Leichtathletik:Flucht ins Ungefähre

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Die Welt-Anti-Doping-Agentur suspendiert Russlands Dopingkontrolleure. Doch der ansonsten verhaltene Umgang der Wada mit der Dopingaffäre in der globalen Leichtathletik wirft auch Fragen auf.

Von Johannes Knuth, München

Soll niemand behaupten, die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) sei in diesen Tagen untätig. Ihr Stiftungsrat hat gerade in Colorado Springs/USA mal eben acht nationale Anti-Doping-Gremien suspendiert: Andorra und Israel, weil sie den Code, die Spielregeln der Wada, missachtet hatten, dazu Argentinien, Bolivien, die Ukraine, letztere hatten Blut- und Urinproben in nicht-akkreditieren Laboren analysiert. Und dann natürlich noch die Rusada, Russlands Agentur. Die soll laut dem Bericht der unabhängigen Wada-Kommission das Systemdoping der russischen Leichtathleten besonders eifrig mitgestaltet haben. Rusadas Kontrolleure kassierten demnach "routinemäßig Schmiergelder", um Proben zu manipulieren, sie informierten Athleten über bevorstehende Tests, und wenn ein Test dennoch positiv ausschlug, durften Sportler trotzdem starten. Der Leichtathletik-Weltverband IAAF hatte Russland für diese und weitere Vergehen vor einer Woche verbannt. Wada-Präsident Craig Reedie teilte nun aus den USA mit: "Wir haben, zusammen mit unseren Partnern aus dem Sport, Arbeiten an der Straße der Besserung für Russland begonnen. Die Welt schaut zu, wir handeln."

Wie stark der Wind der Erneuerung tatsächlich durch den Sport weht, das interpretieren Beobachter etwas, nun ja, unterschiedlich. Sportminister Witalij Mutko darf in Russland die Umbauarbeiten des verrotteten Sportapparats beaufsichtigen, jener Mutko, der laut der Wada-Kommission unmöglich nichts vom Systemdoping habe mitbekommen können. Kristina Ugarowa, eine Mittelstreckenläuferin, die aufgrund des Reports lebenslang gesperrt werden könnte, teilte mit: "Wir werden wegen Verleumdung und übler Nachrede klagen" - gegen die Enthüller, die ARD und "diese Stepanows", die dem Fernsehsender belastendes Video- und Audiomaterial zugespielt hatten. Wada und IAAF hatten ähnliche Hinweise übrigens mehrfach ignoriert.

Kenia und Jamaika werden von der Wada nicht akut beobachtet

Die jüngsten Aktivitäten der Wada werfen freilich auch die Frage auf, wie es um andere Länder steht. Richard Pound, Vorsitzender der Wada-Kommission, hatte Russland "als Spitze des Eisbergs bezeichnet". In Deutschland gibt es seit Langem Hinweise darauf, dass weitflächig gedopt wird; bei einer Studie unter Spitzensportlern von 2013 hatten sechs Prozent angegeben, regelmäßig zu betrügen, 40 Prozent beantworteten die Frage nicht. Die Trefferquote der deutschen Nada betrug 2014: zirka 0,1 Prozent. Besonders in den Fokus rückten in den vergangenen Tagen unterdessen die zwei fleißigsten Medaillenbeschaffer der vergangenen Leichtathletik-Messen: Kenia und Jamaika.

In Sachen Jamaika hat sich zuletzt Renee Anne Shirley mal wieder zu Wort gemeldet. Shirley führte von 2003 bis 2007 die chronisch klamme und unterbesetzte Jadco, Jamaikas Anti-Doping-Agentur. 2013 enthüllte sie, dass Jadco fünf Monate vor den Olympischen Spielen 2012 genau eine Trainingskontrolle organisiert hatte. Vor Kurzem erzählte sie dem Guardian: "Jadco arbeitet wie fast alle nationalen Anti-Doping-Agenturen: Sie machen Workshops für Jugendliche, testen wenige Athleten aus wenigen Sportarten. Damit sind sie global noch in der oberen Hälfte."

Dann ist da die kenianische Leichtathletik. Die hat in den vergangenen zwei Jahren rund 40 positive Tests hervorgebracht. Für einen war Marathon-Ass Rita Jeptoo zuständig, für zwei weitere zwei Sprinter bei der WM im August in Peking. Kenia gewann dort die Medaillenwertung. Eine nationale Anti-Doping-Agentur existierte in Kenia bis zuletzt nur auf dem Papier. Zwar forderte die Wada den Verband nun auf, "Fragen zu ihrem Anti-Doping-Programm zu beantworten", ansonsten könnte man die Agentur ebenfalls suspendieren. Doch weder Kenia noch Jamaika tauchen auf der neuen Watchlist der Wada auf, der Liste der besonders störanfälligen Agenturen.

"Wir sind uns bewusst, dass es in Kenia ein Problem gibt. Wir werden schauen, ob sie sich an die Regeln halten", sagte Reedie nun der ARD. Ob man nicht Ermittler ins Land schicken müsse, wie in Russland? "Ungern", so Reedie, "ich will nicht, dass bei jedem Verdacht gleich eine Kommission aktiv wird." Tatsächlich steht Reedie nur wenig Geld für derart komplizierte Missionen zur Verfügung. Allerdings flüchtet er sich nicht zum ersten Mal ins Ungefähre, wenn es unbequem wird. Vermutlich findet es der Wada-Präsident gar nicht so schlecht, dass die Probleme des Sports gerade nicht allzu gehäuft in die Öffentlichkeit gezerrt werden.

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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