Leichtathletik:Nur noch Go-Kart statt Formel 1

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Die Laufszene leidet unter der restriktiven Visa-Vergabe für Äthiopier - mit weiteren Folgen: Zwischen Behörden, Managern und Veranstaltern wächst scheinbar das Misstrauen.

Von Johannes Knuth, München

Anfang des Jahres hatte Ansgar Schulz-Mittenzwei genug. Sieben Jahre hatte er sich als Manager äthiopischer Athleten im Laufgewerbe engagiert, irgendwann habe er die Risiken und Nebenwirkungen nicht mehr ertragen. Es sind die deutschen Behörden in Äthiopien, die den 67-Jährigen erregen. Wenn das so weitergehe, sagt Schulz-Mittenzwei, sei der "Marathon für äthiopische Sportler in Deutschland verloren". Und damit ein Teil des afrikanischen Lauftraums.

Der Anteil der Eliteläufer aus Afrika ist zurückgegangen

Man muss den äthiopischen Laufsport wohl noch nicht gänzlich verloren geben, und doch zeigt sich in diesen Tagen: Die Ausläufer der Debatten um Migration und Flüchtlinge beschäftigen vermehrt den Sport, auch die Laufszene in Deutschland.

Der Traum der afrikanischen Läufer ist einfach, in der Theorie. Man läuft mit der Gabe, die einem die Natur geschenkt hat, man läuft durch die Welt, und irgendwann wird man reich. Das hat schließlich bei vielen funktioniert, bei Haile Gebrselassie, klar, dem Volksheld Äthiopiens. In der Praxis gestaltet sich die Sache schwieriger. Es gibt viele Talente, wenige bringen den Fleiß mit für eine prosperierende Karriere. Vor allem der Einstieg ist beschwerlich. Viele Läufer aus Äthiopien vertrauen sich Managern aus Europa an; die müssen viel Papierkram erledigen, bevor ihr Läufer in Europa eintrifft: Anträge, Krankenversicherungen, Bestätigungen des Einwohnermeldeamtes, Einladungsschreiben für das Visum. Letzteres stellt in Äthiopien die deutsche Botschaft in Addis Abeba aus. Schulz-Mittenzwei hatte dort einst einen Läuferklub gegründet, ein Bekannter führte die Geschäfte, wer gut war, durfte ein Visum beantragen, Schulz-Mittenzwei nahm die Läufer in Deutschland in Empfang. Dort reisten sie von Lauf zu Lauf, mal einen Monat lang, mal ein Jahr. Dann kehrten sie nach Äthiopien zurück. Die Prämien sicherten ihre Existenzen.

Schulz-Mittenzwei arbeitet seit drei Jahrzehnten in der Entwicklungshilfe, er sieht viel Leid und Armut. Er ist keiner, der zweitklassige Läufer durch die Gegend hetzt und Prämien abschöpft, das gibt es ja auch immer mal wieder. Schulz-Mittenzwei interpretierte seine Managertätigkeit als Entwicklungshilfe. Das klappte bis zuletzt ordentlich, der deutsche Botschafter in Addis Abeba mochte das Laufen. Dann wechselte in der Botschaft die Leitung. Seitdem lief das Geschäft schlecht. Seine Läufer erhielten Visa, die fünf Tage lang Zutritt nach Europa gewährten, wenn überhaupt. In fünf Tagen kann sich niemand auf einem fremden Kontinent akklimatisieren und gewinnbringend rennen.

Peter Schaffrinski betreut derzeit zehn afrikanische Läufer, er war zuletzt viel unterwegs, in Paderborn, Bonn und Würzburg, der Mittelschicht der Straßenläufe. "Der Anteil der Eliteläufer aus Afrika ist deutlich zurückgegangen", sagt er. Viele Athleten, die sich für Läufe angekündigt hatten, mussten zwei, drei Wochen vorher absagen, sie hatten kein Visum erhalten. Manche Veranstalter, sagt Schaffrinski, verzichten bereits auf internationales Personal. Das Niveau sinke, die Vielfalt ebenfalls, viele Läufe sind ja als internationale Wettbewerbe ausgeschrieben. Christoph Kopp, Manager und Organisator beim Residenzlauf in Würzburg, hat beobachtet, dass manche Veranstalter Hobbyläufer präferieren: "Die wollen ein Go-Kart-Rennen. Andere lieber ein Formel-1-Rennen." Und Letztere hätten zunehmend Probleme, ihre Starterfelder zusammenzustellen.

Die Botschaft in Addis Abeba schreibt von "Migrationsdruck"

Das Auswärtige Amt teilt auf Anfrage mit: Jeder vollständig eingereichte Antrag werde sorgfältig geprüft, "die Botschaft Addis Abeba nutzt alle vom Visakodex eröffneten Möglichkeiten, um Antragstellern die Reise in den Schengen-Raum zu ermöglichen". In anderen E-Mails aus der Botschaft, die der SZ vorliegen, klingt das etwas anders: Aufgrund des "starken Migrationsdrucks aus Äthiopien" sei man gezwungen, genau zu prüfen, ob ein Läufer nach Äthiopien zurückkehren oder womöglich illegal einwandern möchte, um später Asyl zu beantragen. Hoher Migrationsdruck? Oder doch eine Haltung, die Ausländer in Zeiten unübersichtlicher Flüchtlingsströme pauschal verdächtigt? Schulz-Mittenzwei sagt, in sieben Jahren seiner Tätigkeit sei ein Sportler abgehauen, viele seiner Athleten seien seit Jahren ohne Probleme ein- und ausgereist. Kopp weist darauf hin, dass beim Residenzlauf in Würzburg vor knapp einem Monat am Freitag drei Äthiopier aufgetaucht seien, am Sonntag waren sie verschwunden. Das habe es früher kaum gegeben.

Schaffrinski ergänzt, viele Athleten aus Afrika würden sich mittlerweile Manager aus anderen Ländern suchen, aus den Niederlanden oder Kroatien, dort sind die Bestimmungen für Visa sanfter. Sobald sie in den jeweiligen Ländern eintreffen, reisen sie mit ihren Betreuern barrierefrei durch den Schengen-Raum, auch nach Deutschland. Wenn, sagt Schaffrinski, müsse man die Restriktionen schon in allen EU-Ländern forcieren. Mehr Schranken? Ob das eine sinnvolle Lösung ist, bleibt fraglich. So oder so, zwischen Behörden, Managern und Veranstaltern wächst scheinbar das Misstrauen; die Athleten, die einreisen wollen, ohne länger bleiben zu wollen, leiden darunter. Und mit ihnen der afrikanische Traum vom Laufen.

© SZ vom 20.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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