Mainz - Darmstadt (15.30 Uhr):Laufen, gewinnen und staunen

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Mann der Stunde: Martin Schmidt, Trainer des FSV Mainz 05, Bayern-Bezwinger. (Foto: Alexander Scheuber/Getty Images)

Martin Schmidt hat aus Mainz eine unverwechselbare Mannschaft gemacht.

Von Tobias Schächter, Mainz

Martin Schmidt führt die Innenflächen seiner Hände an die Stirn, dann sinkt er mit den Knien auf den Boden. Nach Sekunden auf dem Rasen steht er auf, die Hände wie zum Gebet vor dem Gesicht zusammengeführt. In seinem Blick: Ungläubigkeit. Und dann gratuliert ihm Pep Guardiola zum Sieg. Es sind diese Bilder vom Mittwochabend, kurz nach dem 2:1-Triumph des kleinen FSV Mainz 05 beim sehr, sehr, sehr großen FC Bayern München, die in Erinnerung bleiben.

Wobei: So klein ist der FSV Mainz 05 eigentlich gar nicht mehr, er ist plötzlich ein Kandidat für die Champions League. Und das liegt zu einem großen Teil am Trainer Schmidt, der gar nicht aufhören kann, darüber zu staunen.

Mainz hat 2016 unter anderem Mönchengladbach, Schalke, Leverkusen und nun die Bayern besiegt, Platz fünf ist der Lohn. Wenn die Mainzer an diesem Sonntag ihr Heimspiel gegen Darmstadt 98 (15.30 Uhr) gewinnen, können sie sich tatsächlich "nicht mehr davor verstecken, sich andere Ziele zu setzen", wie Kapitän Julian Baumgartlinger sagt. 40 Punkte zu erreichen, war das Zwischenziel. Ein Sieg im hessisch-rheinhessischen Derby gegen die Lilien - und Mainz 05 hätte 42 Punkte. Nach 25 Spieltagen.

Bevor er Trainer wurde, hat Schmidt Schafe gehütet und Autos repariert

Aber Martin Schmidt, 48, staunt nicht nur über den Erfolg seiner Mannschaft, er staunt auch über sich selbst. Es ringt ihm auch nach einem Jahr als Trainer in Mainz noch immer ein stilles Lächeln ab, dass er, der Junge aus Naters im Schweizer Kanton Wallis, in der Bundesliga erfolgreich ist.

Schmidt ist ein Quereinsteiger und schon deshalb für viele eine schräge Figur in der Fußballbranche. Er hat als Jugendlicher Schafe gehütet in den Bergen des Wallis, später entdeckte er die Liebe zu schnellen Autos und arbeitete zehn Jahre lang als Mechaniker bei den Rennen der Deutschen Tourenwagenmeisterschaft. Er gründete eine Bekleidungsfirma, deren stiller Teilhaber er heute noch ist. Außerdem war er Bergführer, Extremskifahrer und unterklassiger Kicker, der sieben Kreuzbandrisse hinter sich hat. Schmidt kannte das Leben also aus vielen Perspektiven, bevor er 2010 auf Empfehlung von Thomas Tuchel als Nachwuchstrainer in Mainz anheuerte. Die beiden hatten sich bei einem Nachwuchsturnier in der Schweiz kennengelernt.

Seit einem Jahr trainiert Schmidt nun die Profimannschaft des FSV, er hat aus Mainz 05 seither wieder eine unverwechselbare Mannschaft gemacht, wie sie das auf andere Art und Weise auch schon unter Motivator Jürgen Klopp und Taktiker Thomas Tuchel war. Schmidts Hauptaugenmerk liegt auf der physischen und psychischen Vorbereitung seiner Spieler. Keine Mannschaft läuft so viel wie die Mainzer, keine macht so viele intensive Sprints. Wenn seine Spieler eine harte Einheit durchgezogen haben, sagt Schmidt schon mal: "Es hat Spaß gemacht, euch zu knechten."

Schmidt dokumentiert jedes Training, jeden Sprint, jede Laufleistung

Er sieht sich als Entwickler, als Spieler-Bessermacher. Mit seinem Trainerstab dokumentiert er jedes Training, erstellt Listen über jeden Spieler, in die jeder Sprint, jede Laufleistung und jedes Ergebnis eines noch so kleinen Trainingsspiels notiert werden. Die Daten liefern ihm ein klares Leistungsbild und fördern die Wettkampfmentalität. Angeblich war schon länger kein Spieler mehr in der Trainerkabine, um sich über eine Nichtnominierung zu beschweren. Schmidt hat mit den Daten und seiner natürlichen Autorität zwei unschlagbare Argumente.

Siegermentalität zu fördern, ist seine Passion. Dazu lässt sich Schmidt immer wieder neue Dinge einfallen. Im Sommer schickte er einmal Spieler direkt nach einem verlorenen Trainingsspiel in Trainingskleidung und Stollenschuhen zur nahen Eisdiele, um für die Sieger Eis zu holen. "Das ist denen peinlich, das wollen die nicht mehr erleben." Oder in der Wintervorbereitung: Da ging er mit der Mannschaft in seiner Heimat zelten - hoch oben, im Schnee der Berge des Wallis. Kapitän Baumgartlinger erzählt: "Das war ein eindrucksvolles Erlebnis, gut für den Kopf."

Die aktuelle englische Woche mit den Spielen gegen Leverkusen, Bayern und am Sonntag gegen Darmstadt plante Schmidt vom Ende her. Die Aufstellung gegen Darmstadt stand schon vor einer Woche fest. Er braucht in diesem Spiel die wenigen großen Spieler gegen den kopfballstarken Gegner. Schmidt weiß, dass kaum ein Spieler auf bestimmten Positionen drei Mal in einer Woche eine solche Laufleistung vollbringen kann, wie er sie einfordert. Gegen Leverkusen liefen die Mainzer Profis 120 Kilometer in 90 Minuten, gegen die Bayern sogar 125, extrem hohe Werte im Ligavergleich. "Entweder ich mache etwas richtig, oder gar nicht", sagt Schmidt.

Am Sonntag ist das heimische Stadion mal wieder ausverkauft, Schmidt sagt: "Es ist meine Aufgabe, mental anzukurbeln, die Spieler lieben das. Das ist ein Derby, eine coole Aufgabe, das nächste Highlight für uns." Aber Schmidt ist keiner, der glaubt, dass ihn ein Sieg gegen die Bayern zu einem besseren Menschen macht. An jenem Abend, erzählt er, sei er mit einem Lächeln ins Bett gegangen. "Aber wenn man morgens aufwacht, weiß man: Harte Arbeit ist der beste Weg zur Demut."

© SZ vom 06.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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