Motorsport:Comeback aus der Not

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Die skurrile Nominierung von Toro-Rosso-Pilot Brendon Hartley zeigt: Die Suche nach Ausbildungsplätzen für Talente in der Formel 1 spitzt sich immer mehr zu.

Von Elmar Brümmer, Austin

Großzügig mit zweiten Chancen umzugehen, dafür ist die Formel 1 nicht bekannt. Fahrer, die vor Jahren bei der Talentsichtung durchgefallen sind, taugen prinzipiell nicht für eine Amnestie. Das Grand-Prix-Debüt des Neuseeländers Brendon Hartley beim Großen Preis der USA an diesem Wochenende in Austin ist deshalb in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Mit 27 erfüllt sich doch noch jener Kindheitstraum, den er nie aufgeben wollte - ausgerechnet bei Toro Rosso, dem Talentschuppen von Red Bull Racing, aus deren Nachwuchsförderung er wegen Aufmüpfigkeit und nicht konstanter Leistung 2010 früh aussortiert worden war: "Aber ich bin heute ein ganz anderer Fahrer, mir wurde nach dem Rausschmiss damals klar, was ich ändern muss", sagt er. Immerhin schaffte er es zum Test-und Simulatorpiloten bei Mercedes, mehr war nicht drin. Glücklich und erfolgreich wurde er in den Sportwagen von Porsche: 2015 wurde er Weltmeister, 2017 gewann er bei den 24 Stunden von Le Mans und ist erneut WM-Titelkandidat. Nachdem die Stuttgarter im Sommer ihren Ausstieg zum Jahresende ankündigten, schien das erneut die Endstation für Hartleys Karriere im großen Motorsport zu sein.

Unverhofft in die Formel 1: Der Neuseeländer Brendon Hartley rechnete schon gar nicht mehr mit einem Einsatz in der Königsklasse. (Foto: Peter Fox/AFP)

Mehr aus Verzweiflung meldete er sich telefonisch bei Helmut Marko, dem Talentspäher des Getränkekonzerns. Der habe die Meldung zur Kenntnis genommen, aber nicht begeistert geklungen, erinnert sich Hartley in Austin. In der vergangenen Woche kam dem Österreicher der Anruf des vergessenen Fahrers wieder in den Sinn, Toro Rosso war in höchster Personalnot. Der Spanier Carlos Sainz hatte gerade den Karrieresprung zu Renaults Werksteam genehmigt bekommen, und der geplante zweite Grand-Prix-Einsatz des Franzosen Pierre Gasly scheiterte am Veto des künftigen Motorenpartners Honda, für den Gasly in der japanischen Super Formula um den Titel fahren muss.

Angesichts der strengen Regeln für die Formel-1-Fahrerlizenz war keines der Talente aus dem eigenen Haus greifbar. Der schon mehrmals in Ungnade gefallene Russe Daniil Kvjat wurde reaktiviert - und eben Hartley. Ein Comeback aus der Not, das auch etwas über den Nachwuchsbetrieb der Formel 1 aussagt. Gut möglich, dass der Neuseeländer, wenn er sich im Rennen ordentlich schlägt, den Rest der Saison neben Gasly und statt Kvjat zu Ende fährt. Die Spekulation dahinter: Porsche liebäugelt selbst mit einem Formel-1-Einstieg, Red Bull könnte dabei zu einem Partner werden - und Hartley eine Art Bot- und Kundschafter. Der Debütant kennt den Circuit of the Americas von drei Siegen im Sportwagen und aus dem Simulator. Trotzdem sagt er: "Ich gehe unvorbereitet in dieses Rennen." Die Chance seines Rennfahrerlebens wird zudem wegen der Wechsel diverser Motorenteile stark getrübt, zum Einstand ist er gleich mal um 25 Startplätze zurückgestuft worden.

Ferrari hat ein Förderprogramm, aber keine freien Plätze

Neben den beiden Cockpits bei Toro Rosso gibt es für 2018 nur noch bei Williams und Sauber freie Plätze für Formel-1-Hoffnungen, nachdem Fernando Alonso bei McLaren und Max Verstappen bei Red Bull Racing gerade erst für mehrere Jahre ihre Verträge verlängert haben. Ähnlich wie Red Bull betreibt auch Ferrari ein Förderprogramm, hat aber keine Plätze frei für das kommende Jahr, weil Vettel unbedingt mit seinem Lieblingsnebensitzer Räikkönen weitermachen will. Doch das kann sich schon bald ändern, die Formel 1 steht vor einem Generationenwechsel, viele Top-Piloten sind älter als dreißig. Also muss für die aussichtsreichsten Piloten der hauseigenen Fahrerakademie, Charles Leclerc, 20, und Antonio Giovanazzi, 23, dringend ein Ausbildungsplatz gesucht werden. Wie gut, dass das Schweizer Sauber-Team weiter Kundenmotoren aus Maranello bekommt, künftig vielleicht sogar noch ein paar Rennwagenteile mehr. Maschine im Tausch gegen Mensch, das ist wohl der Plan. Der Rennstall mit der großen Talent-Historie (Michael Schumacher, Kimi Räikkönen, Felipe Massa) könnte auf Wunsch von Ferrari sogar beide Sitze für den Monegassen und den Italiener räumen.

Ziemlich sicher muss der Mercedes-Nachwuchsmann Pascal Wehrlein, 23, aus Worndorf bei Sauber gehen. Für ihn geht es wohl zurück in die DTM, auf den freien Platz bei Williams bewerben sich der bisherige Sitzinhaber Felipe Massa, der Pole Robert Kubica und der Testpilot Paul di Resta. Kein leichtes Unterfangen für Mercedes-Teamchef Toto Wolff, Wehrlein unterzubringen. Bei Esteban Ocon, ebenfalls Nachwuchs-Sternfahrer, war ihm das besser gelungen. Der Franzose fährt seit dieser Saison für Force India und gehört zu den Entdeckungen der Saison. Der 21-Jährige, früher bei Manor noch Partner Wehrleins, ist mit 65 Punkten WM-Achter. Nach Anlaufschwierigkeiten haben inzwischen auch die Debütanten Lance Stroll (Williams) und Stoffel Vandoorne (McLaren) ihr Potenzial gezeigt. Der Fahrschulbetrieb kann weitergehen.

© SZ vom 23.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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