Leichtathletik:"Eine Kriegserklärung"

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Die Contenance verloren: Sebastian Coe, als möglicher Präsident des Leichtathletik-Weltverbands gehandelt, teilte am Mittwoch heftig aus. (Foto: Stephen Hindley/AP)

Der Weltverband und sein Vizepräsident Sebastian Coe weisen die Dopingvorwürfe der ARD scharf zurück - bieten aber selbst nicht allzu viele Argumente an.

Von Johannes Knuth, München

Der Lord zieht in den Krieg. Zumindest legt das eine Audienz nahe, die Lord Sebastian Coe am Mittwoch der Nachrichtenagentur AP gewährte. Der Vizepräsident des Leichtathletik-Weltverbands IAAF sprach dort von einer "Kriegserklärung an meinen Sport", die Journalisten der ARD und Sunday Times lanciert hätten. Beide Medien hatten es gewagt, eine Datenbank mit 12 000 Blutproben von rund 5000 Athleten zu heben, sie hatten die Daten an zwei australische Experten überführt, die den Rohstoff in einen Verdacht gossen: Jede dritte Medaille bei Ausdauerwettbewerben stehe unter Dopingverdacht, bei Olympia und Weltmeisterschaften zwischen 2001 und 2012. Coe, der in wenigen Wochen die Regierungsgeschäfte der IAAF von Präsident Lamine Diack übernehmen möchte, schimpfte nun also über "sogenannte Experten", er fügte an: "Give me a break!" Frei übersetzt: Lasst mich in Ruhe mit diesen Stümpern!

Es sind stürmische Tage für die Leichtathletik , und es ist schon interessant, welche Rettungsmaßnahmen die Herren auf dem Kapitänsdeck derzeit anstrengen. Man könnte ja schon mal hinterfragen, wie belastbar der Verdacht ist, den die Blutdoping-Experten Michael Ashenden und Robin Parisotto aufgebaut haben, ob andere Kollegen ähnlich knackige Schlussfolgerungen gezogen hätten ("Situation wie im Radsport vor 20 Jahren"). Coe diskreditiert derzeit allerdings vorsorglich "sogenannte Experten" und sinniert, ob es nicht Zeit wäre, "rauszugehen und zu kämpfen". Vielleicht hätte nur jemand den Lord zuvor darüber unterrichten sollen, dass die IAAF derzeit indirekt auf Parisottos Dienste zurückgreift; der Australier analysierte bis zuletzt Blutprofile russischer Athleten. Und dass die IAAF vor drei Jahren bei Ashenden vorstellig wurde - um ihn für ihr sogenanntes Expertenpanel zu gewinnen, das Blutpässe von Leichtathleten auswertet. Ashenden lehnte ab. Er hätte eine Klausel unterschreiben müssen, sagte er damals, wonach sich jeder Experte aus dem sogenannten unabhängigen Gremium zunächst die Erlaubnis der Vorgesetzten hätte einholen müssen, bevor er sich in der Öffentlichkeit äußert - auch zum Anti-Doping-Kampf im Allgemeinen. Anstatt die Omerta der Sportler zu brechen, schlussfolgerte er, würden Verbände wie die IAAF das Schweigegelübde stärken.

Die IAAF hatte ihr Verteidigungs-Pamphlet übrigens schon am Dienstagabend in die Welt gesetzt. Sie verzichtete zunächst auf Kriegserklärungen jeglicher Art, kleidete ihre Empörung in diplomatische Worte, auch wenn ihr hier und da ein "sensationslüstern" oder "verwirrend" herausrutschte. Sie verwies darauf, dass man die Daten aus den Jahren 2001 bis 2009, auf die sich die Australier gestützt hatten, "nicht konsequent im Einklang mit standardisierten Testmethoden erhoben habe". Man habe sich quasi nur einen Eindruck vom Grad der Verschmutzung verschaffen wollen. Warum aber, antworteten Ashenden und Parisotto am Mittwoch prompt, habe die IAAF die selben Werte als "sekundären Beweis" herangezogen, um überführten Athleten längere Sperren aufzudrücken? Das hatte IAAF-Sprecher Nick Davies vergangenen Dezember öffentlich behauptet, um den sogenannten Anti-Doping-Kampf seines Verbandes zu stärken. Auch sonst überzeugte das Verteidigungspapier der IAAF nicht so recht. Sie warfen mit Zahlen um sich (die nichts über die Qualität und Zielgerichtetheit der Kontrollen verrieten), lobten sich (zurecht) dafür, diverse Mittelstreckenläufer aus dem Verkehr gefischt zu haben, erwähnten wiederholt, auf wie vielen Gebieten sie anderen Verbänden voraus seien (auch zurecht). Aber betreibt man tatsächlich Werbung für sein Restaurant, indem man darauf hinweist, dass es in den anderen Läden noch schlimmer stinkt?

Die jüngsten Äußerungen zeigten dann auch, wie tief sich die Verunsicherung in das Gemüt der Herren gefressen hat. Im Epizentrum steht Coe, der designierte Thronfolger Diacks. Der Nike-Berater Coe war vor einem Monat bereits unangenehm aufgefallen, als er den Nike-Trainer Alberto Salazar im Zuge von Dopinganschuldigungen mit warmen Worten verteidigt hatte. Und jetzt baut der Lord, um in seinem Bild zu bleiben, wohl die Fronten auf: dort die bösen Journalisten, hier die Leichtathletik-Gemeinde. Die Vorwürfe gegen korrupte Funktionäre in Russland und Kenia? Die erwähnt Coe mit keinem Wort. Nicht, dass das Wahlvolk am Ende verstört wird.

© SZ vom 06.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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