Handball:Nah dran und mittendrin

Lesezeit: 4 min

Das erste bayerische Kräftemessen hat der HC Erlangen (links Nicolai Theilinger) für sich entschieden, die Coburger Sebastian Weber und Philipp Barsties (von links) waren knapp geschlagen. (Foto: imago/Zink)

Halbzeitbilanz der bayerischen Erstligisten: Während der HSC Coburg auch wegen einer Verletztenmisere ums Überleben kämpft, hat sich der HC Erlangen dank einer starken Hinrunde im Mittelfeld etabliert.

Von Ralf Tögel

Krimifans ist Ystad natürlich ein Begriff. Das 20 000-Einwohner-Städtchen an der schwedischen Südküste wurde durch die Kriminalromane von Henning Mankell weltbekannt, Kurt Wallander löst nämlich dort seine gruseligen Fälle. Freilich ist der Kommissar eine fiktive Figur, die Straßen, Plätze und Restaurants aber existieren in der Realität. Auch Handballfans dürfte Ystad ein Begriff sein, denn von dort kommen einige real existierende und außergewöhnlich talentierte Handballer. Nationalspieler wie Lukas Nilsson und Niclas Ekberg, die für den THW Kiel spielen, oder Jim Gottfridsson, aktuell bei der SG Flensburg-Handewitt unter Vertrag. Oder Robert Andersson: 139 Spiele für Schweden, zweimal Europameister, zweimal Olympia-Silber, dann wurde er Trainer, sein erster Verein? Natürlich der schwedische Erstligist Ystads IF.

Zurzeit ist Andersson Trainer des Bundesligisten HC Erlangen, und als solcher in guter alter Ystad-Tradition für so manchen Krimi zuständig. Zuletzt für einen 21:19-Erfolg beim VfL Gummersbach am zweiten Weihnachtsfeiertag, dem letzten Spiel vor einer sechswöchigen Pause - so lange ruht die Handball-Bundesliga (HBL) wegen der Weltmeisterschaft in Frankreich. Der HC Erlangen geht als Tabellenneunter in diese Auszeit, mit ausgeglichenen 18:18 Punkten. Damit steht der Aufsteiger vor hoch eingeschätzten Teams wie Melsungen, Göppingen oder eben dem traditionsreichen, zig-maligen Meister Gummersbach. Zurzeit aber ist Andersson in Ystad, die kurze Erholungszeit will gut genutzt sein, am 9. Januar schon beginnt die Vorbereitung auf die Rückrunde. 18 Spiele haben die Profis bereits in den Knochen, die zweiten Saisonhälfte wird nicht weniger anstrengend.

Bloß nicht abheben: Ziel bleibt der Klassenverbleib, erinnert Erlangens Trainer Andersson

Immerhin konnte Andersson die knapp zehnstündige Reise in die Heimat mit einem guten Gefühl angehen: "Ich bin sehr stolz auf die Jungs", sagte er anerkennend, vor allem eines habe gerade der jüngste Auftritt im Oberbergischen gezeigt: "Dass wir auswärts Spiele gewinnen können, wenn nicht alles läuft." Denn die Offensive, so erinnert der Schwede, sei in Gummersbach besonders fehlerhaft gewesen: "Das war eine unserer schlechtesten Leistungen im Angriff." Besonders überraschend kommt die gute Halbzeitbilanz allerdings nicht, angesichts des starken Kaders. Den Verantwortlichen ist es offensichtlich gelungen, eine stimmige Mischung an Routiniers, wie Weltmeister Michael Haaß oder den Slowaken Martin Stranovsky, der aus Barcelona gekommen war, und aufstrebenden deutschen Spielern zusammenzustellen. Ole Rahmel, Nikolai Link oder Nicolai Theilinger, der im aktuellen WM-Aufgebot steht, seien genannt. "Die Mannschaft hat eine hervorragende Entwicklung genommen", sagt Andersson, erinnert aber sofort daran, "dass wir auf dem Boden bleiben und hart weiterarbeiten müssen."

Darauf wird nicht nur der Trainer hinwirken, auch Geschäftsführer René Selke hält etwas Demut für angebracht. Oberste Priorität hat der Klassenverbleib, nach wie vor. Den gelte es möglichst schnell zu realisieren - mehr Konzession an die hervorragende erste Saisonhälfte gibt es nicht. Die Ziele neu justieren? Bloß nicht, Selke feilt lieber an einer soliden Zukunft: In Andreas Schröder hat bereits ein umworbener Rückraumspieler aus Gummersbach für die kommende Saison unterschrieben, bei den Außenspielern Stranovsky und Rahmel, deren Verträge auslaufen, sind die Verhandlungen in der finalen Phase. Denn auch das hat sich für den HCE geändert: "Unsere Spieler sind begehrt", weiß Selke, vor allem junge, deutsche Akteure mit viel Entwicklungspotential sind in der Liga interessant. Vor allem Rahmel, Dritter der Bundesliga-Torschützenliste, ist umworben, ihn könnte der Melsunger Johannes Sellin ersetzen, der die Liste momentan anführt und der weit gediehene Verhandlungen mit Erlangen bestätigt hat. Im Januar gedenkt Selke den Kader für die kommende Saison zu präsentieren, so viel Planungssicherheit gibt der Saisonverlauf her.

Coburgs Coach Gorr hofft auf die Rückkehr von Rückraumspieler Wetzel und Abwehrchef Hagelin

Beim fränkischen Nachbarn in Coburg dürfte die Pause weniger geruhsam verlaufen, denn dessen Momentaufnahme liest sich weniger angenehm. Der HSC steht auf dem vorletzten Tabellenplatz, der Rückstand auf das rettende Ufer ist ausgerechnet am letzten Spieltag vor der Pause durch Siege von Stuttgart und Lemgo auf vier Zähler angewachsen. Das klingt zunächst einmal keinesfalls uneinholbar, angesichts der enormen Qualität in der Bundesliga könnte es aber zu einem echten Problem werden. Allzu oft waren die Coburger nah dran, spielten auf Augenhöhe mit, gaben aber letztlich doch den Punktelieferanten. Zwei, drei Zähler sind zu wenig auf der Habenseite, sagt Trainer Jan Gorr, "um von einer guten Vorrunde zu sprechen". Gerade gegen direkte Kontrahenten wie Stuttgart oder Minden, gerade in engen Heimspielen wie gegen Leipzig oder den Bergischen HC hätte nach dem Geschmack des Trainers mehr herausspringen müssen. Dass sich in Tom Wetzel ein viel versprechender Zugang schon nach nur 15 Minuten im ersten Saisonspiel schwer am linken Sprunggelenk verletzt hat und seither ausfällt, sowie das verletzungsbedingte Fehlen von Abwehrchef Markus Hagelin, der sich am Knie böse verletzte und lediglich fünf Saisonpartien mitwirken konnte, haben sich natürlich nicht förderlich auf das Coburger Spiel ausgewirkt. Dennoch sei der Abstand zur Konkurrenz oft "viel kleiner als gedacht", sagt Gorr, die Topteams nimmt er dabei aus. Die "gravierenden Personalsorgen" habe man durch großen Kampfgeist und mannschaftliche Geschlossenheit wettgemacht, auf Dauer freilich wird das nicht genügen.

Das weiß der Trainer, er hofft auf die Rückkehr des Zweimeter-Rückraumspielers Wetzel aus Rostock Mitte Februar, Hagelin könnte schon nach der WM-Pause wieder fit sein. Neuverpflichtungen gibt der wirtschaftliche Rahmen nicht her, sagt Geschäftsführer Florian Dotterweich, Coburgs Etat dürfte etwas unter drei Millionen und auch etwas unter dem des fränkischen Nachbarn liegen, beide Klubs zählen damit zu den Sparsamen in der HBL.

Auch der HSC wird am 9. Januar die Vorbereitung auf die zweite Hälfte der Spielzeit starten, "wir wollen diese Zeit extrem nutzen", erklärt der Trainer. "Wir haben bewiesen, dass wir nicht ganz weit weg sind", findet Gorr, "die Grundwerte, die man braucht, sind da." Trotz aller Rückschläge habe seine Mannschaft immer den Charakter gezeigt, "wieder aufzustehen und dagegenzuhalten, das gibt mir Hoffnung". Erst einmal will aber auch der 38-Jährige ein paar Tage in der Heimat die Füße hochlegen und nicht an Handball denken, seine Anreise ist mit drei Stunden deutlich geringen als die des schwedischen Kollegen.

Gorr fährt nach Hüttenberg, erzählt er, eine kleine hessische Gemeinde zwischen Wetzlar und Gießen. Auch Hüttenberg hat eine große Handball-Tradition, der Weltmeister-Kreisläufer von 1978 Horst Spengler kommt von dort. Und natürlich Jan Gorr, seines Zeichens ehemaliger Assistenztrainer der Nationalmannschaft - derzeit Coach des HSC Coburg.

© SZ vom 30.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: