Leichtathletik:Die Fesseln gelöst

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Kämpft für angemessene Bezahlung: 800-m-Läufer Boris Berian. (Foto: Andy Lyons/AFP)

Vor zwei Jahren noch briet Boris Berian bei einer Fast-Food-Kette Burger. Jetzt hat der US-Läufer dem Diktat von Groß-Sponsor Nike getrotzt.

Von Johannes Knuth, Eugene/München

Der Trainer Carlos Handler weiß noch, wie er damals eine digitale Nachricht an einen unbekannten Leichtathleten absetzte, nicht mal zwei Jahre ist das her. Handler hatte diesen Boris Berian nie bei einem Wettkampf erlebt, er hatte von dessen Begabungen gehört und wunderte sich, warum Berian nach der High School aus der Szene gefallen war. Er fand heraus, dass Berian College und Wettkampfsport hinter sich gelassen hatte; er schlug sich jetzt mit Nebenjobs in Fast-Food-Restaurants durch, ab und zu übernachtete er bei Freunden auf der Couch. Volltreffer, dachte Handler. Er fahnde halt oft nach Athleten, "die aus dem Nichts kommen", hat er einmal erzählt, "die um jeden Zentimeter kämpfen. Wie Boris."

Die US-Leichtathleten halten in diesen Tagen in Eugene/Oregon ihre nationalen Meisterschaften ab, in denen immer auch ein Existenzkampf steckt, nur die besten Drei in jeder Disziplin werden ja zur großen Fachmesse des Sommers zugelassen. Diesmal zu den Sommerspielen im August in Rio. Nicht bei allen Olympia-Bewerbern lief es bislang so prächtig wie bei Weitspringerin Brittney Reese (7,31 Meter/Weltjahresbestleistung). Sanya Richards-Ross, der zweimaligen Olympiasiegerin über 400 Meter, schoss nach 200 Metern ein Schmerz in den Oberschenkel, sie erklärte ihre Karriere noch am Unfallort für beendet. Berian, 23, ließ die flirrende Atmosphäre weitgehend an sich abperlen, er rückte in 1:45,72 Minuten ins Finale über 800 Meter an diesem Montag vor, er ist dort Favorit, in Rio könnte er sich wohl einiges ausrechnen (Bestzeit: 1:43,34). Nicht schlecht für einen, der vor zwei Jahren in einer engen Küche einer einschlägigen Fast-Food-Kette Burger briet. Mehr noch: Berian wusste bis zuletzt nicht, ob er in Eugene laufen würde, nach einem Gerichtsstreit mit Sportausrüster Nike.

Berian hat großes Talent - er könnte bald Marktführer sein

Ausrüster sind eine der wichtigsten Einnahmequellen für amerikanische Leichtathleten, vor allem Nike, das die starke, in der Heimat aber chronisch unbeachtete Leichtathletik mit bis zu 90 Millionen Dollar pro Jahr subventioniert. Berian hatte sich bis Ende 2015 an Nike gebunden. Zu Beginn des aktuellen Geschäftsjahres wollte er sich absetzen, New Balance, eine andere Firma, bot ihm 125 000 Dollar Gehalt pro Saison, drei Jahre lang. Im Leichtathletik-Gewerbe, das immer mehr Zuschauer und Sponsoren verliert, ist das viel Geld. Nike hatte jedoch einen Passus in den alten Vertrag gepflanzt, Berian auch weiter an sich binden zu dürfen, sie mussten bloß binnen sechs Monaten mit der Konkurrenz gleichziehen. Berian hatte damals gerade die (mäßig besetzte) Hallen-WM gewonnen, er ist ein Athlet, der großes Potenzial mit sich herumträgt, wie eine kleine Firma, die als kommender Marktführer gehandelt wird. Und dann ist da ja noch sein Aufstieg aus dem Burgerladen, Amerikas Öffentlichkeit liebt diese Geschichten. Nike ließ Berian also einen Vertrag mit ähnlichem Gehalt zukommen. Allerdings war das Papier vollgestopft mit sogenannten Reductions.

Berians Ausrüster dürfte demnach bis zu 100 Prozent des Salärs einbehalten, sollte er vier Monate lang nicht bei Wettkämpfen antreten, warum auch immer.

Oder: 20 Prozent Kürzung, wenn Berian sich nicht unter den besten zehn 800-Meter-Könnern der Welt einreiht.

Berian fand, dass Nike ihm einen viel schlechteren Vertrag vorgelegt hatte, im Angebot der Konkurrenz versteckten sich ja keine Kürzungen. Er schloss sich also der Konkurrenz an, und just, als Berian in die Olympiasaison eintauchte, zerrte Nike den 23-Jährigen vor Gericht, wegen Vertragsbruchs. Es ging ein wenig hin und her, Berian, so verfügte das Gericht, dürfe erst einmal nur in Nike-Kleidung antreten, viele Athleten wären wohl irgendwann eingeknickt. Berian kämpfte. Er weigerte sich zu laufen, auch wenn er damit seine Zulassung für Olympia gefährdete, er sammelte im Internet Spenden, um seine Anwälte bezahlen zu können, nebenbei provozierte er einen Diskurs über potenzielle Kürzungen in Verträgen, die Athleten in großen Leistungsdruck treiben, manche vielleicht sogar in die Manipulation. Die Klauseln seien nun mal in der Szene üblich, wehrte sich Nike. Woraufhin sich Athleten und Ausrüster meldeten, die ihre Vertragsmodelle veröffentlichten, um das Gegenteil zu beweisen.

Vor einer Woche, kurz vor dem entscheidenden Gerichtstermin vor den Trials, zog Nike seine Klage plötzlich zurück. "Um Beeinträchtigungen von Boris abzuwenden", teilte die Firma mit. Ein merkwürdiger Anflug von Barmherzigkeit, fanden viele Beobachter, Nike hatte wohl gehofft, Berians Widerstand vorher zu brechen und andere Athleten abzuschrecken. Tatsächlich ist nun das Gegenteil eingetreten, Berian hat einen undurchsichtigen Markt mit seiner Debatte zumindest ein wenig ausgeleuchtet. "Viele Leute wissen gar nicht, was es bedeutet, ein Profiläufer zu sein", sagte er in Eugene. Er habe zuletzt ein paar "dunkle Tage" durchlebt, aber letztlich sei es ihm gar nicht so schwergefallen, für sein Anliegen einzutreten: "Laufen", sagte Berian, "ist nun mal das einzige, was mich glücklich macht."

© SZ vom 04.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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