Handball:Sieg nach Punkten

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Mit vereinten Kräften: Flensburgs Handballer (hier Holger Glandorf, links, und Tobias Karlsson) konnten Kiels Joan Canellas selten stoppen. (Foto: dpa)

Der THW Kiel gewinnt in der Gruppenphase der Champions League 27:23 gegen die SG Flensburg-Handewitt. Phasenweise erinnert die Partie an einen mitreißenden Boxkampf.

Von Johannes Knuth

Wenn man der amtlichen Statistikstelle glauben darf, handelt es sich bei Nikolas Katsigiannis um einen Handballtorwart in Diensten des THW Kiel, 1,95 Meter groß, 104 Kilogramm schwer, Spitzname: Katze. Als sich Katsigiannis am Samstagabend vor die Fernsehkameras schob, hatte es allerdings eher den Anschein, als habe da jemand gerade einen Kampf im Schwergewicht hinter sich, als Preisboxer. Auf Katsigiannis' nasser Stirn klebte ein Pflaster, das einen Cut über der rechten Augenbraue mehr schlecht als recht versteckte. "Ach, ich bin mit dem Kopf gegen den Pfosten gekommen. Nicht schlimm", sagte Katsigiannis. Alfred Gislason, sein Trainer, assistierte: "Das war ein richtiges Kampfspiel"; ein Spiel zudem, das seine Mannschaft gerade 27:23 (14:13) in der Champions-League-Gruppenphase gegen die SG Flensburg-Handewitt für sich entschieden hatte. Gislason hielt kurz inne, dann ergänzte er: "Ein großartiges Handballspiel."

Die Kieler hatten am Samstag zwei Serien zu verteidigen. Seit Februar 2006 hatten sie den Flensburgern keinen Sieg in Kiel gestattet. Zudem haben sie seit Oktober 2011 in der Königsklasse zu Hause nicht mehr verloren. Vor allem aber war der THW auf zwei Punkte in der hochklassig besetzten Vorrundengruppe A angewiesen; neben Kiel und Flensburg, den Premiumklubs aus Schleswig-Holstein, bewerben sich auch Paris St. Germain, Croatia Zagreb und die Ungarn vom MVM Veszprem um den Gruppensieg. Nur der Erste rückt dank eines neuen Modus' direkt ins Viertelfinale vor, der Rest muss im Achtelfinale nachsitzen. Kiel und Flensburg waren mit je einem Sieg und einer Niederlage zum Duell am Samstagabend eingetroffen. Der Verlierer würde ans Tabellenende abrutschen.

Kiel verzweifelt zunächst an Flensburgs Torwart Moller

Flensburgs Trainer Ljubomir Vranjes überraschte an seinem 42. Geburtstag bereits vor der Partie. Statt Mattias Andersson beorderte er Kevin Møller ins Tor. Møller, zwei Meter groß, 103 Kilogramm schwer, könnte wohl problemlos als Preisboxer im Schwergewicht antreten. Auch ohne Spitznamen. In Flensburg ist er allerdings meistens als Teilzeitarbeiter dafür zuständig, bei einem Siebenmeterwurf des Gegners ins Tor zu rücken (um dann wieder auf die Bank zu weichen). Diesmal durfte Møller von Beginn an mitwirken. Die Kieler unterzogen seinen Fertigkeiten dann auch umgehend diverse Prüfungen, die Møller meistens bestand. Er parierte einen Wurf von Patrick Wiencek, der ungehindert auf ihn zugeprescht war, er faustete auch verlässlich einen Wurf von Christian Sprenger zurück ins Feld und entschärfte diverse weitere Kieler Angriffe. Gislason sagte später: "Was wir alles verworfen haben, vor allem in der ersten Halbzeit..."

Beide Mannschaften hatten das Spiel wie zwei wild entschlossene Boxer aufgenommen, mit viel Drang und wenig Deckung. Kiel legte zwei Tore vor, die 10 000 Zuschauer in der Halle waren prompt beschäftigt, aber Flensburg egalisierte ebenso prompt. Kiel zog eine dichte 6:0-Verteidigung auf, sie provozierten viele Flensburger Ballverluste (und damit eigene Gegenangriffe), doch letztere prallten verlässlich an Møller ab. Daraus leitete wiederum Flensburg viele Angriffe ein. Immer, wenn eine Mannschaft das Spiel auf ihre Seite zu zerren schien, stemmte sich die andere dagegen. Meistens waren es Flensburger, die sich immer wieder in die Partie zurückwühlten. Per Siebenmeter durch Kentin Mahé. Oder per Zaubertor in Unterzahl von Flensburgs Henrik Toft Hansen; der Schwede nahm in Unterzahl einen Ball fast an der Seitenlinie an, schob den Ball aus spitzem Winkel über die Deckung und durch die Beine des verdutzten Kieler Torwarts Jacobsen. Zur Halbzeit lag der THW 14:13 in Front. Es hätte auch 23:25 stehen können.

Glandorf springt und trifft beinahe aus dem Stand

Die zweite Halbzeit begann ohne Kiels Wiencek, der Kreisspieler hatte Flensburgs Rasmus Lauge verfolgt und sich dabei das Knie verdreht. Verdacht: Kreuzbandriss. Flensburg baute seine Verteidigung nun deutlich konzentrierter auf. Kiel erstickte Flensburgs Bemühungen weiter verlässlich vor dem Kreis. Es war jetzt das Kampfspiel, das Gislason später erwähnen würde. SG-Rückraumspieler Holger Glandorf streute ein paar spektakuläre Tore ein, einmal hob er quasi aus dem Stand ab, sein Wurf sauste mit 106 Stundenkilometer ins Tor. Er sollte mit vier Toren neben Lasse Svan am Ende bester Flensburger Werfer sein. Kiel konterte meist mit seinem kräftigen Rückraumspieler Joan Cañellas (der mit 7 Treffern bester Torschütze der Partie war). Einmal kippte Cañellas zur Seite, er sah dabei ungefähr so elegant aus wie ein volltrunkender Oktoberfestbesucher zu später Stunde, aber dahinter steckte natürlich Absicht - Cañellas Arm schnellte aus dem Nichts in die Wurfauslage, unerreichbar für den Flensburger Block, 17:15 (35.).

Beide Mannschaften traten jetzt nur noch bedingt dynamisch auf, eher wie zwei Boxer, die nach Luft schnappten und kaum noch technisch saubere Treffer landeten. Die Torhüter rückten in den Mittelpunkt, es war die Phase, in der Kiels Katsigiannis die Partie prägte. Katsigiannis, der Jacobsen nach 25 Minuten abgelöst hatte, hielt fast jeden zweiten Wurf, der auf sein Tor sauste - darunter einen von Glandorf, was kurz darauf in eine Vier-Tore-Führung des THW mündete. Sieben Minuten lang wartete Flensburg in der Schlussphase auf ein Tor, das war zu viel. Kiel konnte es sogar verkraften, dass ihr Kapitän Rene Toft Hansen mit Rot des Feldes verwiesen wurde. Als Katsigiannis beim Stand von 27:22 noch eine Parade einstreute, war die Partie entschieden. Sieg nach Punkten für den THW.

© SZ vom 04.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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