Groundhopper im Fußball:Drei Leben für den Fußball

Lesezeit: 4 min

Im Amateurfußball wächst schon mal das Moos auf den Sitzen: wie hier in Weimar. (Foto: Christian Aumüller)
  • Der Bamberger Groundhopper Christian Aumüller hat schon mehr als 915 Stadien und Sportplätze weltweit besucht.
  • Er habe drei Leben, erzählt der 41-Jährige, "ein Privatleben, ein Arbeitsleben und ein Leben als Groundhopper".
  • Nach Tschechien fährt er besonders gerne - wegen der Bratwurst.

Von Sebastian Leisgang

Seit drei Wochen sei er trocken, sagt Christian Aumüller und lächelt milde, ehe er zur Bierflasche greift, die vor ihm auf dem Tisch steht. Er nimmt einen kräftigen Schluck, dann lächelt er wieder. Gut, man muss dazu sagen: Genau genommen trinkt Aumüller kein Bier - es ist Radler. Und trocken, das meint er nur im übertragenen Sinne. Eigentlich will er sagen: Er hat schon eine Weile keinen Fußballplatz mehr betreten. Drei Wochen lang. Und das muss man doch erwähnen: wenn man so lange abstinent ist. Ist ja auch eine Leistung.

Aumüller ist eine multiple Persönlichkeit. Man tritt ihm mit dieser Aussage nicht zu nahe: Aumüller, 41, sagt es selbst. Er lebt mit seiner Freundin und seiner neun Monate alten Tochter in Bamberg, geht als IT-Manager einem geregelten Beruf nach - und führt doch mehr als ein Leben. Aumüller unterteilt nicht zwischen einem Privat- und einem Arbeitsleben, wie das andere Leute machen. Aumüller sagt: "Ich habe ein Privatleben, ein Arbeitsleben und ein Leben als Groundhopper." Dann folgt der Satz mit der multiplen Persönlichkeit.

Groundhopper
:Je heruntergekommener, desto besser

Von Bamberg über Zypern nach Hongkong: Der Groundhopper Christian Aumüller besucht im Jahr mehr als 150 Fußballspiele.

Man kann Aumüller durchaus ernst nehmen, wenn er das sagt. Er kann sehr wohl trennen: zwischen den drei Leben, die er führt. Aumüller hat nicht nur das so genannte Hoppen im Sinn, das exzessive Besuchen unterschiedlichster Fußballplätze auf der ganzen Welt, das zeigt alleine dieses: Er schlägt vor, sich zum Gespräch abends in der Bamberger Innenstadt zu treffen. Eigentlich, sagt er, sei es kein Problem, sich bei ihm zu Hause zu unterhalten, aber seine Tochter schlafe halt früh.

Heikler Grenzübergang auf Zypern

"Für manche ist Hoppen kein Hobby - sondern eine Sucht. Die gehen jeden Tag nach Feierabend raus und nehmen jeden Rotz bei Wind und Wetter mit", ruft Aumüller jetzt also in einem Lokal in der Innenstadt. Dann erzählt er, wie er selbst zu Partien in Castrop-Rauxel gefahren sei, zu Jugendpartien in Bad Staffelstein, zu Frauenspielen in Hongkong, und zu Begegnungen, die einen heiklen Grenzübergang zwischen Zypern und Nordzypern erforderten: überall gepanzerte Fahrzeuge, Stacheldrahtbarrieren, Wachtürme, "wie bei der Berliner Mauer. Fand ich komisch. Aber geil. Hat Spaß gemacht."

In diesem Moment fragt man sich: Wen meint er mit manche, wenn er von einer Sucht spricht? Auch sich selbst? Was sonst - wenn keine Sucht - treibt einen dazu, so etwas auf sich zu nehmen?

Wenn Aumüller seine Faszination erklären will, dann beginnt er mit den Anfängen. Mitte der Neunziger. Aumüller ist in Greifswald großgeworden, rund 100 Kilometer östlich von Rostock, unweit der Ostsee. Er war gerade der Pubertät entwachsen, und Hansa, "das große Ding in der Region", wie er sagt, kam zu einem Testspiel in seine Heimatstadt. Aumüller ließ sich von Rostock infizieren, zu Bundesligazeiten ging er aus Lokalpatriotismus zu den Heimspielen, er selbst hat nie Fußball gespielt. Irgendwann begleitete er Hansa auch zu den Auswärtsspielen - und fand Gefallen an den Reisen.

Inzwischen sind ihm die Paarungen einerlei. "Ich schaue alles", sagt Aumüller und meint damit auch: jeden Rotz bei Wind und Wetter. Ihm geht es in aller Regel darum, architektonisch ansprechende Stadien zu sehen. Je heruntergekommener, desto besser. Wenn das Unkraut auf den Stehplatztribünen wuchert oder die Sitzschalen verwildert und von der Sonne ausgebleicht sind, dann geht ihm das Herz auf. Etwa bei den "schönen alten Ostschüsseln", wie er sagt.

Gerne erinnert er sich auch an einen zweiwöchigen Ausflug vor zwei Jahren. Dieser führte ihn zu rund 25 Spielen, unter anderem nach Luxemburg, Ungarn, Österreich und in die Slowakei. Der Plan: jeden Tag mindestens ein Spiel. Doch an einem Dienstag "wollte mir ums Verrecken nichts gelingen", erzählt er - also flog er von Wien nach Kopenhagen, um keinen Tag ohne Fußball verstreichen zu lassen. "Ich war nicht einmal 24 Stunden dort, bin dann nach Hamburg geflogen, um Havelse in der Regionalliga zu sehen." Von dort zog er weiter nach Erfurt, dann zurück nach Bamberg, um seine Klamotten zu waschen, und am nächsten Tag flog er aus München nach Barcelona, um von dort aus zwei Spiele in Andorra anzusteuern.

915 Sportplätze und Stadien hat Aumüller gesehen, seit er vor gut acht Jahren mit dem Groundhoppen begonnen hat. In diesem Jahr waren es rund 120. "Ich bin längst nicht der Extremste", sagt er, "ich kenne eine Handvoll Leute, die richtig heftig drauf sind. Die sehen mehr als 400 Spiele im Jahr." Es klingt nicht wie eine Klage, obwohl andere mehr Grounds abgegrast und mehr Länderpunkte gesammelt haben, wie das in der Szene heißt. "Es ist wie Briefmarkensammeln. Man sammelt halt Plätze", erklärt Aumüller. Groundhopping ist in gewisser Weise auch ein Wettrüsten: Wer schafft mehr Grounds? Wer hat schon alle Stadien der ersten thailändischen Liga gesehen? Und wer kann von sich behaupten, die Bratwurst auf dem Sportplatz des Fürther Stadtteilklubs ASV Vach beurteilen zu können?

"Es gibt eine ganze Community, die sich nur mit Bratwürsten in tschechischen Stadien beschäftigt", meint Aumüller jetzt. Er sagt diesen Satz genüsslich süffisant, er schüttelt den Kopf ein bisschen, und für einen Augenblick könnte man tatsächlich auf die Idee kommen: Der Bratwurst wegen nach Tschechien? Das geht selbst ihm zu weit. Doch dann ruft er: "Zu Recht!"

Nach Tschechien fährt er besonders gerne

Nach Tschechien, zu den schönen alten Ostschüsseln, fährt Aumüller besonders gerne, doch seit März ist er Vater. Seitdem nimmt er sich zurück. Die Frage, ob er für einen Ground einen Ehestreit riskieren würde, verneint er entschieden: Die Familie hat Priorität. Und ohnehin: "Ich definiere mich nicht über dieses Hobby, ich brauche auch mal ein Wochenende, an dem ich nichts mache - und einfach nur zu Eintracht Bamberg gehe."

Nichts machen, das heißt in Aumüllers Leben also: zu Eintracht Bamberg zu gehen. In seinem Leben als Hopper, versteht sich. Er hat ja noch zwei andere.

© SZ vom 28.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Groundhopper
:Je heruntergekommener, desto besser

Von Bamberg über Zypern nach Hongkong: Der Groundhopper Christian Aumüller besucht im Jahr mehr als 150 Fußballspiele.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: