Leichtathletik:Zu gut für Olympia?

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8,40 Meter mit einer Prothese: Markus Rehm bei der WM in Doha. (Foto: Francois Nel/Getty Images)

8,40 Meter mit einem Bein: Sein Weltrekord bei der WM in Doha bringt Prothesen-Weitspringer Markus Rehm ein Dilemma ein - Nicht-Behinderte können seine Leistung als Gefahr deuten. Klarheit könnte nur eine teure Studie bringen.

Von Johannes Knuth

Markus Rehm war glücklich. Er erzählte, dass er nicht unbedingt damit gerechnet habe, diese 8,40 Meter springen zu können, den Weltrekord, der ihn am Wochenende zum Titel bei der Leichtathletik-WM der Behinderten getragen hatte. Er sagte, dass alles zusammengepasst habe. Was Sportler nach Erfolgen halt so erzählen. Und dann wurde Rehm doch rausgerissen aus seiner Freude. Weil er jetzt vielleicht annehmen muss, dass die Nicht-Behinderten seine Leistung aus Doha als Gefahr deuten.

Mit seinen 8,40 Metern vom Wochenende wäre Markus Rehm 2012 in London Olympiasieger geworden. Und Rehm wirbt ja dafür, bei Olympia antreten zu dürfen, die Frage ist auch, ob in getrennter oder gemeinsamer Wertung. Es ist eine komplizierte Frage, weil sie ein tiefes Thema berührt: Wie organisiert man Inklusion, also dass Menschen mit Behinderung am Alltag teilhaben? Oder übersetzt in die Welt der Leichtathleten: Sind Rehms Leistungen mit denen nicht-behinderter Weitspringer vergleichbar, weil sie vergleichbar zu sein scheinen?

Der Prothesenspringer Markus Rehm, 27, wandelt seit einer Weile zwischen den Grenzen der olympischen und paralympischen Welt. Vor eineinhalb Jahren durfte er bei den deutschen Meisterschaften mitmachen - und gewann. Er überraschte nicht nur Publikum und Konkurrenz, sondern auch den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), der plötzlich eine komplizierte Debatte moderieren musste: Steigert Rehms Prothese seine Leistung? Oder ist es nicht einfach nur ein künstliches Gliedmaß, das ihm das Springen erst ermöglicht?

Rehm durfte seinen Titel behalten. Zur EM nach Zürich nahm ihn der DLV aber nicht mit. Biomechaniker, die Rehms siegbringende Sprünge analysiert hatten, stellten fest: Rehm läuft viel langsamer an als Athleten mit zwei Beinen, steigt aber viel kraftvoller in die Luft. Was nahelegt, dass ihm dabei der Karbonfuß hilft, mit dem er abspringt. Was wiederum dafür spräche, dass Prothesen-Weitsprung und Weitsprung zwei unterschiedliche Sportarten sind, die unterschiedliche Qualitäten verlangen. Und dass sich die Ergebnisse eines Behinderten und eines Nicht-Behinderten in diesem Fall zwar überlappen; aber nicht zwingend auf gleiche Weise zustande kommen. Dass Rehm nicht bei Olympia starten darf, wäre demnach kein Urteil gegen die Idee der Inklusion, sondern ein Urteil dafür, dass Leistungen in einem Wettkampf nachvollziehbar erbracht werden müssen, ohne Zweifel daran, welchen Anteil eine Prothese haben könnte. Aber das alles steht im Konjunktiv, weil nach wie vor eine belastbare, teure Studie fehlt.

Der Weltverband IAAF könnte diese Studie in Auftrag geben und die Debatte entwirren. Er müsste das sogar, als Weltregierung der Leichtathletik. Die IAAF hat vor kurzem aber eine neue Regel verabschiedet, die vom 1. November an "jede mechanische Hilfe" untersagt - es sei denn, die Athleten beweisen, dass ihre Prothese keinen Vorteil bringt. Die IAAF unterstellt Athleten wie Rehm also nicht nur pauschal Technik-Doping, sie schiebt auch die teure Beweisführung an sie ab. Womit sie genau das verhindert, was sich Rehm seit dem DM-Titel wünscht: Klarheit.

© SZ vom 27.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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