Handball:Neuanfang mit dem alten Personal

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Der umstrittene Bundestrainer Prokop gelobt, Lehren aus der enttäuschenden EM gezogen zu haben: Für die bevorstehenden Länderspiele stehen ihm deshalb alle gesunden Nationalspieler zur Verfügung.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Am Dienstag hatte der Handball-Bundestrainer Christian Prokop einen Termin bei der Krankenkasse. Man muss sich aber keine Sorgen um den 39-Jährigen machen. Der Termin war eine Pressekonferenz bei einem der Sponsoren des Deutschen Handballbundes (DHB). 48 Tage nach dem enttäuschend frühen und von Querelen umrankten Aus bei der Europameisterschaft in Kroatien und 22 Tage nach einem knappen Votum des DHB-Präsidiums zur Fortsetzung der Zusammenarbeit war dies Prokops erster öffentlicher Auftritt. Über Misserfolg und interne Streitereien während der EM wollte er sich partout nicht mehr äußern, aber aus einigen Sätzen war herauszuhören, dass und wie der Leipziger sich und seine Arbeit fortan verändern will. "Ich hoffe, dass mehr gelacht wird", sagte er zum Beispiel, und das verrät ja schon einiges über die bisherige Stimmung im Team.

Nach der Niederlage gegen Spanien, durch die Prokops Mannschaft als Titelverteidiger das Halbfinale verpasst hatte, waren zunächst Spekulationen aufgekommen, Prokop werde nach nicht einmal einem Jahr als Bundestrainer wieder abgesetzt. Als sich das Präsidium dann aber überraschend mit angeblich fünf zu drei Stimmen für ihn ausgesprochen hatte, hieß es, der eine oder andere Nationalspieler ziehe deswegen einen Rücktritt in Erwägung. Am Dienstag nun wurde Prokop gefragt, ob ihm persönlich seitdem ein Spieler mitgeteilt habe, unter ihm nicht mehr in der Nationalmannschaft spielen zu wollen - der Trainer antwortete schnell und prägnant: "Nein."

Die Mannschaft steht hinter ihm: Bundestrainer Christian Prokop (im schwarzen Hemd) bei seinem bislang letzten Einsatz, dem All-Star-Spiel. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Er habe seit dem EM-Aus Ende Januar viele Gespräche - "offene und ehrliche", wie er betonte - mit den Spielern und deren Bundesligatrainern geführt. In dem neuen Kader, den er für die Freundschaftsspiele gegen Serbien am 4. April in Leipzig und am 7. April in Dortmund nominiert hat, finden sich dann auch 13 seiner 18 EM-Spieler wieder. Dass Rune Dahmke, Tobias Reichmann und Paul Drux fehlen, ist Verletzungen geschuldet, die diesmal nicht berücksichtigten Maximilian Janke und Bastian Roschek seien nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Den großen personellen Schnitt in einer angeblich gespaltenen Mannschaft hat es also nicht gegeben. Prokop berief zudem in Abwehrchef Finn Lemke bewusst jenen Akteur, den er vor der EM erst einmal zu Hause gelassen hatte.

Prokop räumt eineinhalb Monate nach der EM ein, dass er die taktische Kommunikation mit den Spielern "unterschätzt" habe. "Es ist nicht so, dass wir uns irgendwo angelogen hätten, das ist Blödsinn", sagt er, "aber wir haben zu wenig über taktische Dinge gesprochen und zu wenig über unterschiedliche Vorstellungen in der Mannschaft. Wir haben zu selten den Dialog gesucht, also wird genau das in Zukunft ein wichtiges Thema sein."

Prokop will die Spielweise der Nationalmannschaft offenbar den etablierten Spielweisen in der Bundesliga anpassen, denn er sagt: "Wir müssen eine gemeinsame Sprache sprechen, zum Beispiel mit einem Abwehrsystem, das zu hundert Prozent funktioniert, weil die Spieler damit auch in ihren Vereinen eine hohe Wiederholungszahl bekommen." Ansonsten will er in seiner "Spielphilosophie" darauf achten, "dass wir einen emotionalen und attraktiven Handball spielen und als Mannschaft auftreten". Auch aus dieser Aussage war herauszuhören, dass es im mentalen Bereich und im Miteinander Defizite gegeben hat. Jetzt sagt Prokop: "Wir können in der Abwehr gerne über kompakter, offensiver oder defensiver sprechen, aber das wird viel zu oft zum Thema gemacht. Entscheidender ist, das Ganze mit Tempohandball und einer verstärkten Rückraum-Mittelposition anzugehen."

Prokop, zuvor Klubtrainer beim Bundesligisten SC DHfK Leipzig, war als Bundestrainer gerade mal zehn Monate im Amt, als nach dem EM-Aus eine mediale Welle der Kritik und Empörung über ihn hereinbrach. "Diese Zeit war nicht leicht", sagt er heute, aber tiefer lässt er in sein Inneres nicht blicken. "Ich habe von Freunden und Familie viel Unterstützung bekommen", betont Prokop noch, er klingt dabei wie jemand, dem ein schweres Schicksal widerfahren ist. Davon kann angesichts eines neunten Platzes bei einer EM zwar nicht die Rede sein, der einst als Julian Nagelsmann des Handballs gefeierte Trainer wurde aber in kürzester Zeit zum Buhmann stilisiert. "Es wäre ein Fehler, jetzt immer wieder zurückzublicken", sagt er und wiederholt, auch um seinen guten Willen zu demonstrieren, dass es wichtig sei, "offen und ehrlich miteinander zu sprechen".

Die Spieler möchten nur ungern auf die Höhepunkte der nächsten zweieinhalb Jahre verzichten

Prokops Zugeständnisse sind die eine Sache, die andere ist, dass die Nationalspieler in den kommenden zweieinhalb Jahren auch nur schweren Herzens auf eine Teilnahme verzichten möchten. Denn mit der Weltmeisterschaft im Januar 2019 in Deutschland und Dänemark sowie den Olympischen Spielen im Sommer 2020 in Tokio stehen zwei Karriere-Höhepunkte an. Als eine Art Mediator könnte in diesem Zeitraum der DHB-Sportvorstand Axel Kromer fungieren, der bereits vor der Präsidiumsabstimmung versöhnliche Gespräche geführt hat. "Dabei haben wir in allen Bereichen Punkte gefunden, wo wir Nuancen verschieben und Reaktionen zeigen werden, um aus dem Verfehlen der EM-Ziele zu lernen", sagt Kromer. Und so beendete Prokop den Termin bei der Krankenkasse am Dienstag mit einem zögerlichen Lächeln und neuer Zuversicht für die großen Aufgaben der kommenden Jahre.

© SZ vom 14.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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