Karlsruhe:Zaubern vor vermoosten Sitzen

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Starke Pose: Rouwen Hennings vom Karlsruher SC bejubelt seinen zweiten Treffer beim 3:0-Erfolg gegen den FC St. Pauli. (Foto: imago)

Trotz der alten Wildpark-Kulisse ist der Karlsruher SC plötzlich Aufstiegskandidat. Die klug zusammengestellte Mannschaft funktioniert.

Von Christoph Ruf, Karlsruhe

Ewald Lienen schaute auf die ausgedruckte Tabelle und schüttelte mindestens so demonstrativ den Kopf wie bei den etwa 137 Fehlpässen seiner Elf im vorangegangenen Spiel. 0:3 hatte St. Pauli in Karlsruhe verloren, und Lienen wusste, warum. "Wenn einem 15 Prozent in der Defensive fehlen, hat man gegen eine so spielstarke Mannschaft wie den KSC keine Chance." Die Punkte zum Klassenerhalt müsse man nun eben gegen Mannschaften holen, die in Sachen Spielkultur eher auf Augenhöhe liegen.

Spielstarke Mannschaft? Aber unbedingt! Wer den KSC der Saison 2014/2015 beobachtet, sieht einen Aufstiegskandidaten, dessen Defensivpersonal die Bälle sauber von hinten herausspielt. Und die dabei im Mittelfeld auf ausgewiesene Techniker wie den Japaner Hiroki Yamada oder den Spanier Manuel Torres trifft, die gar nicht anders können als beim Fußball spielen Fußball zu spielen. Und wenn dann wie gegen den erbarmungswürdig schwachen FC St. Pauli die Bälle noch relativ präzise über die Außenbahnen in die gefährliche Zone geschlagen werden, steht in der Mitte eben mit Rouwen Hennings ein Mann, der sich noch nie so treffsicher gezeigt hat wie in dieser Spielzeit. 13 Treffer hat der ehemalige St. Paulianer schon auf dem Konto. Auf dem Kiez galt der Mann, der beim KSC zunächst vor allem mangels Alternative gesetzt war, noch als Chancentod. "Wenn man unseren Etat sieht, müssen wir wohl einiges richtig gemacht haben", sagt Hennings. "Die Transfers passten, die Neuen haben sich gut integriert, und als Team haben wir uns in Sachen Ball- und Spielkontrolle weiter entwickelt."

Trainer Markus Kauczinski, der im März 2012 einen desolaten Haufen auf einem Zweitliga-Abstiegsplatz übernahm und im Jahr darauf mit einer typischen Drittliga-Haudrauf-Truppe den Wiederaufstieg schaffte, hat seither Sommer für Sommer zwei, drei Spieler ausgetauscht, die technisch eher auf Drittliga-Niveau waren, und sie durch Spieler ersetzt, die im Grunde nur vier Kriterien erfüllen mussten: Sie sollten spielstärker, schneller und jünger als ihre Vorgänger sein. Und selbstverständlich sollten sie nichts kosten. Denn im Wildpark, der neben den Arenen der Konkurrenz wie eine Draisine im Porsche-Museum wirkt, lebt man seit Jahren mit den Bürgschaften des schwerreichen Vizepräsidenten Günter Pilarsky, der sein Geld als Altmetall-Großhändler verdient. Bis das neue Stadion frühestens 2019 steht, das die Stadt Karlsruhe freundlicherweise erst mal vorfinanziert, wird man mit schlechten Trainingsplätzen, windschiefen Tribünen leben müssen. Ein unüberdachter Sitzplatz in der Kurve kostet in Karlsruhe 15 Euro, und dass man für die vermoosten, unüberdachten Plastiksitze auch nicht mehr Geld verlangen kann, lässt die Einnahmen stabil niedrig bleiben.

Umso bemerkenswerter ist die Transferbilanz der Badner, die zuletzt in Yabo, Jonas Meffert, Torres und Philipp Max vier Volltreffer aus den Reserveteams aus Leverkusen, Köln und Schalke holten. Auch ein Verdienst von Manager Jens Todt, der mit Kauczinski und Präsident Ingo Wellenreuther geräuscharm zusammenarbeitet und allein schon damit für Verblüffung beim Anhang sorgt. Es kam in der 120-jährigen Geschichte des Vereins schließlich nicht oft vor, dass die wichtigen Posten im Verein mit kompetenten Leuten besetzt waren. Und dann noch gleichzeitig.

Kurzum: Aus der jüngeren Geschichte des KSC ließe sich eine Jubelgeschichte über eine clever zusammengestellte Mannschaft schreiben, die attraktiven Fußball zeigt. Doch wer Kauczinski zum Fußball-Ästheten verklären will, hat die Rechnung ohne den tiefsitzenden Pragmatismus des Ur-Westfalen gemacht. Nicht, dass er etwas dagegen hätte, dass die Spielkultur gelobt wird. Aber dass auch heute noch vor allem die Not erfinderisch macht, das will er dann doch betont wissen: "Lange Bälle können ja eine Waffe sein", sagt er, "aber dazu haben wir schlicht nicht das Personal. Ich hätte jedenfalls nichts gegen einen großen kopfballstarken Spieler im Sturm, aber der steht uns nun mal nicht zur Verfügung, also müssen wir das Beste aus unseren Möglichkeiten machen." Und die liegen irgendwo zwischen den Kirchenmäusen aus Aalen oder Aue und Vereinen wie Nürnberg, Ingolstadt oder Leipzig, bei denen die Scheine lockerer sitzen.

© SZ vom 13.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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