Leichtathletik:Taktische Finessen

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Drei wichtige Zeitmarken innerhalb von drei Wochen unterboten: Mittelstreckentalent Konstanze Klosterhalfen. (Foto: Gladys Chai von der Laage/imago)

Beim deutschen Sieg bei der Team-EM überzeugen vor allem die Mittelstrecklerinnen um die Rheinländerin Konstanze Klosterhalfen.

Von Joachim Mölter, Lille

Jugend bringt Hoffnung mit sich, auf Neues und Besseres, Schöneres und Erfolgreicheres. Und weil in der Leichtathletik die Hoffnung auf bessere Zeiten systemimmanent ist, sind sie dort immer ganz hibbelig, wenn ein neuer Schwung Talente auftaucht wie gerade bei der Team-EM in Lille. Beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) wollten sie die Veranstaltung bloß nutzen, "um die Mannschaftsbildung im ersten Jahr nach Olympia voranzutreiben und junge Athleten zu integrieren", wie Idriss Gonschinska es formuliert, der Leitende Direktor Sport. Doch nachdem die DLV-Auswahl am Sonntag den Titel zum dritten Mal nach 2009 und 2014 geholt hatte, vor Polen und Gastgeber Frankreich, stellte Gonschinska zufrieden fest: "Einige Junge haben uns sehr, sehr viel Freude gemacht."

Damit meinte er auch den Dreisprung-Europameister Max Heß, 20, aus Chemnitz, der am Sonntag mit 17,02 Meter gewann und das Wochenende abrundete. Er bezog sich aber vor allem auf die Mittelstrecklerinnen, die sich in Szene gesetzt hatten: Konstanze Klosterhalfen (Leverkusen) als Siegerin über 1500, Hanna Klein (Schorndorf) als Zweite über 3000, Alina Reh (Ulm) als Dritte über 5000 Meter. Vor allem Klosterhalfen weckt Hoffnung.

Innerhalb von drei Wochen, zwischen 19. Mai und 8. Juni, ist der rheinischen Frohnatur ein starkes Triple gelungen: Die 20-Jährige lief die 800 Meter unter zwei Minuten (1:59,65), die 1500 unter vier (3:59,30) und die 5000 unter 15 (14:51,38). So eine Serie hat weltweit noch keine Athletin ihres Alters hingelegt. "Langfristig", glaubt Gonschinska, "kann sie die Weltklasseläuferinnen aus Afrika angreifen."

Am Sonntag hat Klosterhalfen erst mal die kontinentale Spitze aufgemischt und über 1500 Meter zwei Europameisterinnen hinter sich gelassen, die Polin Angelika Cichocka, Titelträgerin auf eben dieser Distanz, sowie 800-Meter-Champion Natalija Pryschtschepa (Ukraine). Mehr als Klosterhalfens Zeit (4:09,57) beeindruckte ihre Renngestaltung. "Sie ist aus einem 1500-Meter-Rennen heraus die letzten 800 Meter in 2:02 Minuten gelaufen", analysierte Gonschinska; das war eine Zeit, mit der sie tags zuvor über die kürzere Distanz vorne gewesen wäre.

"Ich sollte mich zurückhalten und dann antreten", erklärte Klosterhalfen die Taktik und gab zu: "Davor hatte ich ein bisschen Angst." Für gewöhnlich rennt die 1,74 Meter große Frau mit ihren langen Beinen von Anfang an vorneweg, diesmal demonstrierte sie, dass sie das Tempo unterwegs verschärfen kann. "Ich bin glücklich, dass ich ein Rennen auch mal so gestalten konnte", sagt sie: "Zuletzt ging es ja immer mehr um die Zeit, heute war es ein Meisterschaftsrennen." Da sind taktische Finessen gefordert, die man erst lernen muss. Oder wie es DLV-Funktionär Gonschinska ausdrückt: "Die spezielle Wettkampf-Situation kannst du nicht trainieren."

Der 3000-Meter-Zweiten Hanna Klein (9:01,64) bescheinigte er ebenfalls "taktisch unheimlich clever" gelaufen zu klein. Die 24-Jährige ist trotz ihres fortgeschrittenen Alters die Newcomerin der Szene. Ursprünglich auf den 800 Metern daheim, hat sie in dieser Saison bereits die WM- Normen über 1500 und 5000 Meter erfüllt. Auf der langen Distanz darf auch Alina Reh damit rechnen, Anfang August in London dabei zu sein. In Lille musste sich die U20-Europameisterin von 2015 in 15:32,50 Minuten mit Platz drei begnügen, "ab 3000 Meter hat mein Oberschenkel zugemacht", erklärte sie. Immerhin: Eine solche Auswahl von WM-tauglichen Läuferinnen ist eine Bereicherung für den DLV. "Sie profitieren davon, dass Gesa-Felicitas Krause gezeigt hat, dass man international mitlaufen kann", sagt Gonschinska über die Nachrückerinnen. Die für Trier startende Hindernisspezialistin ist zwar auch erst 24, hat aber bereits Meriten vorzuweisen: WM-Dritte 2015, Europameisterin 2016, seit Mai deutsche Rekordlerin (9:15,70 Minuten), am Samstag Siegerin in einem einsamen Rennen (9:27,02). Krause steigert sich stetig, und sie sucht die Konkurrenz der Weltbesten. "Entscheidend ist, dass man die Chance bekommt, international mitzulaufen", findet der DLV-Sportchef, "und wenn man die Chance hat, bei der Diamond League mitzumachen, muss man sie nutzen." Wie jüngst Klosterhalfen, die im Rahmen der Wettkampfserie ihre 1500-Meter-Bestzeit aufstellte.

In diesem Sommer kommen noch einige internationale Rennen auf die Studentin zu, bei denen sie Wettkampferfahrung sammeln kann: im Juli die U23-EM in Bydgoszcz (Polen), im August die WM in London. "Die ist noch weit weg", findet Klosterhalfen und mahnt sich selbst: "Immer Schritt für Schritt." Auch Gonschinska fordert zunächst einmal Geduld: "Es sind alles junge Athleten, die sich entwickeln. Aber es wird nicht linear nach vorne gehen." Viele Hoffnungsträger sind schon eingebrochen unter den Erwartungen, die man ihnen in der Jugend aufgebürdet hat.

© SZ vom 27.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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