal kritischen Bemerkungen stellen. In ihrem Streben nach neuen Märkten, neuem Glanz und neuen Verdienstmöglichkeiten hat der Motorsportbetrieb Baku in Aserbaidschan als neuen Standort in den Kalender aufgenommen. Im "Großen Preis von Europa" düsen in der Kapitale des südkaukasischen Landes an diesem Wochenende (Qualifikation Samstag, 15 Uhr; Rennen Sonntag, 15 Uhr) die Boliden über einen sport- und speedfachlich aufregend bis gefährlich anmutenden Stadtkurs. Und damit stellt sich der Sport mal wieder in den Dienst eines üblen Despoten.

Das Formel-1-Monaco des Ostens: Der enge Stadtkurs in Baku soll attraktiv sein, er ist wegen Sicherheitsbedenken aber umstritten. (Foto: Andrej Isakovic/AFP)

Seit 1993 hat die Familie Alijew das Land fest im Griff. Erst regierte Heydar, 2003 übernahm dessen Sohn Ilham. Und bis heute ignoriert dieser vieles von dem, was die sechsseitige UN-Resolution aus dem Jahr 1948 über die Menschenrechte sagt. Presse- und Meinungsfreiheit etwa sind in Aserbaidschan arg beschränkt. Die Organisation Reporter ohne Grenzen führt das Land auf dem 163. von 180 Plätzen. Aktuell sind nach ihrer Information immer noch mehrere regierungskritische Journalisten und Blogger in Haft. Human Rights Watch (HRW) berichtet zudem von mehr als einem Dutzend politischer Gefangener. Kürzlich traf es zwei Jugendliche, die kurz vorm Gedenktag des vor zwei Jahren verstorbenen Ex-Staatschefs Heydar Alijew "Alles Gute zum Sklaventag" auf eine ihm gewidmete Statue sprühten.

Immerhin durfte die prominenteste inhaftierte Regimekritikerin, die Journalistin Khadija Ismailowa, kürzlich das Gefängnis vorzeitig verlassen. Offenkundig sollte dies vor dem Formel-1-Rennen auch ein kleines Signal sein, dass sich etwas verändere im Land. Andererseits unterliegt Ismailowa, die jahrelang mit hartnäckigen Recherchen krumme Geschäfte des Alijewschen Regierungsclans aufdeckte, weiter einem Reiseverbot ins Ausland sowie weiteren Restriktionen.

Aber, wie sagte Ecclestone: Was genau sind schon Menschenrechte?

Es kann ihm und der Formel 1 niemand den Vorwurf machen, dass sie in Baku ein spezielles Tabu brechen würden. Aserbaidschan hat sich im Weltsport längst verankert. Auf den Spielfeldbanden in Frankreichs EM-Stadien läuft derzeit andauernd Werbung für das Land mit den vielen Öl- und Gas-Reserven. Dass Atlético Madrid in den vergangenen drei Jahren zweimal das Finale der Fußball-Champions-League erreichte, hing auch mit den Millionen zusammen, die den Colchoneros (Matratzenmacher) ein Sponsorendeal mit Aserbaidschan brachte - inklusive des emotionalen Werbespruchs "land of fire", also Land des Feuers, auf der Brust. Im vorigen Jahr war Baku Ausrichter der ersten Europa-Spiele. Für 2020 wiederum hat Europas Fußball-Union Aserbaidschans Kapitale als einen von zwölf Spielorten der europaweit ausgetragenen Europameisterschaft auserwählt. Und der Traum von Olympischen Spielen am Kaspischen Meer lebt ohnehin weiter.

All diese Sportshows dienen immer in zweierlei Hinsicht. Einmal als Propagandabühne für den Herrscher Alijew - und als Werbung für das geografisch und historisch unbestreitbar schöne Land, das so gerne mehr Touristen begrüßen würde. Wie viel Geld das kostet, ist unklar. Bei den Europaspielen beliefen sich die Schätzungen auf einen mittleren einstelligen Milliardenbetrag, bei der Formel 1 gibt es keine offiziellen Angaben. In jedem Fall steht es in einem immensen Widerspruch zu den Studien, nach denen der Durchschnittslohn in Aserbaidschan lediglich knapp 400 Euro beträgt. Viele Einheimische können sich die teuren Tickets deswegen nicht leisten; trotzdem ist es eher unwahrscheinlich, dass von den 30 000 Tribünenplätzen allzu viele leer bleiben. Kritiker mutmaßen, dass die Regierung Beamte und Soldaten als Zuschauer zwangsverpflichten könnten.

Die Macher in Baku werden das schon zu überspielen wissen. Schöne Bilder von der Uferpromenade und der Altstadt sind an diesem Wochenende garantiert. Und ebenso gewiss ist auch, dass es dabei nicht zu den Bildern kommen wird, die sich die früher ebenfalls inhaftierte und mittlerweile in Westeuropa lebende Menschenrechtlerin Leyla Junus von den Fahrern wünscht: "Klebt Fotos von unseren politischen Gefangenen auf eure Autos. Denn ihr seid aus Deutschland, Italien, Spanien - euch kann unsere Polizei nicht einsperren. Dann seid ihr echte Helden!"

© SZ vom 18.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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