Leichtathletik:Das nächste Praktikum

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Dreispringer Christian Taylor gewinnt nach dem WM-Titel in London auch die Diamond League - und verfolgt für das kommende Jahr ungewohnte Pläne.

Von Johannes Knuth, Brüssel/München

Christian Taylor hat sich neulich viel Mühe gegeben, er hat Zeit und Nerven investiert, er mag diese Übung ja wirklich sehr. Aber irgendwann stellte er fest: "Wenn ich kugelstoße, fliegt die Kugel einfach nicht." Das ist durchaus verständlich, Taylor hospitiert zwar gerne in fachfremden Disziplinen, ist aber hauptberuflich Dreispringer, mit federleichten 79 Kilo Kampfgewicht. In Brüssel, beim Finale der Diamond League, konzentrierte sich der Amerikaner also wieder auf das, was er am besten kann. Er gewann den Dreisprung mit 17,49 Metern, sicherte sich damit den Gesamtsieg, der erstmals nicht über die saisonumspannende Serie hinweg bestimmt wurde, sondern bei den letzten Meetings in Zürich und Brüssel. Versüßt wurde das mit 50 000 Dollar Prämie. Gibt schlechtere Stundenlöhne in der Leichtathletik.

Im kommenden Jahr will Taylor wieder 400-Meter-Rennen bestreiten - für den Kopf

Es war ein durchaus unterhaltsamer Saisonausstand, den die Szene am Wochenende in Brüssel aufführte. Was auch dem neuen Format geschuldet war, das nahezu alle Dramatik in einen Wettstreit presste. Ob das die Diamantenliga von ihrem Status als gehobenes, schwer überschaubares Rahmenprogramm befreit, darf man aber bezweifeln. In Deutschland ist die Serie weiter im Bezahlfernsehen versteckt, oder in den Worten der Sprinterin Gina Lückenkemper: "Kein Schwein bekommt etwas mit." Viele hatten sich vor den Finals entschuldigt, sie waren erschöpft oder verletzt. Diskuswerfer Christoph Harting gelang in Brüssel nach seinem postolympischen Kater immerhin eine Saisonbestweite, 64,55 Meter, Platz fünf. Bester Deutscher blieb somit Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler, vor einer Woche Zweiter in Zürich. Taylor wiederum könnte man wohl auch nachts oder am Nordpol springen lassen, er würde stets einen beachtlichen Sprung in die Wertung tragen. Der 27-Jährige, Weltmeister von London, blickt gerade auf die wohl beste Phase seiner Karriere zurück - weshalb er in Brüssel beschloss, er werde im kommenden Jahr mal wieder etwas Neues wagen, wenn auch nicht im Kugelstoßen.

Manchmal müssen auch die Besten Abstand zu dem schaffen, das ihnen am meisten liegt. Ashton Eaton etwa widmete sich vor drei Jahren den 400 Meter Hürden - ein Jahr später verbesserte der Amerikaner seinen Weltrekord im Zehnkampf, bei der WM. Später erzählte Eaton, er habe bei der Expedition ins Ungewohnte viel gelernt. Zum Beispiel, dass die Hürden ganz nett seien, der Zehnkampf ihm aber doch mehr Freude bereite. Taylor ging 2014 durch eine ähnliche Schule. Er vertrat die USA bei den World Relays über 4x400 Meter, lief die 400 Meter später in 45,17 Sekunden, startete ab und zu im Dreisprung, befreite seinen Körper von den gewohnten Belastungen. Ein Jahr später war er wieder Weltmeister im Dreisprung, 2016 gewann er Olympia-Gold, sein zweites nach 2012. Jetzt plant er eine ähnliche Kur, wieder über 400 Meter. "2018 ist für uns ein Jahr ohne WM und Olympia", sagte er in Brüssel: "Ich brauche eine mentale Pause."

Ganz ungefährlich ist das nicht, aber Taylor versteht es, Ungewohntes nicht als Bedrohung zu sehen. Sondern als Chance, etwas Neues, Besseres zu erschaffen. Vor fünf Jahren, Taylor hatte gerade WM- und Olympiagold auf sich vereint, war sein Absprungbein verschlissen; vom Neunfachen des Körpergewichts, das bei jedem Sprung auf die Gelenke drückt. Er hatte die Wahl: die Karriere beenden, oder fortan mit dem schwächeren rechten Fuß abspringen. Er würde sein Muskelgedächtnis löschen und neu aufspielen müssen, es war ein aussichtsloses Unterfangen. Eigentlich. Drei Jahre später war Taylor wieder Weltmeister. "Dieses Tief zu überwinden", hat er der New York Times mal gesagt, "war vermutlich die härteste Zeit meiner Karriere."

Taylor half dabei, dass er eine andere Lehre verfolgt als viele Konkurrenten. Er läuft so schnell an wie kaum ein anderer, mit bis zu elf Metern pro Sekunde - dann springt er nicht so kraftvoll ab wie die meisten, sondern läuft weiter, in der Luft. Sein Hop, der erste Satz, ist dadurch einer der kürzesten. Dafür verliert Taylor kaum an Tempo. Das bringt er dann beim Step und vor allem beim finalen Jump ein, da ist er so gut wie kein anderer. Taylor hat sich auf diese Weise zuletzt bedrohlich dem Weltrekord genähert, acht Zentimeter fehlen ihm zu Jonathan Edwards' 18,29 Metern. Taylor hat sich seine Wunschweite auf die Spikes stechen lassen, 18,30, "ich kann mir nicht vorstellen, meine Karriere ohne den Weltrekord zu beenden", sagte er in Brüssel. Aber wenn man etwas mit aller Macht will, führt man ja oft das Gegenteil herbei.

In London, bei seinem packenden WM-Sieg (17,68) vor Will Claye (17,63), klappt es wieder nicht. "Ich war etwas enttäuscht", sagte Taylor jetzt. "Aber ich habe als erster Dreispringer den WM-Titel verteidigt, das sollte ich nie für selbstverständlich halten. Ich war in London nicht ich selbst." Er müsse wieder den Wettkampf schätzen, anderen im letzten Versuch den Sieg rauben, dieser Nervenkitzel bringe die besten Weiten in ihm hervor. Die 400 Meter sind bei dieser Selbstfindung durchaus hilfreich, "sie tun immer weh, es gibt nie ein gutes Ende", weiß Taylor. Aber in solchen Situationen findet man sich ja oft besser zu sich als im gewohnten Umfeld.

© SZ vom 04.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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