Kristina Vogel:Weiter in Sorge

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Mitten im Training wurde die Rad-Olympiasiegerin durch einen schweren Sturz aus dem Alltag gerissen. Am Tag danach rätselt das Umfeld über die Folgen ihrer Rückenverletzung.

Von Volker Kreisl, Cottbus/München

Ein traditionsreicher und weltweit verbreiteter Sport wie das Bahnradfahren kann in so einem Moment sehr eng zusammenrücken. Von überall, zum Beispiel aus Australien, von der Weltmeisterin Anna Meares, gingen am Dienstag und Mittwoch die besten Genesungswünsche für Kristina Vogel ein. Hoffnung und Mitgefühl drückten diese Schreiben im Internet aus, aber eben auch große Sorge und Fassungslosigkeit. Dies lag unter anderem auch daran, dass nach Vogels schwerem Trainingssturz auf der Radrennbahn von Cottbus eine lange Zeit der Ungewissheit folgte.

Vogel war am Dienstagnachmittag mit dem Helikopter in das Unfallkrankenhaus Berlin geflogen worden. Dort wurde sie mehrere Stunden lang an der Wirbelsäule operiert. Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) sprach von schweren Rückenverletzungen. Präzise konnte niemand etwas angeben, Vogels Teamkollegin Miriam Welte vermochte auch am Mittwochmorgen nur zu sagen: "Wir müssen abwarten, was passiert." Eine Diagnose von Vogels Verletzungen wurde zunächst weiterhin nicht veröffentlicht, am Mittwochnachmittag hieß es dann, ihr Zustand sei stabil: "Diese OP ist gut verlaufen.

Kristina wird weiterhin intensivmedizinisch betreut." In der Zwischenzeit ergab sich aus den Reaktionen von Zeugen, die beim Training in Cottbus dabei waren, ein erstes Bild vom Unfall, wenn auch ein sehr ungenaues. Vogel ist 27 Jahre alt, aber sie ist auch schon Sprint-Olympiasiegerin und hat etliche große Titel errungen, sie ist lange dabei. Schon einmal war sie schwer gestürzt, als 18-Jährige, als ihr beim Straßentraining ein Kleintransporter die Vorfahrt genommen hatte und sie mit Knochenbrüchen und einer Gehirnblutung für lange Zeit ausfiel. Vogel hat also reichlich Erfahrung. Am Dienstag aber kollidierte sie in voller Fahrt mit einem jüngeren Fahrer. Wie die Deutsche Presse-Agentur meldete, war dies ein niederländischer Juniorenfahrer, er habe sich in dem Moment, als Vogel beschleunigte, zu einem Starttraining auf die Bahn begeben. Bei dem Zusammenstoß ist sie dann schwer gestürzt, der Juniorenfahrer habe "keine ernsthaften Verletzungen", erklärte der Sprecher des niederländischen Verbandes KNWU.

Dass sich mehrere Fahrer beim Training die enge Bahn im Rad-Oval teilen, ist üblich, auch unterschiedliche Übungseinheiten können gleichzeitig durchgeführt werden. Trotz der enormen Geschwindigkeiten von 60 bis 70 Stundenkilometern beherrschen Rad-Profis normalerweise die Kräfte in der Bahn und behalten den Überblick. Und doch muss vor Vogels plötzlichem Unfall irgendjemandem ein Fehler, eine Unaufmerksamkeit unterlaufen sein - auch wenn es für Schuldzuweisungen zu früh ist, genauso wie für Mutmaßungen darüber, ob die mit Kunstharz beschichtete Betonbahn in Cottbus anders als eine Holzbahn vielleicht zu hart war. "Den genauen Hergang müssen Gutachter klären", sagte BDR-Sportdirektor Patrick Moster dem Sport-Informations-Dienst.

Die exakte Fehlersuche hilft zu verstehen und somit auch Traumata zu verarbeiten, aber sie nutzt im ersten Moment eines solchen Schocks auch nichts. Plötzlich wird in einer Disziplin wieder einmal klar, dass die Leistungssportler trotz professioneller Herangehensweise in Geschwindigkeiten und Kraftbereichen unterwegs sind, die nicht restlos kontrollierbar sind. Und diese Erkenntnis betrifft alle riskanten Sparten, auch zum Beispiel den Rennrodelsport, dessen deutscher Olympiasieger Felix Loch am Mittwoch ebenfalls sein Mitgefühl äußerte. Ähnlich aus der Trainingsroutine gerissen wurde vor 14 Jahren die Turnszene, als der deutsche Meister Ronny Ziesmer im Training verunglückte und schwere Rückenverletzungen davontrug. Vor 39 Jahren stürzte Handball-Nationalspieler Joachim Deckarm bei einem Spiel in Ungarn auf Betonboden und erlitt dabei schwere Kopfverletzungen.

Nicht selten profitieren verunfallte Sportler aber auch von ihrer robusten Physis, was nun ein bisschen Hoffnung für Kristina Vogel begründet. Ein Ausdruck dieser Hoffnung liegt wohl auch in den Worten, die Daniel Rekowski wählte, der Präsident des Chemnitzer Teams Erdgas.2012, für das Vogel fährt: "Kristina hat vor allem immer ihr großes Kämpferherz ausgezeichnet", sagte er, "diese Kämpfernatur wird sie auf dem vor ihr liegenden Weg mehr denn je brauchen."

Auch wegen dieser Überlegung soll das Rennen, auf das sich Vogel in Cottbus vorbereitet hatte, der Große Preis von Deutschland, am Wochenende stattfinden. Bundestrainer Detlef Uibel erklärte, man habe in dieser Phase der Unsicherheit lange nachgedacht und sich dann gesagt, Vogel würde es wollen. Es sei Außenstehenden vielleicht schwer zu vermitteln, "aber sie würde sagen, setzt euch aufs Rad". Und auch Teamkollegin Miriam Welte, die zusammen mit Vogel bei den Olympischen Spielen in Rio vor zwei Jahren im Teamsprint Bronze gewann, erinnerte daran, dass Kristina Vogel ein "positiver Mensch" sei: "Sie ist schon einmal nach einem schweren Unfall zurückgekommen."

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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