Leichtathletik:Neustart im Herbst

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Weil sie ihren Pass drei Wochen zu spät erhielt, verpasste Fate Tola die olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro. Beim Frankfurt-Marathon tröstet sich die 29-jährige Läuferin mit dem deutschen Meistertitel.

Von Johannes Knuth, Frankfurt/München

Als es dann geschafft war, bedankte sich die Marathonläuferin Fate Tola erst einmal bei ihrem wichtigsten Assistenten: ihrem Tempomacher. Simon Stützel hatte Tola am Sonntag zuverlässig durch die Frankfurter Innenstadt begleitet. Er hatte nach 30 Kilometern wie verabredet seinen Dienst einstellen wollen, aber Tola hatte ihn immer wieder in eine längere Schicht gedrängt, erst bis Kilometer 35, dann bis 40, schließlich, na gut, bis ins Ziel. Alle anderen Tempomacher hatten ihren Arbeitstag ja unerwartet früh beendet. So war es auch Stützel zu verdanken, dass sich Tola an diesem sonnigen Oktobersonntag zu 2:25:42 Stunden und Platz zwei trieb. Schneller waren überhaupt erst drei deutsche Frauen gewesen. Beinahe hätte Tola sogar Siegerin Mamitu Molisa aus Äthiopien passiert (2:25:27). Es reichte dann immerhin locker für den deutschen Meistertitel, der beim 35. Frankfurt-Marathon ebenfalls vergeben wurde. Nebenbei erfüllte Tola die Zulassung für die WM 2017 in London. "Das war toll", sagte sie. Die Zukunft sieht ganz gut aus, so sah Tola das jetzt.

Und an diesem Gefühl kann man sich als Athlet ja noch ein bisschen besser wärmen, wenn es die vergangenen Monate nicht so gut mit einem gemeint hatten.

Deutsche Meisterweihen im Marathon tragen nur eine begrenzte Aussagekraft in sich, dafür hatten sich auch am Sonntag in Frankfurt zu viele Spitzenkräfte entschuldigt. Weil ihnen noch der Olympiamarathon vom August in den Knochen steckt, oder weil sie verletzt sind, wie der deutsche Rekordhalter Arne Gabius. Was freilich nicht die Leistung der Sieger schmälert, die oft aus der zweiten Reihe stammen, im Berufsleben stehen und trotzdem beachtliche Leistungen schaffen. Marcus Schöfisch aus Erfurt etwa, der schnellste deutsche Mann am Sonntag (2:20:08). Fate Tola wiederum, die für die LG Braunschweig startet und am Sonntag vor der Klimageologin Mona Stockhecke (2:31:30) und der Triathletin Anne Haug (2:36:13) gewann, ist hauptberuflich Läuferin. Sie wurde zuletzt Achte beim Frühjahrsklassiker in Boston; der Marathon war als Probe für Rio gedacht. Aber die Hauptvorstellung bei Olympia fiel aus, Tola hatte ihren deutschen Pass zu spät erhalten. Und deshalb schleppte sie zuletzt viel Frust mit sich herum.

"Alles ist perfekt gelaufen": Die gebürtige Äthiopierin Fate Tola wird in ihrem ersten Marathon als deutsche Staatsbürgerin gleich deutsche Meisterin. (Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Sport und Einbürgerung sind ein komplexes Thema. Manche Behörden winken Leistungssportler schneller durch als in anderen Nationen. Die Regeln des Weltverbands IAAF sind auch noch, nun ja, wohlwollend gefasst; gestandene Athleten können oft flink und geräuschlos das Startrecht wechseln. Manche Länder handeln mit Athleten wie auf einem Transfermarkt, zuletzt sorgte die Türkei für Empörung, die bei der EM mit flink eingebürgerten Kenianern auf der Langstrecke reüssierte. Auch der deutsche Verband entsandte eingebürgerte Athleten. Aber es gebe "keine An- und Abwerbung", sagt DLV-Präsident Clemens Prokop. "Finanziell wäre das für uns zwar ein Leichtes", sagt er, es wäre allerdings auch ein Leichtes, damit die Nachwuchsarbeit der Laufszene zu zerbeulen, die nach Jahren der Stagnation gerade aus dem Tief kommt. Die Haltung sei klar, sagt Prokop: Man fördere Athleten erst, wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Und das kann dauern.

Tola plant jetzt halt mit den Sommerspielen 2020 in Tokio

Tola, äthiopische Wurzeln, wohnt seit 2011 in Deutschland. Sie heiratete den Langstreckenläufer Musa Roba-Kinkal, mit dem sie mittlerweile in Gelnhausen lebt und dessen Familie einst in Äthiopien verfolgt worden war. Die politische Lage in dem Land ist angespannt, vorsichtig formuliert. Tola wurde erst Mutter, bald darauf deutsche Meisterin über 10 000 und 5000 Meter; dafür musste man bis zuletzt bloß ein Jahr in Deutschland leben und Mitglied eines Vereins sein. Der Zugang zu internationalen Leistungsmessen wurde ihr allerdings verwehrt - der Pass. Sie legte Sprachkurse und Prüfungen ab, wurde beim Regierungspräsidium in Darmstadt vorstellig, immer wieder. Es half nichts, der Pass kam zu spät, um lumpige drei Wochen nach der Meldefrist für Rio. "Den Marathon am Fernseher schauen zu müssen, war schmerzlich", sagte sie in Frankfurt.

Nicht alle in der deutschen und europäischen Laufszene können sich für eingebürgerten Athleten erwärmen. Und manche Zweifel sind wohl berechtigt, weil die Einbürgerungspraxis so unterschiedlich verläuft. Aber für Tola verhält sich die Sache einfach: "Es ist mir sehr wichtig, zu dem Land zu gehören, in dem ich schon lange lebe", sagte sie. Der Start in Frankfurt diente nicht nur dazu, den Frust des Sommers zu ersticken, er war auch ein Neustart in eine zweite Karriere. Tola kann sich als Inhaberin der deutschen Staatsbürgerschaft sowie der WM-Norm für einen Platz in der Sportfördergruppe bewerben. Auch mit Olympia hat sie noch nicht abgeschlossen, mit Olympia 2020 in Tokio halt. Aber mit ihren 29 Jahren zählt Tola in diesem zehrenden Ausdauergewerbe ja fast noch zu den Berufsanfängern.

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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