Leichtathletik:"Kämpfe motivieren mich - nicht die Höhe"

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Liebt nicht die Höhe, sondern den Wettkampf: Raphael Holzdeppe. (Foto: Richard Heathcote/Getty Images)

Stabhochspringer Raphael Holzdeppe fiebert dem WM-Duell gegen Renaud Lavillenie entgegen. Im Interview spricht der Weltmeister von 2013 über Höhen, Tiefen, große Duelle und seltene Hobbies.

Von Johannes Knuth

Raphael Holzdeppe ist ein gefragter Mann in diesen Tagen in Paris. Holzdeppe - oder "olzeppi", wie sie hier sagen - hat sein Formtief aus dem Vorjahren weitgehend abgeschüttelt. Der Weltmeister von 2013 ist damit auch wieder in der Lage, Renaud Lavillenie, den Olympiasieger und Weltrekordhalter aus Frankreich, zu ärgern. Nun ja, ab und zu, wer drei Schritte nach vorne macht, kann sich auch einen Rückschritt leisten. Der Samstagabend, beim Diamond-League-Meeting im Stade de France, war ein Rückschritt, Holzdeppe riss seine Anfangshöhe (5,71 Meter) drei Mal. Lavillenie scheiterte an 5,86 Meter raus, er wurde nur Fünfter (mit 5,71m). Im SZ-Interview erklärte Holzdeppe zuvor, warum er sich für die WM in Peking trotzdem einiges ausrechnet.

SZ: Herr Holzdeppe, gibt es eigentlich den perfekten Stabhochsprung?

Raphael Holzdeppe: Puh. Ich glaube nicht, dass es DEN perfekten Sprung gibt. Es gibt den perfekten Sprung für jeden einzelnen. Ob ich den schon hatte oder ob der noch kommt, das kann ich erst sagen, wenn ich meine Karriere beendet habe (lacht). Es fühlt sich auf jeden Fall so an, als würde dieser eine perfekte Sprung noch vor mir liegen. Das Schwierige beim Stabhochsprung ist es, diesen Sprung auszupacken, wenn die entsprechende Höhe da liegt. Wenn ich bei 5,50 Meter meinen perfekten Sprung mache, ist es ein schönes Gefühl, da fliege ich haushoch drüber, aber in der Ergebnisliste steht halt nur 5,50.

Suchen Sie die Herausforderung eher in der Höhe oder über den Wettkampf?

Über den Wettkampf. Wenn ich eine One-Man-Show abziehe und mich nur an einer Höhe versuche, dann macht mir das eigentlich weniger Spaß als wenn ich vielleicht Zweiter werde und mir dafür einen großen Kampf mit jemandem geliefert habe. Das ist das, was mich motiviert. Und das ist auch das, was mich weiterbringt. Bei den Meisterschaften läuft es immer auf diese Duelle hinaus. Dann ist es egal, ob man mit 5,70 Meter Olympiasieger wird oder mit sechs Metern.

Kann man sich das antrainieren? Ein Wettkampftyp zu sein?

Ich denke, das kommt über die Wettkämpfe. Wenn man sich immer wieder mit den Besten misst. Ein Renaud Lavillenie (Weltrekordhalter und Olympiasieger 2012, Anm.) ist nie schlecht drauf, du musst dich immer in deine beste Form reinsteigern, um gegen ihn eine Chance zu haben. Solche Wettkämpfe bringen mir mehr als ein kleineres Meeting, das man locker mit 5,70 Meter gewinnt, aber anschließend nicht weiß, ob nicht noch mehr drin gewesen wäre.

Sie haben 2013 in Moskau WM-Gold gewonnen, haben danach ein langes Tal durchschritten und sogar eine Weile pausiert. Wie haben sie die Form wiederhergestellt, in der sie sich derzeit befinden?

Wenn beim Stabhochsprung alles passt, dann fließt es. Man macht im Winter eine Pause, dann kommt Schritt für Schritt wieder alles dazu. Man fängt an, aus verkürzten Anläufen abzuspringen, langsam die Form aufzubauen. Da darf in bestimmten Zeitpunkten einfach nichts dazwischenkommen. In diesem Winter war das zum Glück der Fall. 2014 habe ich mich oft verletzt, wenn ich gerade dabei war, meinen Rhythmus wiederzufinden. Ich bin 2013 viel gesprungen, bin viel gereist, bin Weltmeister geworden. Der Körper wollte eine Pause, die habe ich ihm nicht gegeben. Also hat er sie sich genommen. Wenn man dann ständig zurückgeworfen wird, hat man nicht wirklich Vertrauen in das, was man macht. Dann merkt auch der Zuschauer, dass der Sprung nicht stimmt. Dass da irgendetwas schwierig aussieht, was vorher so einfach war.

Man muss also vor jeder Saison einen aufwändigen Zaubertrick neu einstudieren?

Genau.

In dieser Saison zaubern Sie wieder?

Ich bin zumindest voll zufrieden (lächelt). Ich springe nicht mehr ganz so viel, meistens einmal pro Woche, um das ganze Jahr über gesund zu bleiben. Jetzt sind es noch sieben Wochen bis zur Weltmeisterschaft, mein Ziel war es von vornherein, dass ich die Form zur WM wieder habe. Jetzt bin ich vor kurzem in Baku schon Bestleistung gesprungen (5,92 Meter, Anm.). Von Baku war ich wirklich überrascht. Ich bin in der Nacht aus Russland angekommen (von der Team-EM, Anm.), mein Körper hat sich wirklich noch müde angefühlt von der Reiserei. Wenn der Körper ausgeruht ist und die Bedingungen stimmen, kann ich sicherlich noch höher springen

Sie reisen als Titelverteidiger nach Peking. Renaud Lavellinie ist in dieser Saison in blendender Verfassung. Mit welchem Anspruch nehmen Sie den Wettkampf auf?

Die WM spukt ab und zu schon im Kopf herum, jede Woche ein bisschen mehr. Mein größtes Ziel ist es erst einmal gesund zu bleiben, in sieben Wochen kann noch viel passieren. Wenn du einen Titel gewonnen hast, willst du ihn natürlich verteidigen. Selbst wenn du im Training gerade nicht so gut drauf bist, es gibt da immer diese Stimme in deinem Kopf, die dir sagt: Du musst dieses Ding verteidigen. Renaud hat aber auch ein wenig Druck. Er hat den WM-Titel noch nie gewonnen.

Die öffentlich-rechtlichen Sender werden aus Peking übertragen. Allerdings haben ARD und ZDF, die auch sonst viele olympische Sportarten zwischen den Spielen übertragen, vor kurzem die Olympia-Übertragungsrechte an Discovery bzw. Eurosport verloren..

ARD und ZDF legen bei internationalen Meisterschaften den Fokus meistens auf die deutschen Athleten. Es ist natürlich die Frage, ob Eurosport das in dem Maße gewährleisten kann. Als bekannter Sportler ist es einem eher egal, da wird man so oder so im Fernsehen gezeigt. Aber wer ein aufstrebender deutscher Athlet ist, der es gerade in die Nationalmannschaft geschafft hat, dann wird einen kein internationaler Sender in irgendeiner Weise zeigen. Das fände ich eher schlecht. Die Leichtathletik lebt von der Breite der Disziplinen und Athleten, da ist eine ausgewogene Betrachtung besser als eine, die nur auf internationale Stars ausgerichtet ist. Ich glaube, die Deutschen haben - auch wenn es viele leugnen - schon einen gewissen Nationalstolz. Bei einer Meisterschaft wollen die meisten schon sehen, was die Deutschen machen. Egal ob in der Leichtathletik oder im Triathlon. Ich will schon auch einen Usain Bolt sehen, aber ich will auch wissen, was die Deutschen machen.

Usain Bolt wollte auch in Paris antreten, fehlt aber verletzt. Wie empfinden Sie es, dass sich vieles noch immer um ihn dreht, auch wenn er gar nicht da ist?

Ich finde das schon in Ordnung. Egal, wen man auf der Welt fragt, jeder hat schon einmal den Namen Usain Bolt gehört. Genau wie Roger Federer im Tennis oder Tiger Woods im Golf. Ich finde, dass jede Sportart so ein Zugpferd braucht. Er füllt einfach die Stadien bei uns. Wenn vorher 30.000 kamen, kommen mit ihm 55.000, die Notausgänge sind verstopft, nur weil alle Usain Bolt sehen wollen. Und während die Leute warten, gucken sie sich andere Disziplinen an, die ihnen vielleicht gefallen. Ich denke, das tut der Leichtathletik gut.

Stabhochspringer haben gerne mal ausgefallene Hobbies. Renaud Lavillenie BMX, Sie selbst sind Motorradfahrer. Sind sie nicht ausgelastet mit Stabhochsprung?

Nein, das ist nur zum Entspannen (lacht). Ich wohne ja in der Nähe der deutsch-französischen Grenze, da fahre ich gerne mal rüber. In Frankreich gibt es viele Landstraßen. Ich bin eher der Landstraßen-Fahrer, ich muss jetzt nicht auf 200 Stundenkilometer oder mehr auf der Autobahn beschleunigen. Ich habe übrigens auch schon Stabhochspringer getroffen, die in ihrer Freizeit gerne lesen (überlegt kurz). Aber nur ganz wenige.

© SZ vom 05.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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