Leichtathletik:Lüften, bitte!

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IAAF-Präsident Sebastian Coe, dessen Reputation zuletzt arg gelitten hat, will seinen zerbeulten Verband reformieren. Die Reformen sollen auch ein Gegengift sein, um den Verband immun zu machen gegen Korruption und Machtmissbrauch.

Von Johannes Knuth, Monte Carlo/München

Der ehemalige Mittelstreckler ist jetzt ein Weitspringer, zumindest in der sportpolitischen Arena. "Die Zeit ist gekommen für einen großen Sprung", ließ Sebastian Coe, seit August 2015 Präsident des Leichtathletik-Weltverbands IAAF, in diesen Tagen über sein Reformpaket verlauten. Die Delegierten der Nationalverbände beraten am Wochenende auf einem Sonderkongress in Monaco über Coes Vorschläge, am Samstag sollen die Reformen in die Satzung der IAAF einfließen. Sie sollen auch ein Gegengift sein, um den Verband immun zu machen gegen Korruption, Betrug, Machtmissbrauch. Gegen all das also, für das die IAAF unter Coes Vorgänger Lamine Diack jahrelang gestanden haben soll.

Für Coe ist es der erste große, programmatische Akt, um den Verband aus seinem bislang finstersten Tal zu führen. Am Freitag zog sich noch Sponsor Adidas zurück, offiziell in "beidseitigem Einvernehmen", offenbar aber auch wegen der Korruptionsskandale. Und so liest sich Coes Programm, bei allem Gerede um Sprünge in eine neue Ära, eher andersherum: als Versuch, die Spuren in die alte Ära zu verwischen, zu Diack. Der hatte die Macht, die dem IAAF-Präsidenten qua Satzung zufällt, schamlos genutzt; er soll Athleten erpresst haben, mithilfe von Söhnen, Anwälten und prominenten Mitarbeitern. Manche Doper sollen den Diacks 700 000 Euro überwiesen haben, um ihre Proben zu verschleiern, wie ARD und Le Monde zuletzt berichteten, unter Berufung auf französische Ermittler. Coe ist seit 13 Jahren im Council der IAAF vernetzt, einer Art Regierung der Leichtathletik, er will vom mafiösen Treiben aber nie etwas mitbekommen haben. Diese Konstellation allein treibt tiefe Beulen in seine Reputation.

Umso wichtiger ist für ihn nun das Vorhaben, die Satzung umzubauen, eine Mauer hochzuziehen zwischen damals und heute. Und die Bausteine seiner Reform sind sogar recht solide. Der Präsident soll künftig höchstens zwölf Jahre im Amt bleiben. Er kümmert sich mit seinem Council nur noch um den Sport, der Rest wird einer neuen Exekutivkammer und dem Geschäftsführer zugeschoben. Eine unabhängige Kommission soll alle Mitarbeiter durchleuchten, die künftig in die IAAF rücken. Externe Buchprüfer sollen zudem die Geschäftsbilanzen ausleuchten - alles, damit sich nie wieder eine Schattenregierung einnisten kann. Wobei sich manche Bruchstelle durch das Reformwerk zieht. Der Integritäts-Check etwa gilt nicht rückwirkend, er trifft nur diejenigen, die ab sofort zur IAAF stoßen. Auch, weil dem Vernehmen nach manches Mitglied des aktuellen Councils sonst in Probleme stolpern könnte. Was die Frage aufwirft, wie integer eigentlich die Führung ist, mit der Coe in die Zukunft gehen will.

Coes Reformen bergen zudem Belastungen fürs innenpolitische Klima. Er will ja schon ordentlich durchlüften, zwei große Fenster öffnen, durch die externe Prüfer bald in die Hinterzimmer des Sports schauen können: bei der Buchprüfung und der Einlasskontrolle der Integritätsprüfer. Das steht bloß im scharfen Kontrast zu dem, was dem organisierten Sport behagt, vor allem der Oberaufsicht vom Internationalen Olympischen Komitee und seinem Chef Thomas Bach: Der predigt gerne Autonomie und Selbstkontrolle. Dass Coe, Hüter der olympischen Kernsportart, nun ein mutigeres Reformpapier vorlegt als Bachs Agenda 2020, ist kein Zufall. Coe hat sich vom IOC-Chef emanzipiert, das Verhältnis ist zerrüttet, sagen Beobachter. Die IAAF hatte Russlands Leichtathleten kollektiv von Bachs Leistungsmesse in Rio ausgesperrt, wegen tiefwurzelnden Dopings. Am Freitag hielt sie die Sperre aufrecht, eine Resozialisierung zur WM 2017 wird unwahrscheinlicher. Dieser Kurs lässt Bach bis heute miserabel aussehen; das IOC hatte sich vor Rio ja gegen einen Ausschluss Russlands gestemmt, trotz erdrückender Indizien. Sollte Coe seine Reformen durchdrücken, wäre das also doch ein Sprung - weg von den Gepflogenheiten der olympischen Familie.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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