Leichtathletik:Rückkehr des Schnellzuckers

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Wieder auf der Höhe: Nach zwei sehr mäßigen Jahren hat Eike Onnen in diesem Sommer zu seiner alten Leistungsstärke zurückgefunden. (Foto: imago)

Der Hochspringer Eike Onnen startet noch einmal durch: Für die deutschen Meisterschaften hat er sich zum Favoriten aufgeschwungen.

Von Joachim Mölter, München

Die Hochspringer sind die ersten, die an diesem Wochenende bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften im Nürnberger Frankenstadion zum Finale schreiten, am frühen Samstagnachmittag wird das sein, und nicht einmal die Bundestrainerin Brigitte Kurschilgen hätte vor ein paar Wochen gedacht, dass Eike Onnen bei dieser Gelegenheit noch mal als Favorit antreten würde. "In dieser Form hätte ich das nicht erwartet", sagt sie jedenfalls über das Comeback des viermaligen Freiluft-Meisters von der LG Hannover.

Mit 2,32 Meter, übersprungen Ende Juni bei einem Meeting in dem baden-württembergischen Städtchen Bühl, "sauber, glatt und ohne die Latte zu touchieren", wie Brigitte Kurschilgen beobachtet hat, führt Eike Onnen die nationale Rangliste an. So hoch ist seit vier Jahren kein Deutscher mehr gesprungen und höher seit sechs Jahren nur einer - der Dresdner Raúl Spank bei seinem WM-Bronzegewinn 2009 in Berlin mit 2,33. Der 27 Jahre alte Spank krabbelt derzeit in einem schon lange anhaltenden Formtief herum, und die Bundestrainerin versucht, ihn mit Onnens Vorbild zu ermutigen, nicht aufzugeben.

Eike Onnen wird Anfang August 33, in dem Alter ziehen sich die Leichtathleten eher ins Berufsleben zurück als noch einmal durchzustarten. Zumal dann, wenn sie zwei solche Jahre hinter sich haben wie er. "Ich hab' nur wenige Wettkämpfe gemacht, über die Leistungen braucht man eigentlich nicht zu reden", sagt Onnen. Für Statistik-Interessierte: Über 2,12 Meter kam er nicht hinaus. "Ich hatte einfach nicht den Kopf frei für Sport", erklärt er. Im Herbst 2012 hatte er ein Bachelor-Studium an der niedersächsischen Polizeiakademie begonnen, das hat ihn beschäftigt. "Im Moment ist es ein bisschen entspannter", sagt er; deshalb habe er seine Konzentration wieder in Richtung Sport lenken können. "Ich habe mir schon zugetraut, noch mal 2,30 zu springen", sagt Onnen, der seit 2007 mit einer Bestleistung von 2,34 in den Büchern steht: "Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass es gleich so gut läuft." In diesem Jahr wollte der 1,94 Meter große Athlet bloß regelmäßig wieder über 2,20 kommen; die 2,30 waren eher ein Ziel für nächstes Jahr. "Das war der Plan", sagt er, und in dem kam die WM-Teilnahme im August in Peking nicht vor. Weil er sich dafür aber nun mal qualifiziert hat, will er auch hin. "Man könnte es so sehen, dass es ein schöner Auftakt für Olympia ist", sagt er.

2016 soll das beste Jahr seiner Karriere werden, das hat sich Onnen jedenfalls vorgenommen: Da will er endlich einmal bei Olympia dabei sein. Für Peking 2008 hatte er die Norm des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) bereits erfüllt, aber dann konnte er doch nicht mit nach China wegen einer Fußverletzung. 2012 wurde er zwar deutscher Meister, aber für die Spiele in London fehlte ihm die geforderte Höhe. Also bleibt ihm nun Rio als letzte Chance.

Auch wenn die Höhepunkte dieser Saison noch bevorstehen - Eike Onnen kann auf diesem Jahr aufbauen. Außer den 2,32 hat er noch zweimal 2,30 bewältigt; die Bundestrainer Kurschilgen findet, da könne man nicht mehr von einer plötzlichen Leistungsexplosion reden, sondern von einem stabilen Niveau. Zumal Onnen, wie sie weiß, "häufiger die 2,30 attackiert hat, als es die reinen Resultate vermuten lassen".

Die Mutter ist auch die Trainerin - "aber sie macht keinen Druck"

Das ist ja so etwas wie ein Markenzeichen von Eike Onnen, dass er zwischen den einzelnen Höhen die größten Sprünge aller Athleten macht; dass er nach 2,20 so lange aussetzt, bis die Latte bei 2,30 liegt. Was bisweilen eben zur Folge hat, dass er nur mit 2,20 in der Ergebnisliste steht, wenn er die 2,30 knapp gerissen hat. Früher waren diese ungewöhnlichen Steigerungen einem Fußbruch samt Bänderrissen geschuldet: Er musste die Belastung im Wettkampf dosieren und konnte gar nicht so oft springen. Inzwischen sei der Fuß längst schmerzfrei, sagt er, wozu möglicherweise auch die beiden Jahre beigetragen haben, in denen er es ruhiger angehen ließ. "Wenn man gewisse Höhen drauf hat, versucht man eben, so schnell wie möglich hinzukommen", erklärt er nun seine großen Sprünge zwischen den Sprüngen.

Das schnelle Hinkommen zur Latte sei generell eine herausragende Qualität von Eike Onnen, findet Brigitte Kurschilgen, einst selbst eine respektable Hochspringerin mit 1,95 als Bestleistung. "Er hat eine hohe Anlaufgeschwindigkeit und setzt sie fast ohne Energieverlust in Höhe um", hat sie analysiert. Onnen muss das Bein beim Abspringen kaum beugen, wie die meisten anderen Springer. "Er ist ein Schnellzucker", sagt Kurschilgen mit Hinweis auf eine besondere, angeborene Fähigkeit der Muskeln: "Das ist nicht trainierbar."

Man könne diesen außergewöhnlich schnellen Muskelimpuls aber auch lahmlegen durch falsches Training, weiß Eike Onnen. Dafür, dass das nicht passiert, sorgt seine Mutter, die auch seine Trainerin ist. Astrid Fredebold-Onnen war einst selbst eine gute Leichtathletin, man darf jetzt aber nicht denken, dass sie deshalb auch eine ehrgeizige Sportmutter ist, wie man sie vom Eiskunstlaufen kennt. "Sie macht keinen Druck", versichert Onnen, das älteste von fünf Kindern, "sie lässt einem den Spaß an der Sache." Die Mutter hat ihn selbst in den vergangenen Jahren zu nichts gedrängt, vielleicht sei auch das ein Geheimnis für den neuerlichen Aufschwung, glaubt Onnen: "Ich merke, dass der Körper wieder mehr hergibt, und der Kopf auch."

© SZ vom 24.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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