Handball:Jenseits vom Rumgegurke

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Fehlte verletzt beim EM-Gewinn in Polen, war aber mit acht Toren im Test gegen Dänemark schon wieder bester Werfer: Kapitän Uwe Gensheimer. (Foto: Marius Becker/dpa)

Die Handballer nutzen die gewonnenen Testspiele, um ihren Plan zu präsentieren.

Von Ulrich Hartmann, Köln

Der Masterplan des deutschen Handballs ist ein vollgekritzeltes, champagnerbesudeltes, mehrfach gefaltetes und beinahe schon poröses Blatt Papier, das jetzt einen Ehrenplatz im Deutschen Sportmuseum in Köln hat. "Brauchst Du das noch?", hat die Frau vom Bundestrainer Dagur Sigurdsson Anfang Februar gefragt, als sie seine Sporttaschen nach dem EM-Triumph zur großen Wäsche geleert und dabei den erbärmlichen Zettel gefunden hat. Beinahe hätte Sigurdsson geantwortet: "Kann weg!" Aber dann entknüllte er den Zettel mit den gesammelten taktischen Vorgaben einer bedeutungsvollen Europameisterschaft doch noch einmal. Er fotografierte ihn ab, stellte das Bild ins Internet und beobachtete die enorme Resonanz. Dann sagte er zu seiner Frau: "Den Zettel dürfen wir nicht wegschmeißen."

Der Masterplan des deutschen Handballs ist jetzt ein Museumsstück. Solche Exponate sind sentimentale Prunkstücke. Sie helfen nicht mehr bei der Zukunftsgestaltung. "Die Arbeit geht jetzt erst richtig los", sagte Bob Hanning, der Vizepräsident des Deutschen Handball-Bunds, als er am Freitag im Sportmuseum war, um den zerknitterten Zettel gemeinsam mit Sigurdsson feierlich zu übergeben. Die Museumsleute waren begeistert.

Es wird ein harter Kampf um die nur 14 Startplätze für Rio

Im Handballbund ist die Begeisterung längst einer neuen Betriebsamkeit gewichen. Am Samstag saß Hanning im Souterrain der Kölner Arena, um seine Lösung für eine große Dauerbaustelle zu präsentieren. Der DHB hat den renommierten Trainer Michael Biegler, 54, für den Posten des Frauen-Bundestrainers gewinnen können. Biegler, zuletzt polnischer Nationaltrainer und Klubcoach beim HSV Hamburg, soll das jahrelange "Rumgegurke" (Hanning) der Frauen beenden und sie bei der Heim-WM Ende 2017 "ins Halbfinale" (Präsident Andreas Michelmann) führen. Dass Biegler, der nie eine weibliche Mannschaft trainierte, die launischen DHB-Frauen zum Erfolg führen soll, ist ein Wagnis. "Aber es ist die letzte Chance für den deutschen Frauen-Handball", mahnt Hanning. "Wenn wir bei der Heim-WM wieder nur Siebzehnter werden, können wir den Laden auch abschließen."

Anders als bei den Frauen haben die Leute vom DHB bei den Männern aber eine deutliche Ahnung, dass die Mannschaft dauerhaft zu noch mehr in der Lage ist als zum überraschenden EM-Titel in Polen. Sie wittern eine Medaillenchance auch bei Olympia in Rio und wollen darüber hinaus dauerhaft in die Weltspitze. Dazu darf sich die junge Mannschaft nach ihrem EM-Triumph allerdings keine jovialen Chillout-Spiele leisten wie vor drei Wochen beim 24:26 gegen Katar. Sigurdsson hat sich damals wahnsinnig aufgeregt. "Das war eine Katastrophe", hat er sogar am Samstag noch einmal gesagt, nachdem seine Handballer in Köln doch sehr souverän mit 33:26 gegen allerdings schwache Dänen gewonnen hatten. Die Katar-Schmach wirkt nach. Sigurdsson nutzt sie als Drohgebärde an seine Spieler, und Hanning nutzt sie wie ein Vater, der mit erhobenem Zeigefinger Leviten liest: "Das Katar-Spiel war eine hilfreiche Erfahrung, weil die Mannschaft da auf die heiße Herdplatte gefasst hat."

Die Herdplatte ist als Metapher vielseitig verwendbar: für lebenslange Ängste wie für olympische Motivation. Am Samstag gegen Dänemark haben sehr fokussierte Handballer sich nicht getraut, wieder auf die Herdplatte zu fassen, auch nicht am Tag danach in Gummersbach beim 26:20 gegen Österreich. Hätten sie es getan, hätten sie gemerkt, dass die Platte nur lauwarm ist. Denn der Test "war für uns eine bessere Trainingseinheit", sagte der dänische Nationaltrainer Gudmundur Gudmundsson nach der Niederlage. So deutlich gehen Handballspiele aus, wenn die eine (dänische) Mannschaft nur trainiert, während die andere (deutsche) ihrem Trainer und der Welt bewiesen will, dass sie ihres EM-Titels würdig ist. "Wir haben die Warnungen unseres Trainers verstanden", sagte der Torwart Andreas Wolff. "Wir haben aus dem Katar-Spiel gelernt", verkündete pflichtschuldig Kapitän Uwe Gensheimer. Kein Wort der Wut, dass die Handballer am Freitagabend nicht zum Playoffspiel der Kölner Haie gedurft hatten, obwohl sie eine offizielle Einladung vom Eishockeyklub erhalten hatten. Sigurdsson und Hanning praktizieren gerade den extra strengen Führungsstil.

Am Samstag hat ihre Autorität Wirkung gezeigt. Ohne die verletzten Europameister Kai Häfner und Christian Dissinger, aber mit den zurückgekehrten Steffen Fäth, Martin Strobel, Hendrik Pekeler und Jannik Kohlbacher bewiesen die Deutschen vor 13 122 Zuschauern Spielfreude und probierten in der Deckung ein paar Varianten aus. "Eine Art jugoslawisches 3-2-1" nannte Sigurdsson seine offensivere Deckung und zeigte sich zufrieden. Auch die Spieler waren erleichtert. Ob er sich seines Platzes im 14-köpfigen Olympiakader schon sicher sein könne, ist der Torwart Andreas Wolff gefragt worden. Aber auch in dieser Hinsicht scheint Sigurdsson seinen Spielern Demut eingebläut zu haben. "Mit Olympia", behauptete Wolff, "beschäftige ich mich noch gar nicht." Das darf man vier Monate vor der Rio-Reise allerdings getrost als Notlüge betrachten. Es ist gewissermaßen Teil des neuen Masterplans.

© SZ vom 04.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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