Leichtathletik:Für ein Studium und eine halbe Million Dollar

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Weltrekord-Jubel nach ungewöhnlichen Sprüngen: Ruth Jebet. (Foto: Etienne Laurent/dpa)

Die für Bahrain startende Ruth Jebet bricht nach ihrem Olympiasieg den Hindernis-Weltrekord. In ihrem Heimatland Kenia sorgt sie für Debatten.

Von Johannes Knuth, Paris/München

Ruth Jebet hatte noch ein Hindernis vor sich. Sie nahm es so sicher wie unorthodox, so wie sie alle Hürden in diesem Rennen über 3000 Meter Hindernis genommen hatte: die Füße angezogen, wie ein Sprungpferd über dem Oxer. Aber Jebet schien diese, nun ja, originelle Überquerung nicht zu bremsen. Im Gegenteil. Nachdem sie das letzte Hindernis passiert hatte, sah sie das Ziel vor sich, sie sah die Uhr, sie wusste, dass sie sich auf den letzten 50 Metern nicht mehr allzu sehr beeilen musste. Der Weltrekord war ihr längst nicht mehr zu nehmen.

Die Leichtathleten haben das warme Wochenende bei der Diamond League in Paris genutzt, um ihre Form vom Saisongipfel in Rio de Janeiro noch einmal in einige beachtliche Bestmarken zu überführen. Die Britin Laura Muir etwa drückte über 1500 Meter ihren Landesrekord auf 3:55,22 Minuten. Und dann war da natürlich Ruth Jebet, die sich den Weltrekord für Paris gar nicht vorgenommen hatte; sie sei noch müde von ihrem Olympiasieg, hatte sie zuvor ausgerichtet. Nachdem sie die ersten zwei Kilometer in knapp sechs Minuten zurückgelegt hatte, war es aber keine Frage mehr, ob sie den acht Jahre alten Rekord der Russin Gulnara Galkina (8:58,81) verbessern würde, sondern in welcher Zeit. 8:52,78 Minuten wurden es am Ende, Jebet joggte die letzten Meter ins Ziel. "Wissen Sie", sagte sie, "manchmal wird man schwach und realisiert gar nicht, dass man noch stark ist."

Jebet, 19, hat eine erstaunliche Leistungssteigerung hinter sich, vor zwei Jahren benötigte sie für den Hindernisparcours noch rund eine halbe Minute länger. Sie ist die erste Frau aus Kenia, die einen Weltrekord in die Sportgeschichtsbücher der Leichtathletik geschrieben hat. Ostafrikas Läufer dominieren zwar seit Jahrzehnten die Langstrecken, für Frauen sah die Gesellschaft allerdings lange keine Rollen im Laufgewerbe vor; diese Haltung ändert sich nur langsam. Wobei Kenia nicht allzu viel von Jebets Bestmarke profitiert. Die ehemalige Juniorenweltmeisterin startet mittlerweile für den Golfstaat Bahrain. Rund 30 Athleten aus Kenia hatten sich in Rio für andere Länder eingeschrieben, die Regeln des Weltverbands lassen einen Nationenwechsel oft schon nach einem Jahr zu.

Als Jebet vor einer Woche in ihr Heimatland zurückkehrte, wurde sie auch von Buhrufen empfangen. Ihr Manager Gregory Kilonzo machte gegenüber dem Sender CNN allerdings geltend, dass Jebet nur deshalb so schnell an die Spitze schießen konnte, weil sie vor einem Jahr die Seiten wechselte. Sie könne besser trainieren, müsse sich nicht bei nationalen Meisterschaften gegen die Konkurrenz aufreiben, um für Olympia zugelassen zu werden. Außerdem zahle der Golfstaat besser: 500 000 US-Dollar für einen Olympiasieg, statt umgerechnet 10 000 Dollar in Kenia. Jebet führte noch einen weiteren Grund an: ein Vollstipendium, um Tierheilkunde zu studieren.

Es wäre wohl unfair, Kenias Verband an derartigen Verlockungen zu messen, das Land hat andere Probleme. Aber leicht machten sie es ihren Athleten zuletzt auch nicht. Kenias Olympia-Komitee NOCK hatte Speerwurf-Weltmeister Julius Yego vor Olympia offenbar kein Flugticket nach Rio gebucht, andere Athleten mussten nach den Spielen tagelang in Rio ausharren. Die Ethikkommission des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF hatte zuvor den kenianischen Olympia-Funktionär Michael Rotich vorläufig suspendiert. Rotich soll den Zeitpunkt von Kontrollen an Sportler verraten haben. Am Wochenende wurden drei Funktionäre des NOCK verhaftet, darunter Generalsekretär Francis Paul. Die Polizei durchsuchte laut Informationen der Nachrichtenagentur AFP die Räumlichkeiten des NOCK wegen Korruptionsverdachts.

Jebet wurde bei ihrer Visite in Kenia noch gefragt, ob sie irgendwann wieder für ihre Heimat starten werde. "Nicht jetzt", sagte sie, "mal sehen". Sie hat noch ein paar Jahre vor sich, zur Erinnerung: Ruth Jebet ist 19.

© SZ vom 29.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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