Leichtathletik:Rehkitz mit neuer Niere

Lesezeit: 3 min

Letzter Auftritt vor dem dringenden Eingriff: Aries Merritt bei der Weltmeisterschaft 2015 in Peking. (Foto: Ian Walton/Getty Images)

Der US-amerikanische Hürdensprinter Aries Merritt wusste nicht, ob er je wieder laufen kann. Ein halbes Jahr nach seiner Transplantation kehrt er zum Saisonauftakt - dem Diamond-League-Meeting in Doha - zurück.

Von Johannes Knuth, München/Doha

Aries Merritt kann sich noch an den Moment erinnern, als die Ärzte aufzählten, was alles passieren könnte. Zwischenfälle bei der Narkose, Blutungen, eine Lungenembolie, Herzversagen, Tod, eine Nierentransplantation birgt eben gewisse Risiken. "Bei meinem Glück", dachte sich Merritt also, halb im Scherz, "sterbe ich bestimmt."

Am Freitag machen sich die Leichtathleten in die Olympiasaison auf, beim ersten großen Freiluft-Test des Jahres, dem Diamond-League-Meeting in Doha. Der Wettkampf ist der erste einer Art Weltcup-Serie mit 14 Stationen. Die Serie ist noch immer nicht ausgereift, sie verfügt zum Beispiel über keinen Hauptsponsor, in ihrem siebten Jahr. Dennoch freuen sie sich in der Branche gerade auf jedes Meeting. Sie bieten dem Sport ein wenig Ablenkung in Zeiten von Skandalen und Glaubwürdigkeitskrisen. Und so spürte man zuletzt auch die Erleichterung, als Athleten und Funktionäre in Doha die üblichen Wortbeiträge absetzen, die man zum Saisonstart eben absetzt, dass es einem gut geht und so.

Und dann ist da der 110-Meter-Hürdensprinter Aries Merritt, 30, aus Chicago, der in Doha starten wird, für den selbst das übliche Protokoll vor dem ersten Formtest ein außergewöhnlicher Akt ist.

Merritt, ist eine der besten Fachkräfte der Leichtathletik, Olympiasieger 2012, kurz darauf wanderte auch der Weltrekord in seinen Besitz (12,80 Sekunden). Umso schärfer fiel der Kontrast im folgenden Sommer aus. Merritt, der so schnell und sauber wie kaum ein anderer über die Hürden gleitet, lief schlampig, im fein justierten System knirschte es. Bei der WM 2013 wurde er Sechster. Es dauerte eine Weile, ehe sie seinen Nierenschaden entdeckten.

Die Nieren das Klärwerk des Körpers, sie filtern Schadstoffe aus dem Blut. Wenn sie nicht mehr richtig arbeiten, steigt der Blutdruck, Müdigkeit kriecht in den Körper, langsam, das macht die Krankheit tückisch. Merritt, bei seinem Glück, fing sich kurz darauf einen Infekt ein, das Virus griff die Niere an, es dauerte ein halbes Jahr, ehe die Ärzte alles im Griff hatten. Nur, dass seine Nierenleistung bereits auf 20 Prozent abgesackt war. Merritt lief wieder, aber er lebte nicht mehr wie ein Hochleistungssportler, "du musst essen wie ein Vogel", sagte er vor Kurzem, kein Eiweiß, kein Phosphat, kein Magnesium. Die Ärzte drängten ihn zu einer Operation, da rückte die WM 2015 bereits näher, Merritt wollte zumindest dort noch starten. "Ich durfte mich nicht fühlen, als sei etwas nicht normal", sagte er damals. In Peking verstieß er gegen so ziemlich jeden Ratschlag der Doktoren. Es hätte ja sein letzter Auftritt sein können, falls die Operation nicht klappt.

Merritt gewann dann Bronze.

Kurz darauf also die Operation. Sie glückte. Seine Schwester LaToya spendete die Niere, der Körper nahm sie an, bald operierten sie ihn doch noch einmal, wegen eines Hämatoms. Im vergangenen Dezember lief Merritt erstmals wieder über eine Hürde, "wie ein Rehkitz, das zum ersten Mal läuft", erinnert er sich. Er war sauer, auf sich, auf die Knie, die unkontrolliert herumwackelten, auf alles, es gibt kaum ungeduldigere Menschen als Leistungssportler. Er behielt dann doch die Ruhe, die Bewegungsmuster stecken ja nach wie vor in ihm. Vor einer Woche gab er in den USA sein Comeback, in 13,61 Sekunden.

Merritt, lange, schwarze Rastazöpfe, breites Lächeln, führt ein sonniges Gemüt mit sich, selbst wenn er von seiner Krankheit erzählt, hört man oft sein lautes, schepperndes Lachen. "Ist das Leben nicht eine einzige Hürde", fragt er, das klingt jetzt doch arg kitschig, Merritt lacht also, scheppernd. Er lässt sich nach jeder Einheit massieren, nimmt Medikamente, damit der Körper die neue Niere nicht abstößt, ansonsten läuft wieder vieles normal in seiner alten, neuen Karriere. Was sich für Merritt wiederum speziell anfühlt. "Ich fühle mich noch stärker als zuvor", sagt er. "Ich fühle mich bereit, noch einmal zu zeigen, was ich kann, jetzt, da ich wieder einen richtigen Körper habe. Es wäre unglaublich, wenn ich nach der Operation noch einmal Gold gewinnen könnte." Die Leistungsniveau im Hürdensprint ist zuletzt enorm gestiegen, na und? "Wenn dein Kopf stark ist", sagt Merritt, "kannst du so ziemlich alles überwinden."

© SZ vom 06.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: