Hoffenheim:Überlistet, aber nicht besiegt

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Mit Händen und Füßen wehrte sich der 1. FC Köln (Torwart Timo Horn und Frederik Sörensen) gegen Hoffenheims Stürmer (hier Sandro Wagner). (Foto: Patrik Stollarz/AFP)

Taktiktüftler Julian Nagelsmann wird vom Kölner Konzept glatt überrumpelt, eher zufällig rettet Champions-League-Aspirant Hoffenheim einen Punkt.

Von Philipp Selldorf, Köln

Julian Nagelsmann ist ein Trainer, der das Spiel analysiert wie der Arzt das Röntgenbild. Er erkennt die Geheimnisse des Fußball-Organismus, die gewöhnlichen Menschen verborgen bleiben. Und wo der Arzt kundig über Phänomene an Pankreas und Gallenblase referiert, da erstellt Nagelsmann aus dem Stand Diagnosen über verschobene Abwehrketten und versperrte Zwischenräume; bei der TSG Hoffenheim sagt man ihm ein sehr spezielles Bewusstsein für die abstrakten Details nach, auf neudeutsch: Man hält ihn für einen Nerd, partiell zumindest.

Der 1. FC Köln zeigte nach einigen schwächeren Leistungen eine klare Aufwärtstendenz

Für die eigentlichen Akteure stellt sich die Sache oft viel simpler dar, wie beim Treffen des 1. FC Köln mit Julian Nagelsmanns Hoffenheimern wieder zu erleben war. Mag der junge Trainer seinen Spielern auch noch so versierte Hinweise zu den Strukturen der gegnerischen Teamordnung vermittelt haben - am Schluss folgte der Spielausgang dem Prinzip des Münzwurfs, wie der Kölner Kapitän Matthias Lehmann verriet: In den finalen Minuten habe Hoffenheim einfach einen Ball nach dem anderen in den Strafraum befördert, "und dann heißt es: Kopf oder Zahl?"

Letztlich war das Glück auf Seiten der Gäste: Kerem Demirbay schob den Ball mit Gefühl zum 1:1 ins Kölner Tor, der gute FC-Keeper Timo Horn kam nicht heran - und schleuderte anschließend wütend seine Handschuhe durch die Gegend. Mit Recht: Dieses Ausgleichstor war nicht das Ergebnis der Übermacht eines Spitzenteams, sondern ein Zufallsmoment. "Weder war es unser Unvermögen, noch war es Abgezocktheit der Hoffenheimer", schilderte Lehmann den Hergang, "es gab Gestocher im Strafraum, wir kriegen den Ball nicht raus, Yuya (Osako, Anm.) rutscht weg: das kann passieren ..."

Den Kölnern hätten die drei Punkte gutgetan im Wettstreit um die Europa-League, doch es gab keine Klagen über den spät verloren gegangenen Lohn eines guten Spiels. Es gehört zur Vereins-Maxime und zur Pflicht eines jeden FC-Profis, das genügsame Dasein im Hier & Jetzt zu loben. Dieses 1:1 hinterlasse zwar "kein Bombengefühl", erklärte der Vorredner Lehmann, "aber ein gutes Gefühl: So kann man ins Wochenende gehen." Der moralische Gewinn stand im Vordergrund, er kam gerade recht: Just als die Befindlichkeiten überhand zu nehmen drohten. Die schwachen Auftritte gegen Mönchengladbach (2:3) und in Augsburg (1:2) hatten im Kölner Volk ein Murren über den Rückrundenverlauf in Gang gesetzt, was wiederum Manager Jörg Schmadtke und Trainer Peter Stöger über die Anspruchshaltung des FC-Publikums murren ließ. Doch an diesem Abend hatte die Mannschaft wieder die gemeinsame Linie, die sie während der Vorrunde stark gemacht hatte.

Den überlegenen spielerischen Qualitäten der TSG setzten die Kölner Disziplin und taktische Finesse entgegen, Nationalspieler Jonas Hector organisierte mit Lehmann geschickt die Reihen. Die Hoffenheimer Offensive fand keinen Raum zur Selbstverwirklichung, obwohl Nagelsmann einen stürmischen Spieler nach dem anderen aufs Feld brachte. Der TSG-Trainer war gern bereit, Peter Stöger dafür ein Kompliment zu machen. "Taktisch haben die Kölner zwei komplett unterschiedliche Halbzeiten gespielt, damit haben sie uns ein bisschen überrascht." Ein Trainer, der eingesteht, dass ihn der Kollege überlistet hat - sehr beachtlich. Einziges Manko der Kölner: Aus mehreren Kontermöglichkeiten nach der Führung durch Leonardo Bittencourt (58. Minute) machten sie zu wenig. Schließlich vergab auch Anthony Modeste seine einzige Möglichkeit, als er zum Solo startete, statt den goldenen Schuss zu setzen. "Der einzige Vorwurf, den man uns machen kann: dass wir nicht den Deckel draufgemacht haben", befand Timo Horn.

Die Hoffenheimer begrüßten den glücklichen Punktgewinn euphorisch. Die komplette Bankbesatzung rannte ausgelassen auf den Rasen, als ob genau jetzt das seit Monaten begehrte Ziel erreicht worden wäre. Was faktisch sogar stimmt: Der Platz in der Europa League ist der TSG nicht mehr zu nehmen. Aber mit dem kleinen Europapokal wollten sich die Aufsteiger des Jahres nicht bescheiden, erklärte Nagelsmann - nicht aus Überheblichkeit, sondern aus begründetem sportlichem Ehrgeiz. Wenn er um fünf ins Bett gegangen sei und um halb acht wieder aufstehen werde, "dann gibt's vielleicht ein Lächeln", kündigte er an. Aber warum um Gottes Willen musste er am Samstagmorgen um halb acht aufstehen? "Weil wir um zehn Uhr ein Training haben und ich das Training vorbereiten muss", antwortete Julian Nagelsmann, den sie in Hoffenheim, wie erwähnt, für einen Trainer-Nerd halten.

© SZ vom 24.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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