Hermann Tilke im Interview:"Das letzte Auto wird ein Rennwagen sein"

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Wüste, Sumpf, New Jersey: Die Formel 1 expandiert unaufhaltsam - und der deutsche Bauingenieur Hermann Tilke plant alle Strecken. Im Interview spricht Tilke über verwirklichte Ideen in der Wüste, die legendäre Nürburgring-Nordschleife und seine alte Carrera-Bahn.

René Hofmann

SZ: Herr Tilke, angenommen ich möchte ein Formel-1-Rennen in München veranstalten. Was muss ich mitbringen?

(Foto: N/A)

Hermann Tilke: Dann müssen Sie erst nach London, zu Bernie Ecclestone, dem Formel-1-Vermarkter. Wenn das Projekt dort auf Interesse stößt, die Finanzierung gesichert ist und es einen Vertrag gibt - dann können Sie zu mir kommen.

SZ: Und Ihre erste Frage lautet dann?

Tilke: Was ist genau gefragt: eine permanente Rennstrecke? Oder ein Stadtkurs, also ein Rennen auf Straßen, die es bereits gibt.

SZ: Was ist denn günstiger?

Tilke: Das ist bei jedem Projekt unterschiedlich. Als Faustregel gilt: Kurzfristig kommt ein Stadtkurs billiger, langfristig eine permanente Strecke, weil die regelmäßig genutzt werden kann.

SZ: Malaysia, Bahrain, China, die Türkei, Singapur, Abu Dhabi, Südkorea, Indien: Die Formel 1 expandiert, und Sie haben fast alle neuen Strecken gebaut. An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?

Tilke: Formel-1-Projekte betreuen wir drei: Austin in Texas, das Stadtrennen in New Jersey und die Strecke in Sotschi, wo 2014 auf dem Gelände gefahren werden soll, das für die Olympischen Winterspiele entsteht. Daneben haben wir aktuell noch sieben kleinere Projekte. Sie müssen sich das vorstellen wie beim Fußball: Dort gibt es ja auch unterschiedlich große Spielflächen, vom Bolzplatz bis zur Allianz Arena.

SZ: Rennstrecken-Architekt - wie wird man das eigentlich?

Tilke: Zunächst: Ich bin Bauingenieur. Mein Geschäftspartner Peter Wahl ist Architekt. Ich hatte immer schon eine Affinität zum Motorsport. Als Schüler bin ich Bergrennen gefahren, heimlich, mit dem Auto meiner Mutter. Recht schnell nach dem Studium habe ich mich dann selbständig gemacht - um mehr Zeit für das Rennfahren zu haben. Dem Architekt, bei dem ich angestellt war, hatte nicht gefallen, dass ich so oft auf der Rennstrecke war. Dass ich so oft dort war, hat mir irgendwann aber geholfen. Am Nürburgring bekam ich meinen ersten Rennstrecken-Auftrag: Ein Fluchtweg musste umgelegt werden. Dafür gab es 600 D-Mark. So kam ich ins Geschäft. Als die Strecke für die Rückkehr der Formel 1 umgestaltet wurde, war ich dabei. Beim A1-Ring in Österreich und am Sachsenring lief es ähnlich. Und plötzlich war ich der Rennstrecken-Experte.

Kurse der Formel 1
:Die Strecken von Hermann Tilke

Schneckenkurve, Wüstenkurs und Hügelpiste: Die Renntrecken, die der deutsche Bauingenieur Hermann Tilke plant, verfügen über ganz eigene Charakteristika. Auf einem Kurs wird sogar entgegen dem Uhrzeigersinn gefahren.

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"Das letzte Auto wird ein Rennwagen sein": Tilke, 56, glaubt an noch viele gute Geschäfte. (Foto: dpa)

Tilke: Kurvenkombinationen, die die Fahrer zu Fehlern verleiten. Ohne Fehler wird Motorsport oft langweilig, dann fährt der Schnellste voraus, und die anderen fahren hinterher. Deshalb bauen wir am Ende von langen Geraden gerne enge Kurven, oder Kurven, in denen die Piloten nachsteuern müssen, oder Kurvenkombinationen mit Lastwechseln. Nur: Gegen uns arbeitet eine Armee der besten Ingenieure, die die Autos ständig weiterentwickeln. Und in den Autos sitzen die besten Fahrer der Welt. Es ist nicht so leicht, die zu Fehlern zu verleiten.

SZ: Auf ihrer Referenzliste stehen rund 60 Strecken. Auf welches Projekt sind Sie besonders stolz?

Tilke: Am beeindruckendsten war das in Abu Dhabi. Dort konnten wir sehr viele unserer Ideen umsetzen. Das Land, das für die Strecke ausgesucht wurde, war unberührt. Nur das Meer war in der Nähe. Da kam uns die Idee: Warum nicht einen Yacht-Hafen direkt an die Strecke legen? Das wurde getan. Genauso lief es mit der Idee, die Rennstrecke unter einem Hotel durchzuführen, das zum Teil auf dem Land gebaut ist und zum Teil ins Meer ragt. Solche Ideen zu entwickeln, sie umzusetzen und dann zu sehen, das funktioniert - das ist toll.

SZ: Ist es eigentlich schwer, in der Wüste zu bauen?

Tilke: In Abu Dhabi war das kein Problem, dort war es ja wirklich eine Wüste: also loser Sand, zum Teil natürlich, zum Teil künstlich aufgeschüttet. In Bahrain dagegen haben wir in einer Steinwüste gebaut. Jahrtausende alter Sand, extrem hart gepresst. Wir mussten für jede Erdbewegung sprengen, selbst für kleinste Entwässerungsschächte. In Shanghai dagegen sind wir in einem 300 Meter tiefen Sumpf gelandet. Dort mussten wir erst einmal Pfähle in den Boden treiben, auf die wir dann Styropor aufgebracht haben. Dafür haben wir fast die komplette Jahresproduktion der chinesischen Styropor-Industrie benötigt. Oft ist Improvisationstalent gefragt, weil für permanente Rennstrecken doch enorme Flächen nötig sind. Die aber sind teuer-und deshalb landen Investoren oft auf Grundstücken, auf die sonst keiner bauen will. Der halbe Sachsenring zum Beispiel steht auf einer alten Mülldeponie.

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SZ: Jeder, der mal etwas gebaut hat, weiß, wie viele Vorschriften es gibt. Wie viele verschiedene Bauordnungen stehen in Ihrem Büro?

Tilke: Darum müssen sich die Kollegen kümmern, die für die Projekte tatsächlich für einige Jahre in das jeweilige Land geschickt werden. Wir haben 350 Leute, die allerdings nicht nur Rennstrecken bauen. Wir arbeiten auch an Krankenhäusern und Windkraftanlagen. Im Prinzip aber gilt: Vorschriften gibt es überall für alles, es ist nur überall etwas anders geregelt. Was ich schon alles für Brandschutzvorgaben gesehen habe! Da bekommt man fast den Verdacht: Feuer brennt überall auf der Welt anders.

SZ: Für welchen Zeitraum legen Sie die Strecken aus?

Tilke: Da gibt es kein Verfallsdatum. Natürlich muss öfter mal etwas erneuert oder umgebaut werden, so eine Strecke lebt ja. Aber die Nürburgring-Nordschleife etwa wurde 1927 gebaut und funktioniert immer noch. Sicher wird irgendwann einmal das Öl ausgehen, aber auch da bin ich gelassen.

SZ: Warum?

Tilke: Ich glaube: Das letzte Auto, das fährt, wird ein Rennwagen sein. Bei den Pferden war das auch so. Als der Mensch die nicht mehr zur Bewältigung des Alltags gebraucht hat, wurden sie weiter für sportliche Zwecke eingesetzt. Und heute gibt es sehr viele Menschen, die sehr viel Geld für Sportpferde ausgeben.

SZ: Haben Sie mal hochgerechnet, wie viele Kurven Sie gebaut haben?

Tilke: Das lässt sich leicht überschlagen. Die meisten Strecken haben zwischen zwölf und 15 Kurven. Es dürfte also bald die tausendste Kurve anstehen.

SZ: ...und als Kind, da haben Sie schon an der Carrera-Bahn gebaut?

Tilke: Ich hatte tatsächlich eine, zusammen mit meinen Brüdern. Am Ende hatte die eine beträchtliche Größe.

© SZ vom 12.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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