Kommentar:Der olympische Smog

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Es gibt rund um die Spiele in Peking so viele Probleme, und doch werden sie ihren gewohnten Lauf nehmen: Das düstere Präludium hat die Sehnsucht nach schönen Bildern und Helden nur verstärkt.

Josef Kelnberger

Am Tag der Eröffnungsfeier lag bleierner Nebel über der Olympiastadt Peking. Weder das olympische Feuer noch die Wetterbrigaden des chinesischen Regimes konnten den grauen Schleier vertreiben, der die 29. Spiele der Neuzeit umhüllt. Das ganze Unbehagen am Sport, das in der westlichen Öffentlichkeit um sich greift, verdichtet sich nun im Pekinger Smog: Im schlimmsten Fall werden dies Olympische Spiele, bei denen chemisch angetriebene Athleten unter einer Smogglocke Propaganda treiben für eine Diktatur. Und Staatsmänner aus aller Welt stehen der neuen Supermacht China devot Spalier.

Hat anb Autorität eingebüßt: IOC-Chef Jacques Rogge. (Foto: Foto: AFP)

Andererseits hat der 85-jährige Schimon Peres, mit der ganzen Kraft seines Amtes als Präsident des Staates Israel, "ein heiliges Lied der Hoffnung" für diese Spiele geschrieben. China, und damit jeder fünfte Erdenbewohner, heißt es oft, sei noch nicht reif für diese Spiele. Kommt also Olympia einfach nur zu früh nach Peking? Die einfache Antwort lautet: zu früh im Jahr auf jeden Fall.

Es hätte die Möglichkeit gegeben, die Spiele im September auszutragen, dann würden die Olympia-Athleten wohl einen Hauch von Chinas goldenem Herbst spüren. Aber dagegen standen nicht zuletzt die Interessen des US-Fernsehens; die Spiele würden dann mit den US-Profiligen kollidieren und weniger Gewinn abwerfen. Zu früh für China? Zur bizarren Uhrzeit von zehn Uhr vormittags beginnen in Peking die Finals der Schwimmer - ein Verstoß gegen die Regeln dieses Sports, und ebenfalls geschuldet den Fernsehverträgen des IOC. Der US-Sender NBC braucht die Rennen von Michael Phelps, der zum US-Helden dieser Spiele aufsteigen soll, zur besten Sendezeit zwischen Ost- und Westküste.

890 Millionen Dollar zahlt NBC an die olympische Bewegung, und wenn man weiß, dass NBC im Besitz des US-Konzerns General Electric ist, einem der zwölf Top-Sponsoren des IOC, dann ergibt sich ein klareres Bild vom Zustand Olympias. Der Vorstandsvorsitzende von General Electric hat erklärt, Olympia könne den Boden für weitere gute Geschäfte mit China auf Jahrzehnte hinaus bereiten. One world, one dream, lautet das Motto dieser Spiele. Eine Welt, ein Traum: Eine Hand wäscht die andere.

Auf 3,1 Milliarden Dollar beziffert das Internationale Olympische Komitee die Einnahmen aus Olympia 2008. Das IOC hat das viele Geld aus der Vermarktung der Spiele dazu genutzt, den Sport auf dem ganzen Globus zu fördern und die olympische Bewegung über die ganze Welt zu verbreiten. 204 nationale Olympische Komitees waren beim Einmarsch im Pekinger Vogelnest mit ihren Fahnen vertreten.

Die propagierten Ideale stehen im krassen Widerspruch zur Geschäftspolitik des IOC. Olympia basiert auf klassischen westlichen Werten und wird immer noch europäisch geführt - von dem belgischen Chirurgen Jacques Rogge als Präsident und dem Niederländer Hein Verbrüggen, der tief im Dopingsumpf des Radsports steckt. Im Spiegel von Olympia 2008 sieht sich also auch der Westen zusammen mit China auf der Anklagebank.

In den 30 Jahren seit seiner wirtschaftlichen Öffnung ist China vom Westen vor allem als Markt begriffen worden. Das chinesische Regime hat wohl tatsächlich angenommen, dass der Westen ihm mit den Olympischen Spielen die Öffnung honoriert, und dass ihm Olympia als Instrument zur Verfügung gestellt wird, um die Macht im eigenen Land zu festigen.

Die Gastgeber und das IOC waren tatsächlich überrascht, als im Frühjahr, während das Regime den Tibet-Aufstand niederschlug, der Sturm losbrach. Die moralischen Ansprüche an China, die sich aus Politik und Wirtschaft verabschiedet haben, sind auf den olympischen Sport projiziert worden. Aber in seiner jetzigen Verfassung ist Olympia das falsche Medium für Moral.

Olympische Spiele 2008
:China trommelt die Spiele ein

Feierlich eröffneten 2008 Trommler die Olympischen Sommerspiele von Peking - und geknallt wurde natürlich auch ganz ordentlich. Olympia hat begonnen.

Gibt es die vom deutschen Sportführer Thomas Bach zitierten zwei IOC-Denkschulen im Umgang mit China tatsächlich - Wandel durch Annäherung contra Wandel durch Abgrenzung? Wenn es also nicht bloß wirtschaftliche Interessen des IOC gibt, dann wären durchaus auch vernünftige Gründe für Olympia in China zu finden. Olympische Spiele können politische Wirkung entfalten - nicht durch das Proklamieren von Botschaften, sondern durch die Strahlkraft glaubwürdiger Wettkämpfe. Doch die Glaubwürdigkeit des Sports hat durch die Seuche Doping schweren Schaden genommen. Muskel, Aggression, Heroentum stehen im Mittelpunkt, wenn die Sportindustrie ihre modernen Helden bewirbt; der Athletenkörper wurde zum Kriegsgerät.

Dutzende Athleten wurden nun vor den Spielen aus dem Verkehr gezogen. Wer will, kann dies als Zeichen dafür werten, dass der Anti-Doping-Kampf ernst genommen wird. Im Zusammenhang mit China tragen die Nachrichten aber wohl eher dazu bei, das Publikum weiter zu desillusionieren. Sporthelden werden eine Weile bejubelt und dann schnell vergessen: schön und gut, aber wem ist noch zu trauen? Das grassierende Misstrauen kann das Fundament des sportlich-industriellen Komplexes auf Dauer erschüttern.

IOC-Präsident Jacques Rogge, nach Amtsantritt als entschlossener Anti-Doping-Kämpfer gewürdigt, hat durch sein Lavieren gegenüber der chinesischen Führung schwer an Autorität eingebüßt. Und die Politik hat komplett versagt - fürwahr nicht das erste Mal in der olympischen Geschichte. In Erinnerung sind der Boykott von 1980 und der Gegenboykott von 1984, die erschossenen Studenten in Mexiko-City 1968, die Nazi-Spiele 1936. Politische Indifferenz kennzeichnet schon die Anfänge der neuzeitlichen Spiele. Als Paris im Jahr 1900 die Spiele beherbergte, machten sich Truppen aus Europa und den USA auf den Weg nach Asien, um den Boxer-Aufstand niederzuschlagen - in China. Auch deutsche Truppen gaben dort, wie Kaiser Wilhelm es in seiner Hunnen-Rede verlangt hatte, kein Pardon. Es bleibt also nur die Hoffnung, dass Olympia seine Wirkung im Kleinen entfaltet, an der Politik vorbei.

Neben der staatlich organisierten Fröhlichkeit herrscht unter den Chinesen eine geradezu kindliche Vorfreude auf Olympia; die Gäste aus aller Welt werden mit überwältigender Freundlichkeit empfangen. Zehntausend Athleten haben das Olympische Dorf in Beschlag genommen, unter ihnen der Würzburger Dirk Nowitzki, ein Millionär aus der amerikanischen Basketball-Profiliga und gleichzeitig ein glühender Verfechter der olympischen Idee. Als besonderes Erlebnis aus dem Dorf schilderte der deutsche Fahnenträger, wie er mit einem ihm unbekannten Pakistaner ein Videospiel ausprobierte. Das war immerhin ein Anfang von Völkerverständigung.

Die Spiele werden nun ihren gewohnten Lauf nehmen. Das graue Präludium hat die Sehnsucht nach schönen Bildern aus den Stadien und nach strahlenden Helden noch verstärkt. Und falls keine Katastrophen passieren, wird sich über Olympia in Peking für einige Momente auch ein blauer Himmel zeigen.

© SZ vom 09.08.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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