Josef Ferstl:Der Kopf fährt mit

Lesezeit: 4 min

Die deutschen Abfahrer erleben in Gröden ein passables Wochenende. Ein Mentaltrainer hilft Josef Ferstl jetzt beim Warten auf den Wow-Effekt.

Von Johannes Knuth, Gröden

Josef Ferstl blickte noch einmal den kühlen, steilen Zielhang der Saslong hinauf, der friedlich im Schatten des mächtigen Langkofel ruhte. Er sinnierte über eine Fahrt, die seine Gemütslage in ein kleines Chaos gestürzt hatte. Ferstl hatte auf der Abfahrtspiste in Gröden eine kleine Weltpremiere vorgeführt, kurz nach dem Start hatte er einen Sprung zu früh eingeleitet, "das ist mir, glaube ich, noch nie passiert", sagte er. Der 26-Jährige war nach seinem Missgeschick in die Luft geschossen und hatte mit den Armen in der Luft gerudert wie bei einem unkontrollierten Sprung vom Zehnmeterbrett. Er landete auf zwei Skiern, irgendwie. Ferstl fuhr dann weiter, er fuhr ziemlich gut, am Ende wurde er Zehnter, etwas mehr als eine Sekunde hinter dem Sieger Aksel Lund Svindal aus Norwegen. Es war das beste Ergebnis, das Ferstl in der aktuellen Saison erwirtschaftet hat, "ich gehe mit einem guten Gefühl raus aus diesem Wochenende", versicherte er. Aber man spürte schon, welche Wehmut in seiner Stimme lag, über das, was hätte sein können.

Die Bilanz der deutschen Abfahrer ist gerade etwas festgefahren, sie steckt irgendwo zwischen gut und nicht ganz so gut. In den ersten Rennen in Nordamerika pendelten sie zwischen ordentlichen Platzierungen und Ergebnissen jenseits der Punkteränge. Beim Super-G am Freitag in Gröden brachten sie schon bessere Ergebnisse in die Wertung, Andreas Sander wurde 14., es war sein bislang bestes Ergebnis im Weltcup. Am Sonntag wurde Sander 23., Klaus Brandner 44., und Ferstl stieß zum ersten Mal in dieser Saison in den Kreis der besten Zehn vor, zum dritten Mal überhaupt in seiner Karriere. Trotz Rippenschmerzen, am Montag war er im Training gestürzt. Und doch mischte sich in seine Zufriedenheit ein bitterer Geschmack. Weil "ich durch den Fehler wieder ein noch viel besseres Ergebnis weggeschmissen habe."

Sportler nehmen Mentaltrainer an

Die Angestellten für die schnellen Disziplinen im Deutschen Skiverband (DSV) haben harte Zeiten hinter sich. Früher scheiterten sie oft schon daran, ein paar Weltcuppunkte zu erwerben, Alpindirektor Wolfgang Maier überlegte offen, die Abteilung abzuwickeln. Als Maier im vergangenen Sommer dann Mathias Berthold vom Österreichischen Verband abwarb und als Chef der deutschen Männer-Abteilung anstellte, war das auch ein Signal: Wir haben die Abfahrt nicht aufgegeben, wir wollen vom grauen Mittelfeld ins internationale Geschäft aufsteigen, irgendwann vielleicht in die Champions League. Bertholds Fahrer waren schon bald schnell, in den Trainingsläufen zumindest, doch je näher das Rennen rückte, desto weiter entfernten sie sich von den Besten. Ferstl tagte im vergangenen Sommer dann mit Berthold, er fragte sich: "Liegt's am Ski, liegt's am Trainer, liegt's an mir selbst?", erinnert er sich. "Und dann sind wir auf den Punkt gekommen, dass wir das mit dem Mentalen noch nie wirklich probiert haben."

Der Kopf steuert vieles im Sport, Anspannung, Entspannung, er kann ein hartnäckigerer Gegner sein als die Konkurrenz im Rennen. "Das habe ich ein bisschen vernachlässigt", sagt Ferstl. Der Kopf, hat er gelernt, "gehört genauso dazu wie Ausdauertraining, Krafttraining oder Skitechnik." Berthold engagierte vor Kurzem einen Mentaltrainer, einen Bekannten aus Zeiten beim ÖSV. Mentaltrainern oder Psychologen klebt im Sport manchmal noch ein Stigma an, sie werden oft gerufen wie Klempner, die einen akuten Defekt beheben sollen. Aber darum geht es ihnen im DSV gar nicht. "Es geht darum, dass ich mir selbst vertrauen kann", sagt Ferstl, damit ihm der Kopf sein Können auch im Rennen freigibt. In der vergangenen Saison waren seine Rennen oft fehlerbehaftet, weil er es im Rennen besonders gut machen wollte, aber wer es besonders gut meint, führt oft das Gegenteil herbei. "Es gehört halt mal der Wow-Effekt her. Wenn du einen Lauf ohne Fehler runterbringst, gibt dir das Selbstvertrauen", sagt Ferstl.

Erfahrung wichtigster Rohstoff von Abfahrern

Der große Wow-Effekt blieb am Wochenende in Gröden freilich noch aus, da war ja dieser Fehler. Berthold ist gerade trotzdem zufrieden mit seinen Schülern. Sie lassen sich helfen, "absolut", sagt er. Nur dann kann er jene Aufbauarbeit leisten, nach der er sich gesehnt hat. Berthold hatte den ÖSV vor einem Jahr freiwillig verlassen, der ÖSV ist reich an hochbegabten Fahrern und noch reicher an Ressourcen. Aber beim DSV muss Berthold weniger verwalten und koordinieren, er kann einfach Trainer sein. Eine Mannschaft auf ein neues Niveau heben, das reizte ihn. Er schickt nicht nur seine Athleten zum Mentalcoaching, sondern auch die Trainer. "Die Trainer müssen genauso gut vorbereitet sein", findet Berthold, "bei Pistenbesichtigungen zum Beispiel, damit sie die richtigen Worte finden." Und er versucht seinen Athleten zu vermitteln, dass die eigenen Erwartungen, mit denen man sich unter Druck setzt, ein Partner sein können auf dem Weg zu besseren Fahrten. "Wenn man Druck richtig kanalisiert, ist er etwas Positives", so sieht Berthold das.

Ferstl kann diesen Druck vielleicht noch nicht immer kanalisieren, aber er lernt, und er hat noch einige Jahre vor sich. Der wichtigste Rohstoff der Abfahrer ist die Erfahrung. Die Ü30-Klasse ist auf den Podien traditionell stark vertreten, Svindal ist 32 Jahre alt, der Österreicher Hannes Reichelt 35, "und ich", sagt Ferstl, "stehe mit 26 gerade als ältester deutscher Abfahrer da, das ist ein Witz." Er müsse einfach weiterarbeiten, sagte er vor dem Wochenende in Gröden, "ich gebe mich nicht zufrieden mit dem 25. Platz". Vermutlich ist es ein gutes Zeichen, dass sich der Skirennfahrer Josef Ferstl auch nach einem zehnten Rang auf der tückischen Piste am Fuße des Langkofel noch lange nicht am Ziel seiner Reise wähnt.

© SZ vom 20.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: