Leichtathletik:Surreale Steigerung

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Nur einer war schon schneller: Abderrahman Samba. (Foto: Francois Mori/dpa)

Der Katarer Abderrahman Samba nähert sich dem Weltrekord über 400 Meter Hürden. Dabei ist er diese Strecke erst vor einem Jahr zum ersten Mal gelaufen.

Von Johannes Knuth, München

Karsten Warholm könnte in diesen Tagen durchaus zufrieden sein mit seinem Athletenleben. Der Norweger ist seit einem Jahr Weltmeister über 400 Meter Hürden, was er damals mit flotten Sprüchen und einem Wikingerhelm auf dem Kopf zelebrierte. Zuletzt hat Warholm seinen Landesrekord sogar auf 47,81 Sekunden gedrückt. Und doch verlebe er gerade ein "komisches" Jahr", sagte der 22-Jährige beim Diamond-League-Meeting in Paris. "Ich laufe noch härter als im Vorjahr, als ich fast alles gewonnen habe. Und jetzt ist da dieser Typ", sagte Warholm, lächelte und zeigte auf Abderrahman Samba, der neben ihm saß: "Er läuft fast in einer anderen Welt. Wenn Abderrahman das Tempo auf den letzten Metern hochhält, wirkt es so, als würden wir anderen eingehen."

Alle paar Jahre erfasst ein Trend die internationale Leichtathletik wie ein wiederkehrendes Wetterphänomen. Dann scheren sich ein paar Hochbegabte nicht um die Grenzen ihres Sports und treiben das Niveau in ihrer Disziplin in lange nicht erreichte Höhen. Warholm, der ehemalige Zehnkämpfer, machte im vorigen Jahr den Anfang über 400 Meter Hürden. Rai Benjamin hämmerte vor ein paar Wochen bei den amerikanischen Uni-Titelkämpfen 47,02 Sekunden in die Bestenliste. Kyron McMaster von den Britischen Jungferninseln verbesserte sich in Paris auf 47,52 Sekunden. Und dann ist da natürlich Abderrahman Samba. Der 22 Jahre alte Katarer steigerte in diesem Jahr fünfmal die Weltjahresbestmarke, am erstaunlichsten nun in Frankreichs Hauptstadt: 46,98 Sekunden. In diese Region war nicht einmal der große Amerikaner Edwin Moses vorgestoßen. Nur dessen Landsmann Kevin Young war jemals schneller, bei seinem Weltrekord von 46,78 Sekunden in Barcelona. Das war bei Olympia 1992.

Eine neue Generation hat das Kommando auf dieser Strecke übernommen, mit einer Kraft, die sogar ihr selbst langsam unheimlich vorkommt. "Es hat sich definitiv nicht so schnell angefühlt", sagte Samba nach seinem Lauf in Paris, "ich habe vor der ersten Hürde kurz die Balance verloren." Nur: Was schert einen die erste Hürde, wenn man einer Gabe vertraut, die derzeit kein anderer hat? Samba weigert sich einfach, auf den letzten 100 Metern langsamer zu werden, so wie er in seiner bisherigen Karriere kaum Ermüdungserscheinungen zeigte. Als er in Paris nach seinem strammen Spurt im Ziel eintraf, mit Goldkette, verspiegelter Brille und neongelben Socken, da gefror sein Gesicht für einen Moment zu einer Maske des Schocks. 46,98. "Ich hätte nicht gedacht, so schnell zu laufen", sagte Samba. Dann beschloss er: "Jetzt bin ich erst mal sprachlos."

Samba ist in Saudi-Arabien geboren, startete zunächst für Mauretanien, die Heimat seines Vaters. Er schloss sich 2015 dem katarischen Verband an, der im kommenden Jahr die WM ausrichtet und zuletzt in die Kritik geriet, weil er Athleten abwarb wie auf einem globalen Transfermarkt. Samba war vielseitig geschult, als er ins Emirat umzog, er hatte sich im Hochsprung, Weitsprung und in den Langsprints versucht; als 18-Jähriger lief er die 200 Meter in 21,40 Sekunden, die 400 in 47,45. Und er war, wie Mitbewerber Warholm, ein Beispiel für die Theorie, dass es sich lohnen kann, sich nicht zu früh einer Disziplin zu verschreiben. Samba bestritt sein erstes Rennen über die Langhürden im März 2017, in 50,53 Sekunden. Es folgten: eine Verletzung, die ihn bei der WM im August bremste, und eine surreale Steigerung. Seit den Titelkämpfen von London hat Samba kein Rennen mehr verloren und er tritt dabei mit einer Dynamik auf, die dem in seinem Nachnamen verewigten Tanz durchaus zur Ehre gereicht.

Klar, dass das nicht nur Begeisterung hervorruft in einem Sport, der immer wieder von Dopingskandalen erschüttert wird. Samba verweist auf sein Talent und "haard worrrk", harte Arbeit, von der er in einem kantigen englischen Dialekt erzählt, ehe er lächelt wie ein unschuldiger Konfirmand. "Ich denke, jetzt ist alles möglich", sagte er in Paris mit Blick auf den Weltrekord. Warholm glaubt ebenfalls, "dass es unseren Sport ruinieren würde, wenn wir keine Rekorde mehr brechen". Aber er weiß auch, dass die Hatz nach Bestmarken den Blick vernebeln kann. "Es macht mir Spaß, mich mit Läufern wie Abderrahman zu messen. Deshalb habe ich angefangen mit dem Laufen, und das wollen die Leute doch sehen", findet Warholm: "Es geht um das Rennen, nicht um einzelne Personen." Der 22-Jährige ahnt vermutlich, dass die letzten Schritte zum Gipfel die schwersten sind, egal, wie weit man bei der Wanderung bereits vorangekommen ist. Am Donnerstag steht in Lausanne die nächste Etappe an.

© SZ vom 04.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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