Leichtathletik:Mit Leichtigkeit

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Seine Dopingsperre hat US-Sprinter Justin Gatlin nicht langsamer gemacht: Mit Weltjahresbestzeit setzt er vor Olympia ein Zeichen.

Von Johannes Knuth, Eugene/München

Bevor irgendjemand etwas sagen konnte, hob Justin Gatlin die Hände, er habe etwas zu verkünden, teilte er feierlich mit: "Trayvon wird alle Fragen zu Usain Bolt beantworten." Trayvon, damit war Trayvon Bromell gemeint, Gatlins Kollege im amerikanischen Sprintgewerbe, beide hatten sie gerade ihre Vorläufe über 100 Meter bei den nationalen Meisterschaften in Eugene hinter sich gebracht. Was die Journalisten jetzt aber eher peripher interessierte. Die Fragen nach dem Gesundheitszustand von Usain Bolt, dem Branchenführer des Sprints aus Jamaika, hängen gerade über der Szene wie eine Gewitterwolke, Bolt ist ja immer ein Thema, ob er läuft oder nicht. Am vergangenen Wochenende war mal wieder Letzteres eingetreten: Bolt hatte sich bei der jamaikanischen Olympia-Zulassung in Kingston am Oberschenkel verletzt; sein Verband wird ihn nur nach Rio versetzen, wenn er in den kommenden Wochen seine Fitness wiederherstellen kann. Sicher ist das nicht, wobei Bolts amerikanische Rivalen die Zweifel schnell ertränkten. "Come on, er ist Usain", sagte Gatlin, jetzt etwas weniger feierlich, und Tyson Gay, Weltmeister von 2007, assistierte: "Es ist ja fast schon eine Tradition. Er wird stark zurückkommen."

Allzu große tektonische Verschiebungen im Sprintsport sind für die Sommerspiele in rund vier Wochen also wohl nicht zu erwarten. Bolt, 29, hat ja tatsächlich ein Geschäftsmodell daraus entwickelt, sich in letzter Minute aus Verletzungen und Formkrisen zu heben und an die Spitze der Szene zu schieben. Andererseits erreicht auch Gatlin so langsam wieder Betriebstemperatur. Er gewann in Eugene in 9,80 Sekunden: Weltjahresbestleistung, acht Hundertstel besser als Bolts bislang bestes Werk in diesem Sommer. Bromell (9,84) und Marvin Bracy (9,98) qualifizierten sich als Zweite und Dritte für Rio.

Und Tyson Gay? Ach ja, der wurde Fünfter (10,03) und fiel aus der Olympiamannschaft, der US-Verband entsendet nur die besten Drei seiner Trials nach Rio; anders als die Jamaikaner, die Hochbegabten wie Bolt im Krankheitsfall eine Ausnahme gönnen. Gay war mal der größte Herausforderer Bolts, er besitzt noch immer den amerikanischen Rekord (9,69), bis heute die zweitschnellste Zeit hinter Bolts Weltrekord (9,58). Aber nach seinem Dopingbann, mit dem er 2013 belegt wurde, hat Gay, 33, nie mehr so recht zu alter Form zurückgefunden. Schon möglich, dass in Eugene eine Karriere mit manch verpasster Chance und Verletzung ihr Ende fand.

Gatlin, 34, ist auch einer, der nach einer Dopingsperre einst auf einen zweiten Frühling hoffte, und anders als Gay gelingt ihm das mit Leichtigkeit. Er wurde 2006 positiv auf Testosteron getestet, als Wiederholungstäter (Amphetamin-Befund 2001) musste er mit einem lebenslangem Bann rechnen. Weil Gatlin sich der US-Anti-Doping-Agentur Usada als Kronzeuge anbot (wie Gay), wurde dann aber nur eine Vierjahresstrafe draus. 2010 stieg Gatlin mit moderaten Zeiten wieder ins Geschäft ein, seit 2014 knüpft er einen Sieg an den nächsten. Bei der WM 2015 galt er sogar als Favorit, ehe Bolt, gezeichnet von chronischen Rückenbeschwerden, irgendwie doch noch an ihm vorbeirauschte, über 100 und 200 Meter. Und jetzt?

"Ich selbst habe sowieso immer an denjenigen geglaubt, der ich bis heute bin": Justin Gatlin bejubelt bei den US-Trials in Eugene seinen Sieg über 100 Meter. (Foto: Charlie Riedel/AP)

Was fängt man mit einem Athleten an, der - scheinbar immun gegen das Gift des Alterns - Zeiten schafft, die man von ihm nur aus der Zeit vor seiner Sperre kannte? Gatlin lässt alles stoisch über sich ergehen, den Boykott mancher Veranstalter, die Rolle des Bösewichts, die sie ihm in Peking zuschoben. Er ernähre sich besser, habe abgenommen, hat er einmal gesagt, außerdem sei die Sperre sowieso nicht sein Fehler gewesen, ein Betreuer habe ihm heimlich eine Testosteroncreme einmassiert. Ausrüster Nike hat ihn auch längst wieder mit einem schönen Vertrag ausgestattet. Gatlin sagt mittlerweile er zu all dem: nichts. Der Glaubwürdigkeit der chronisch erschütterte Sprint- und Leichtathletikszene hilft das wenig, aber das ist Gatlin egal. "Meine Familie und meine Familie unterstützen mich", sagte er in Eugene, "ich selbst habe sowieso immer an denjenigen geglaubt, der ich bis heute bin." Klingt fast so, als mache ihm die Rolle als böser Bube sogar ein wenig Spaß.

© SZ vom 05.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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