Maradona und Argentinien:Zumindest der Leibarzt gibt Entwarnung

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Diego Maradona fühlt sich in Form für den Posten des argentinischen Nationaltrainers, die Experten sind skeptisch.

Peter Burghardt

Tag zwei der noch virtuellen Ära Diego war schon recht ereignisreich, das lag am Datum. Am 30. Oktober wurde Argentiniens wechselhafte Demokratie 25 Jahre alt, aber das ist nebensächlich, vor allem wurde Diego Maradona 48. Die Iglesia Maradoniana, die Maradona-Kirche, feierte wie angedroht eine Messe, Fernsehsender übertrugen live. Es gab wie gewohnt einen Christbaum bei derzeit schon schönen 25 Grad, denn die Menschwerdung des himmlischen Fußballers ist bei den Maradonianern Weihnachten.

Echt oder gestellt? Was die Stars wie Lionel Messi (l.) von der Ernennung Maradonas zum argentinischen Nationaltrainer halten, ist noch ungewiss. (Foto: Foto: Reuters)

Man sang und trank und betete und machte Witze. Das Geburtstagskind meldete sich nach Mitternacht am Telefon: "Danke für diese Zuneigung, in diesem Moment ist das sehr wichtig", sprach der Leibhaftige, dazu eine Prophezeiung: "Gott wird uns eine neue Freude bereiten, wie 1986", damals war Argentinien mit Käpt'n Maradona Weltmeister. Boca Juniors gewann zu seinen Ehren schon mal 1:0 in Banfield, bloß der Termin für den Donnerstag wurde verschoben.

Die offizielle Vorstellung als argentinischer Nationaltrainer findet anders als geplant erst am kommenden Dienstag statt, informierte die Verbandsführung. Argentinien, derzeit Maradonien, und der Rest der Welt müssen sich erst an diese Ernennung gewöhnen. Es ist ja seit der Papstwahl und kurz vor der Präsidentenwahl in den USA die zweifellos mitreißendste Personalentscheidung der Neuzeit. Quer über den Planeten staunen die Autoritäten.

Der Kaiser ist "überrascht"

Aus dem Freistaat Bayern meldete sich Franz Beckenbauer, Kaiser. Er ist "überrascht", das teilt er mit vielen, freut sich aber und wünscht, "dass Maradona sein turbulentes Leben überwunden hat". Aus Brasilien erklang die Stimme von Pelé, O Rei, der König. "Generell ist ein Star noch kein großer Trainer", weiß er, doch er könne von Teammanager Carlos Bilardo "viel lernen". In Italien hofft Silvio Berlusconi, Cavaliere, dass "er ruhig bleibt".

Was den Gesundheitszustand betrifft, so gab der Leibarzt Entwarnung. "Drogen und Alkohol liegen hinter ihm", versichert der Dr. Alfredo Cahe, der seinen Patienten bis vor anderthalb Jahren mehrfach auf Intensivstation und Reha hatte schicken müssen. "Das einzige, was er nimmt, ist ein Vitaminkomplex. Den letzten Gesundheitscheck habe ich vor 20 Tagen gemacht, es geht ihm physisch und psychisch sehr gut. Er kann die Auswahl ohne Probleme führen. Es ist fantastisch." Zum blasphemischen Verdacht, ihm könne eventuell die Vorbereitung für die Berufung fehlen, brummte Maradona höchst selbst: "Ich muss lachen, wenn sie mir von mangelnder Erfahrung reden. Ich habe gut zwanzig Jahre in der Selección."

Da saß er mit ernstem Gesicht, schwarzen Klamotten und schwarzer Sonnenbrille im schwarzen Mini. In seiner Gegenwart traut sich keiner, laut an ihm zu zweifeln, ihm einen Trainerkurs anzuraten wie ein Trainer in der Zeitung Clarín.

"Phase der Versöhnung"

Oder der Option Carlos Bianchi nachzuweinen wie Blogger. Der war der große Favorit der Fans und Fachleute gewesen. Viele halten Maradonas Ernennung bei aller Ehrfurcht für eine Schnapsidee. Andere freuen sich auf das mindestens interessante Experiment und stehen dazu. "Eine Etappe der Freude für die Nationalmannschaft ist geboren worden", dichtete Radiomoderator Victor Hugo Morales, der 1986 sein Solo durch die englischen Reihen kommentiert hatte und den Torschützen zum Außerirdischen erklärte.

Unterdessen äußerte sich auch jene Familie, die diese Volte der Geschichte entschieden hatte. Jahrelang hätten die Mitstreiter der 86er Riege eine Gelegenheit haben wollen, erläuterte Humberto Grondona, Sohn und Ratgeber von Verbandspräsident und Fifa-Vize Julio Grondona: "Da ist sie." Und wieso überträgt sein Vater die Leitung ausgerechnet dem zuletzt zerstrittenen Tandem Maradona/Bilardo? "Manchmal trennt sich ein Ehepaar und findet nachher wieder zusammen", dozierte Grondona Senior, "wir befinden uns in der Phase der Versöhnung."

Der Trainer von damals und sein Spielmacher stehen für zwei eher gegensätzliche Philosophien. Carlos Bilardo, 69, liebt die Blutgrätsche, Diego Maradona den Alleingang. Bloß mit Schummeleien haben beide Erfahrung. Maradona traf mit der Hand Gottes, Bilardo reichte Brasilianern eine Trinkflasche mit Schlafmittel. Wer von beiden entscheidet nun wirklich? "Das Sagen hat Maradona", beschied Patron Grondona, "aber Bilardo darf seine Meinung sagen, er wird nicht der Aufpasser an der Ecke."

Debüt in Glasgow

Raubein Bilardo dankte für das Abenteuer sogleich als Sportminister der Provinz Buenos Aires ab. Andere Teilnehmer von 1986 sind weniger überzeugt. Sergio Batista, damals ebenfalls im Team, bleibt offenbar lieber beim Nachwuchs, nachdem zuvor auch er als Kandidat für die Chefstelle gegolten hatte. "Fürs erste wollen wir niemand anderen in die Köpfe der Spieler hinein bringen als uns", beschied Maradona. Erst am Freitag wurde die Aufregung von einem wirklichen Trauerfall unterbrochen, Boca-Präsident Pedro Pompilio erlag mit 55 Jahren einem Herzinfarkt.

Maradona liebt Boca Juniors und besitzt im Stadion Bonbonera bekanntermaßen eine Ehrenloge. Jetzt will er so schnell wie möglich nach Europa und seine Stars ins Gebet nehmen. Lionel Messi in Barcelona, Carlos Tévez in Manchester, Javier Mascherano in Liverpool. Bis zur Fortsetzung der zuletzt missratenen WM-Qualifikation ist bis März Zeit. Das Debüt an der Linie steht am 19. November bevor, beim Freundschaftsspiel in Glasgow. Eine Rückkehr in die göttliche Vergangenheit: Im Hampden-Park schoss der 18-jährige Jungnationalspieler Maradona am 2. Juni 1979 sein erstes Tor für die Elf seiner Träume.

© SZ vom 31.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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