Leichtathletik:Die Geschassten sind zurück im Geschäft

Lesezeit: 3 min

Bis zu vier Jahren Sperre droht: Olympiasiegerin Maria Sawinowa (links) und Olympia-Dritte Ekaterina Pojstogowa, beide Russland. (Foto: Kerim Okten/dpa)

Aufräumarbeiten? Im Gegenteil. Vor der WM in Peking zeigt sich, wie wenig der Weltverband IAAF wirklich gegen den Betrug tut.

Von Johannes Knuth, Peking

Wer sich in diesen Tagen nach Peking hineinkämpft, wird von den besten Leichtathleten der Welt willkommen geheißen. Zumindest, wenn die Plakate im Dunst rechtzeitig zu erspähen sind, Chinas Hauptstadt wird gerade wieder von einem dicken Smog-Schleier eingehüllt. Auf den Plakaten an den Straßenlaternen sind die üblichen Verdächtigen zu finden (der jamaikanische Sprinter Usain Bolt, der französische Stabhochspringer Renaud Lavillenie). Man entdeckt manche, die ihre Karriere längst beendet haben (den äthiopischen Langstreckenläufer Haile Gebrselassie) oder einst wohl etwas zu tief in den Anabolikakübel griffen (US-Sprinterin Florence Griffith-Joyner). Aber da sind die Organisatoren jetzt nicht kleinlich. Und dann stößt man auf ein Plakat, das dem Pekinger Berufsverkehr plötzlich diese Botschaft entgegenruft: "Athletics for a better world!" - Leichtathletik für eine bessere Welt. Man kennt diese Parolen doch irgendwoher . . . ach ja, vom Fußball-Weltverband. Handschlag für den Frieden und so.

Tatsächlich ist die Schnittmenge zwischen der Fifa und dem Leichtathletik-Weltverband IAAF, der gerade in Peking Hof hält, derzeit recht groß. Wenn auch aus weniger feierlichen Gründen.

Am Samstag brechen in Peking die 15. Weltmeisterschaften an, mit Bolt, mit Lavillenie, eher ohne Gebrselassie. Zuvor tagen die Funktionäre, sie tauschen in diesen Tagen die üblichen Nettigkeiten und Smalltalk aus, auf der Vorderbühne der großen Sportpolitik. Hinter dem Vorhang sieht es ein wenig anders aus. Lamine Diack, 82, löst sich nach rund 16 Jahren von seinem Präsidentenamt. Die Geschäfte laufen gar nicht so schlecht, das renovierungsbedürftige Produkt WM wirft noch immer Geld ab, die asiatischen Sponsoren zahlen fleißig. Doch die Abschiedsworte, die Diack in den letzten Tagen seiner umstrittenen Regentschaft um die Ohren fliegen, sind kaum herzlicher Natur. Athleten werfen dem Verband wiederholt vor, zu wenig gegen seine Doping-Endemie unternommen zu haben; zuletzt hatten ARD und Sunday Times besonders große Verdachtsbrocken an Land gezogen. "Ich bin mittlerweile Trainer", sagte der ehemalige deutsche Geher André Höhne vor Kurzem in der ARD, "ich komme in Erklärungsnot, den Eltern und Kindern den Sport schönzureden". Luciano Barra, langjähriger IAAF-Funktionär, merkte im ZDF an, das lückenhafte Dopingnetz, mit dem der Verband fische, sei gar nicht das große Problem. Sondern Diacks Philosophie von "Records and Riches", von Rekorden und Stars. Damit habe der greise Senegalese den Sport noch stärker in die Dopingfalle getrieben.

Apropos Doping. Da räumen sie in der IAAF gerade doch ein wenig auf, sogar auf der Hinterbühne. Laut einem ARD-Bericht hat die IAAF jetzt von dem von Doping- anschuldigungen zerfressenen russischen Verband eine Erklärung angefordert, zu den jüngsten Anschuldigungen gegen Athleten und Trainer; letztere hatten auf heimlichen Filmaufnahmen über ihre Dopingpraktiken geplaudert. Sollte der Verband die Vorwürfe bis nächste Woche nicht entkräften, werde man Athleten wie die 800-Meter-Olympiasiegerin Maria Sawinowa und die Olympia-Dritte Ekaterina Pojstogowa für vier Jahre sperren, mindestens, Funktionäre wie Chefmediziner Sergej Portugalow oder Verbandstrainer Alexej Melnikow womöglich lebenslang. Wir tun ja immerhin etwas und stehen dafür am Pranger, so sehen sie das in der IAAF, und andere Verbände schweigen ihre Probleme klein und bleiben unbescholten. Ein wenig kann man das sogar verstehen. Und dann auch wieder nicht.

Präsidentschaftsbewerber Sebastian Coe bezeichnet die Dopingenthüller als Gegner

Am Sonntag und Montag tagten Council und Verwaltungsrat der IAAF bereits in Peking. Schatzmeister dieses Gremiums ist der Russe Walentin Balachnitschew, er wird im offiziellen IAAF-Medienhandbuch auf Seite 7 geführt. Am Montag trug er den Finanzbericht vor. Dagegen ist wenig einzuwenden, hätte Balachnitschew im Frühjahr nicht öffentlichkeitswirksam seine Ämter ruhen lassen. Im vergangenen Dezember war Balachnitschew ein prominenter Nebendarsteller in der ersten ARD-Dokumentation über systemisches Doping in Russland, er soll der Marathonläuferin Lilija Schobukowa Teile jener 450 000 Dollar erstattet haben, die sie beim russischen Verband hinterlegte - um einem Dopingbann auszuweichen. Auch Papa Massata Diack, Sohn des Präsidenten, hatte seine Geschäfte einst im Zuge der ersten Dopingdokumentation stillgelegt, "bis die Ethikkommission ihren finalen Bericht vorgelegt hat". Der liegt auch nach acht Monaten schwerster Ermittlungen noch nicht vor. Wie jener der Welt-Anti-Doping-Agentur. Man darf wohl langsam Wetten annehmen, ob der Berliner Hauptstadtflughafen früher fertiggestellt wird. Diack junior ist derweil in Peking nach SZ-Informationen wieder in alter Rolle aktiv.

An diesem Mittwoch wird ein neuer Präsident ins Amt gehoben. Die Weltrekord-Alumni Sebastian Coe und Sergej Bubka bewerben sich, das Rennen ist derzeit so offen wie ein Kopf-an-Kopf-Duell auf der Zielgeraden. Coe versicherte am Montag immerhin, er wolle eine "vollständig unabhängige Anti-Doping-Agentur auf internationaler Leichtathletik-Ebene" installieren. So ganz schlimm findet Lord Coe die Zustände seiner Sportart dann aber doch nicht, vor Kurzem betonte Coe, er stehe zu seinen Aussagen, dass ARD und Sunday Times mit ihren Berichten der Leichtathletik den Krieg erklärt hätten. Nach allem, was man hört, vertritt Coe diese Haltung im Weltverband nicht alleine, im Gegenteil. Sondern eher als Sprecher eines Sports, der sich nach wie vor nicht primär als Mitschuldiger einer intransparenten Anti-Doping-Politik begreift, sondern als Opfer.

© SZ vom 18.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: