Leichtathletik:Strategiespiel mit Risiken

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Die Laufsaison beginnt - und im Verband fehlt weiterhin ein einheitliches Trainingskonzept, die Wünsche der Athleten bleiben unberücksichtigt. Trotzdem ist Möldner-Schmidt auf Medaillen-Mission.

Von Thomas Hahn

Die Lauftrainerin Beate Conrad fliegt durch die Zukunft, Monat für Monat. Sie hat ihren Terminkalender auf den Tisch in einem Café in Hamburg-Winterhude gelegt, sie blättert darin, und dabei ist es tatsächlich so, als vergehe die Zeit wie im Fluge. Schnell wird der April vorbei sein, im Mai wären schon die ersten Wettkämpfe, an denen Antje Möldner-Schmidt, die Hindernis-Europameisterin, Conrads beste Athletin, teilnehmen könnte. Aber daraus wird nichts, das kann Beate Conrad jetzt schon sagen nach einem Winter, in dem Antje Möldner-Schmidt wegen Fuß-Schmerzen und Krankheit pausieren musste. Im Juli will sie zu den deutschen Meisterschaften in Nürnberg. Aber die WM Ende August im stickigen Peking passt schlecht ins Programm von Möldner-Schmidt, denn danach ist gleich Herbst mit Ausbildungsterminen bei der Bundespolizei und Urlaub, und dann fliegt die Zeit schon wieder Richtung Olympia 2016: November, Dezember, Januar. Und bei Olympia soll Antje Möldner-Schmidt ja in Bestform sein. Beate Conrad redet nicht drumrum. "Mission Medaille. Das sage ich so, wie es ist."

Der Frühling ist die Zeit der Trainingslager in der Leichtathletik, die Sportler legen die Grundlagen für das, was kommt, gerade die Läufer sind ein sensibles Volk. Mehrere Trainingslehren sind im Umlauf zu der Frage, wie man die Belastungsreize so setzt, dass sie die Leistung wirklich fördern und die Athleten nicht in einen Zustand bleibender Erschöpfung hineinhechelt. Es ist ein Strategiespiel mit Risiken. Wer hier Fehler macht, wird bei den wichtigen Wettkämpfen rettungslos seinen Ansprüchen hinterherrennen.

Beate Conrad zum Beispiel, einst Läuferin für die DDR, derzeit Landestrainerin in Hamburg, hält wenig von mächtigen Kilometer-Umfängen und Intervallen, die über dem Wettkampftempo liegen. Die Pause ist eines ihrer wichtigsten Instrumente, um ihre Leute fit zu halten. Deshalb kann es sein, dass ihre Europameisterin Möldner-Schmidt eher selten startet in der ersten Saison nach deren Gold-Coup von Zürich, damit der Aufbau für Olympia klappt. "Man kann nicht auf den Knopf drücken, um eine Spitzenleistung abzurufen", sagt Beate Conrad.

Beate Conrad könnte abendfüllend diskutieren über das, was sie sinnig und unsinnig findet an den unterschiedlichen Philosophien der unterschiedlichen Kollegen. Aber das macht sie öffentlich nicht. Das lenkt nur von der eigenen Arbeit ab, außerdem ist ohnehin schon genügend Streit in der Szene, weil manche Experten einfach nicht zusammenpassen.

Im vergangenen Jahr hat es einen Brief von 30 Athleten gegeben, in dem diese die Absetzung des Leitenden Langstrecken-Bundestrainers Wolfgang Heinig forderten. Die Autoren des Briefs beklagten Heinigs Führungsstil, seinen Umgangston und dass er als Heim-Coach seiner Frankfurter Läufer-Gruppe in Interessenskonflikten stecke. Anschließend gab es Friedensgespräche mit den aufständischen Athleten beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), der DLV gelobte Veränderungen, und ein Jahr später stellt sich die Frage, wie weitreichend diese waren. Weitreichend, findet der DLV. Nicht so weitreichend, finden die Kritiker.

DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen schreibt auf Anfrage in einer ausführlichen Email: Nach "einer sehr offenen und konstruktiven Diskussion" habe Heinigs Aufgabengebiet "eine nicht unerhebliche inhaltlich-strukturelle Veränderung" erfahren, demnach habe er "keine sportfachliche Führung eines Bundeskaders" und "keine Personalverantwortung in der Disziplingruppe Lauf" mehr inne. Aber Leitender Bundestrainer ist Heinig immer noch, zuständig "für die sportfachliche Weiterentwicklung der DLV-Disziplintrainer im Nachwuchs", wie Kurschilgen schreibt, und im Namen des DLV mit der Mission betraut, seine Frankfurter Gruppe mit Nationalläufern wie Homiyu Tesfaye und Gesa-Felicitas Krause zu trainieren. Löst man so Interessenskonflikte?

"Leider ist faktisch meiner Meinung nach nicht so viel passiert, wie sich die Athleten das gewünscht haben", sagt Carsten Schlangen, Athletensprecher und Unterstützer des Sportler-Briefs; wobei der Olympia-Teilnehmer Schlangen einräumt, dass er selbst nicht mehr betroffen sei, weil er mittlerweile seine Karriere als Mittelstreckler beendet hat. Der Regensburger Kurt Ring, Heimtrainer der Olympia-Teilnehmerin Corinna Harrer und anderer Kaderläufer, ist dagegen ganz klar in seinem Urteil. "Es hat sich nichts getan. Es läuft so wie immer", sagt er, "es ist kein Konsens da. Es gibt eine Lagerbildung bei uns, und die wird auch in dieser Konstellation nicht aufhören."

In verschiedenen lokalen Zellen arbeitet jeder Trainer nach seiner Auffassung, und in einer dieser lokalen Zellen sitzt eben der umstrittene Heinig, 64, ein Anhänger hoher Trainingsumfänge, als Leitender Bundestrainer, der den Trainernachwuchs heranziehen soll. Ein echtes System ist das nicht, was sich der DLV da leistet. Es fehlt der große einende Überbau. Und mancher fragt sich, ob es mehr mit Beziehungen als mit Leistung zu tun hat, wer aus welcher Trainingsgruppe wie viel Fördergeld und welche Sportsoldatenstelle bekommt.

Immerhin: Wer erfolgreich ist, kann seiner Linie treu bleiben. Beate Conrad beschwert sich nicht. Ihre Europameisterin Antje Möldner-Schmidt ist im Top-Team für Rio. "Dadurch habe ich die Möglichkeit, das Jahr so zu planen, wie ich mir das vorstelle." In Absprache mit dem Hindernis-Bundestrainer Werner Klein, versteht sich. Der weiß deshalb auch, dass Antje Möldner-Schmidt es dieses Jahr mit Blick auf Olympia langsam angehen lässt. Möldner-Schmidt, 30, ist schließlich nicht mehr die Jüngste, sie hat 2010 eine Krebserkrankung überwinden müssen, und dieser Winter hat gezeigt, dass auch EM-Gold nicht vor gesundheitlichen Rückschlägen schützt. Schade um die schöne WM-Saison? "Du kannst zehn Mal mit dem Kopf gegen die Wand rennen, die Wand ist stärker", sagt Beate Conrad, "das muss man verstehen."

Sie will ihre Leute ohne Beulen durchs Athletenleben bringen.

© SZ vom 04.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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