Handball:Bollwerk mit Aussicht

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Quereinsteiger: Der nachnominierte Kreisläufer Jannik Kohlbacher aus Wetzlar gehörte beim Supercup zu den besten deutschen Torschützen. (Foto: Christina Pahnke/sampics)

Die deutsche Nationalmannschaft gewinnt den Supercup und zeigt: Dank ihrer Talente steht die Auswahl wieder vor einer besseren Zukunft.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat die deutsche Handball-Nationalmannschaft den Supercup am Sonntag in Kiel nicht gewonnen - immerhin zeigte der Fernsehsender Sport1 das 31:28 (17:11) gegen Slowenien live. Aber vermutlich hätte jede Partie eines stark ersatzgeschwächten THW Kiel mehr Zuschauer in die ehemalige Ostseehalle gelockt als jene 4511, die sich am Sonntag das Duell mit Slowenien ansahen, einem Gruppengegner bei der Europameisterschaft in Polen vom 15. bis 31. Januar 2016. Dabei hätte man nach dem 29:20 gegen Brasilien (am Freitag vor nur 3071 Fans in Flensburg) und dem zu Beginn berauschenden 37:26 gegen Serbien (am Samstag vor nur 3905 Anhängern in Hamburg) durchaus Grund gehabt, den sehr ordentlichen Leistungsstand zu Beginn der EM-Vorbereitung zu genießen. Zumal in Linksaußen Rune Dahmke, 22, ein Kieler Eigengewächs sein drittes Länderspiel absolvierte.

Dahmke war gegen Serbien nach der Pause als Ersatz für sein Vorbild Uwe Gensheimer aufs Feld gekommen und hatte gleich die meisten Tore geworfen, nämlich sechs. Gegen Slowenien durfte er nur in den letzten eineinhalb Minuten auflaufen und den Beifall des Publikums einheimsen. Aber er ist eines jener Talente, die dem deutschen Handball eine bessere Zukunft in Aussicht stellen, nachdem man als Tiefpunkt der sportlichen Krise die Olympischen Spiele 2012 in London und die EM 2014 in Dänemark verpasste und bei der WM 2015 nur dabei sein durfte, weil es eine ominöse Wildcard gab. Viel wichtiger aber war, dass das Team inzwischen wieder eine gute Struktur hat und sogar die Ausfälle von gleich drei Kreisläufern kompensieren konnte: von Patrick Wienczek (Kiel), Hendrik Pekeler (Rhein-Neckar Löwen) und Evgeni Pevnov (Gummersbach)

. Bundestrainer Dagur Sigurdsson hat eine durchaus erfreuliche Entdeckung gemacht: Der große neue Mittelblock mit dem 2,10 Meter langen Finn Lemke (Magdeburg) und dem nur sechs Zentimeter kleineren Erik Schmidt (Hannover-Burgdorf) erwies sich im Zusammenspiel mit den gut aufgelegten Keepern Carsten Lichtlein (Gummersbach) und Andreas Wolff (Wetzlar), der in Kiel durchspielte und eine Reihe Paraden zeigte, in vielen Phasen als echtes Bollwerk. Nach dem Serbien-Spiel hatte Sigurdsson den Auftritt des Duos Schmidt/Lemke als "sehr gut" bezeichnet, was bedeutet: Mit diesem Gespann kann man notfalls auch bei der EM antreten, zumal Wienczek (Kreuzbandriss) ebenso wie der begabte Rückraumspieler Paul Drux, 20, aus Berlin (Reha nach Schulter-Operation) mit Sicherheit nicht mehr schnell genug fit wird für Polen.

Im Endspiel gegen Slowenien, das Sigurdsson schon vor dem 23:21 gegen Serbien und dem 38:27 gegen Brasilien zu Recht als stärksten Gegner dieses Turniers einschätzte, haben sie das Niveau mit Abstrichen erneut bewiesen. Kapitän Gensheimer hatte ihren Vorteil so erklärt: "Die Langen müssen nicht ganz so weit raus" aus dem Abwehrverbund, weil sie eine größere Armlänge besitzen. Andererseits sind sie natürlich nicht ganz so beweglich wie Kollegen, deren Größe noch mit einer 1 vor dem Komma beginnt.

Das inzwischen große Aufgebot an talentierten Spielern wurde durch den erstmals nominierten U18-Europameister von 2012, Jannik Kohlbacher, 20, bestens repräsentiert. Zwar monierte Sigurdsson noch einige taktische Mängel beim Wetzlarer. Doch der Kreisläufer, der erst im Sommer vom Zweitligisten Großwallstadt in die Bundesliga kam, war dank seiner körperlichen Voraussetzungen, die an einen gut genährten Bären erinnern, gegen Slowenien mit sieben Treffern bester deutsche Werfer. Die Rückraumspieler Steffen Weinhold (Kiel) und Steffen Fäth (Wetzlar) kamen ihm mit sechs bzw. fünf Treffern am nächsten. "Wir haben drei gute Testspiele hinter uns", sagte Sigurdsson im Konfettiregen bei der Pokalübergabe, "aber wir müssen noch eine Schippe drauflegen, um in Polen etwas zu gewinnen." Zumindest haben die Deutschen ihr Spiel gegen Slowenien fast mit dem gleichen Ergebnis abgeschlossen wie bei der WM in Katar. Damals bescherte ihnen das 30:27 im Spiel um Platz sieben noch eine weitere Chance, über ein Qualifikationsturnier bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio dabei zu sein. Bis zum 15. Dezember muss Sigurdsson einen Kader von 28 Mann benennen, aus denen dann 16 Spieler für die EM nominiert werden. Acht Wochen vor dem Turnier mache er sich darüber aber noch "keinen Kopf", sagte der Isländer. Bevor er über den Kader entscheidet, hat er noch drei Testspiele: eins gegen Tunesien am 5. Januar in Stuttgart, zwei gegen sein Heimatland Island, am 9. Januar in Kassel und einen Tag später in Hannover. Am 16. Januar spielt die Mannschaft ihr erstes EM-Spiel der Gruppe C in Breslau gegen den WM-Vierten Spanien, dann folgen Schweden (18. Januar) und Slowenien (20. Januar).

© SZ vom 09.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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