Leichtathletik:Der Kater schmerzt

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Trotz Kendra Harrisons 100-Meter-Hürden-Weltrekord wird in London deutlich: Die Sportart verliert Strahlkraft.

Von Johannes Knuth, London

Kendra Harrison hatte schon mal Platz genommen, die Reporter trudelten verspätet zur Fragerunde ein, gerade war noch ein gewisser Usain Bolt durch die Londoner Nacht gelaufen. Sorry, Frau Harrison. Sie führte an diesem Abend auch eine beachtliche Leistung im Angebot, sie hatte einen Weltrekord über 100 Meter Hürden in die Annalen ihres Sports gehämmert, in 12,20 Sekunden. Aber wenn der selbsternannte König der Sprinter Hof hält, vor mehr als 100 Reportern, dann fällt wenig Licht auf den Rest. Harrison nahm es aber gelassen. Sie erzählte dann eben den zwölf Reportern im Bauch des Stadions von ihrer großen Freude, die noch süßer schmeckte nach den sauren Tagen, die hinter ihr lagen.

Kendra Harrison, 23, aus Tennessee, hatte ein gutes Frühjahr erlebt. Der Sommer lag vor ihr wie eine Wiese, auf der schöne Leistungen blühen würden. Im Mai traf sie in Eugene nach 12,24 Sekunden ein, drei Hundertstel über dem Weltrekord. Vor den Sommerspielen, ihren ersten, wartete noch der Eignungstest bei den Trials, nur die besten Drei einer Disziplin rücken bei den Amerikanern in die Olympiamannschaft. Aber irgendwie kam Harrison dann ihre Ruhe abhanden. Sie wurde Sechste. "Du musst bei uns unter Druck liefern, und das habe ich in diesem Jahr nicht geschafft", sagte sie tapfer. Sie sei dann halt mit "viel Wut im Bauch" nach London gereist, "um der Welt zu zeigen, dass ich es noch kann". Am Ende hatte sie die schlechte Erfahrung der Trials in etwas Gutes umgekrempelt, so sah sie das zumindest.

Es ist schon etwas Besonderes, wenn die Diamond League in London Station macht, wenn das Olympiastadion zwei Tage lang Sammelpunkt der paralympischen und olympischen Elite ist. London ist eine der letzten großen Schaubühnen des Sports in Europa, 60 000 kommen jeden Abend brav ins Stadion, wer hier gut ist, der besteht im Zweifel auch bei Olympia in zwei Wochen. Wenn er sich nicht vorher selbst aus dem Rennen genommen hat, wie Harrison. Die Sportler wärmen sich gerne an den Erinnerung der flirrenden Spiele vor vier Jahren, da vergisst die Leichtathletik schon mal kurz, wie sehr es an allen Ecken brennt, qualmt und stinkt.

Wobei: Die 60 000 Zuschauer sind mittlerweile eher 40 000. Und vom flirrenden Sommer von 2012 sind nur noch ein paar Ausläufer zu spüren. Neun Milliarden Pfund haben die Londoner für die große Sause berappt, die Spiele sollten ein neues Gesundheitsbewusstsein in Schulen und Bevölkerung verankern. Bislang tritt das Gegenteil ein, wie Studien nahelegen. "Wenn es um das zentrale Vermächtnis der Spiele geht, war es eine gigantische Geld- und Zeitverschwendung", urteilte der Guardian zuletzt. Immerhin, ihren Humor haben sie hier nicht verloren, am Wochenende führte ein gewisser Herr Lewis durchs Programm. Er stellte sich als "Money Saving Expert" vor. Das in einem Stadion, das 500 Millionen Pfund kostete und 250 weitere verschlang, um es in eine Arena für die Fußballer von West Ham umzubauen. Das meiste Geld hat letztlich wohl West Ham gespart, auf Kosten der Steuerzahler.

Die Party ist vorbei, eine Woche vor der nächsten Olympiamesse in Rio werden Kater und Kopfschmerzen stärker. Der Ausschluss der systemisch gedopten Leichtathleten aus Russland bestimmte die Fragerunden am Wochenende, gefolgt von der zerbeulten Glaubwürdigkeit des Sports. Die Athleten antworteten, grob gebündelt: Ja, der Ausschluss ist richtig, ja wir finden Doping auch blöd, aber wir sind hier, um unserem Beruf nachzugehen. Bolt sagte, dass er lieber nichts sagen möchte, ehe er doch ein bisschen was zum Olympiabann der Russen sagte ("Eine starke Botschaft, die Betrüger abschrecken wird"). Die beste Antwort stellte er zum Zika-Virus in Brasilien bereit. "Das haben wir in Jamaika auch", sagte er gelangweilt, "das ist mein geringstes Problem."

"Mein Trainer hat mir vom ersten Tag an gesagt, dass ich diesen Rekord schaffen kann."

Immerhin, auch das durfte man festhalten: Einige Athleten sind kurz vor Rio prächtig in Schuss. Bolt reichte mit 19,89 Sekunden über 200 Meter seinen Leistungsnachweis ein ( siehe nebenstehenden Text). Und als Mo Farah über 5000 Meter nach 12:59,29 Minuten eintraf, vibrierte das Stadion wieder wie vor vier Jahren, als Farah in London seine beiden Olympiasiege erschuf. Die Deutschen präsentierten sich ordentlich, Kugelstoßer David Storl wurde mit Saisonbestweite Dritter (21,39 Meter), Gregor Traber Zweiter über 110 Meter Hürden (13,45 Sekunden). Andere wurden daran erinnert, dass sie nach der schönen EM in Amsterdam in Rio auf ein anderes Niveau prallen werden; Europameisterin Cindy Roleder schied über 100 Meter Hürden im Vorlauf aus (12,88).

(Foto: Ben Stansall/AFP)

Der Bringer war natürlich Harrison, aufgewachsen bei Adoptiveltern mit zehn Geschwistern, erste Erfolge in der High School, als sie in Turnschuhen fast Landesmeisterin wurde, ehe sie sich mit ihrer Schnelligkeits-Begabung in die Weltspitze aufmachte. Wenn sie läuft, hat man selten das Gefühl, dass ihr Hürden im Weg stehen, sie zeigt einen einzigen, flüssigen Sprint. Wobei die Frage bleibt, wie man mit ihrem Werk aus London nun umgehen soll.

Der alte Weltrekord der Bulgarin Jordanka Donkowa (12,21) war 28 Jahre alt, er stand lange unverrückt in der Landschaft, wie viele Sprintrekorde aus den steroidverseuchten Achtzigern. Getestet wurde damals nur bei Wettkämpfen, wenn überhaupt. Als Donkowa 1986 den Rekord egalisierte, wurde der Zeit die Anerkennung verweigert, die Dopingprobe war angeblich beim Transport ins Labor beschädigt worden. Donkowa lief dann halt vier weitere Weltrekorde. "Mein Trainer hat mir vom ersten Tag an gesagt, dass ich diesen Rekord schaffen kann. Ich musste mich nur selbst davon überzeugen", sagte Harrison. Es gilt das gesehene Bild, so lange nicht andere Wahrheiten dahinter hervorkommen.

© SZ vom 25.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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