Griechenland:Es war einmal ein Europameister

International Friendly - Greece vs Switzerland

Ausgelassenheit sieht anders aus: Griechenlands Trainer Michael Skibbe nach der Niederlage gegen die Schweiz.

(Foto: Alkis Konstantinidis/Reuters)

Der Fußball in Griechenland wird nur noch von Tristesse und Skandalen geprägt, die Politik droht die Geduld zu verlieren, die Fifa droht mit dem "Grexit". Doch Nationaltrainer Michael Skibbe will alles nicht so negativ sehen.

Von Tobias Schächter, Athen/München

Das Olympiastadion von Athen bietet Platz für fast 70 000 Zuschauer, am Freitagabend aber kamen nur etwa 5000 Menschen in die größte Sportstätte Griechenlands. Der Test der griechischen Fußball-Nationalmannschaft gegen die Schweiz wirkte wie ein Geisterspiel. "Es war nicht einfach ohne Fans", berichtete der Schweizer Internationale Blerim Dzemaili hinterher. Dabei gelang dem Profi vom FC Bologna mit einem Fallrückzieher zum Siegtor (59.) die einzige Szene, die von diesem Gruselkick in Erinnerung bleiben wird. Dzemaili konnte dem Auftakt der Schweizer ins WM-Jahr aber noch etwas Gutes abgewinnen, er sagte: "In so einem Spiel kann man nur verlieren - aber wir haben gewonnen." Die Schweizer treffen beim Weltturnier in Russland auf Brasilien, Serbien und Costa Rica.

Die Griechen und ihr Deutscher Trainer Michael Skibbe sind nach dem Scheitern in den Playoff-Spielen gegen Kroatien im Sommer nur WM-Zuschauer. Und die schlechte Leistung der Nationalmannschaft am Freitag samt seltsamer Atmosphäre in der fast leeren Arena stellten die ganze Tristesse des griechischen Fußballs zur Schau.

Vor zwölf Tagen setzte die griechische Regierung den Spielbetrieb der Super League und des nationalen Pokalwettbewerbs auf "unbestimmte Zeit" aus. Wann und wie es weitergeht, ist noch nicht geklärt. Anlass für die drastische Maßnahme war ein bizarrer Platzsturm von Ivan Savvidis, dem Besitzer von PAOK Saloniki, während des Spitzenspiels gegen AEK Athen. Nachdem der Unparteiische dem vermeintlichen Siegtor zum 1:0 für Saloniki in der 89. Minute die Anerkennung verweigerte, rannte Savvidis mit einem Revolver im Halfter, befestigt am Gürtel seiner Hose, auf den Platz und bedrohte Schiedsrichter und gegnerische Offizielle. Das Spiel wurde abgebrochen. Und die irre Aktion von Savvidis sorgte weltweit für Schlagzeilen über den griechischen Fußball - wie seit dem überraschenden Gewinn der Europameisterschaft 2004 mit dem Deutschen Trainer Otto Rehhagel nicht mehr.

Dabei ist dieser Skandal nur der jüngste und verrückteste in einer Reihe von beängstigenden Vorfällen. Mehrmals wurde in der Vergangenheit der Spielbetrieb unterbrochen. Spielmanipulation, Korruption, Hooliganismus, Gewalt vor und in den Stadien sowie Attentate auf Funktionäre sorgen regelmäßig für chaotische Verhältnisse. Spielabbrüche und Geisterspiele sind keine Ausnahme. Die Liga leidet unter Zuschauerrückgang und der erbitterten Rivalität der schwerreichen Besitzer der Spitzenklubs Olympiakos Piräus, AEK Athen, Panathinaikos Athen und PAOK Saloniki. Die Atmosphäre ist notorisch vergiftet. Nun droht der Weltverband Fifa mit dem "Grexit", dem Ausschluss der griechischen Fußballklubs aus allen internationalen Wettbewerben.

Skibbe sagt: "Für die wenigen, die hier spielen, gibt's am Wochenende eben frei"

Verharmlosend wirkten die Kommentare von Nationaltrainer Skibbe zur Lage. Der Deutsche erklärte, auf seine Arbeit habe die Unterbrechung der Meisterschaftsrunde eher keinen Einfluss, die meisten seiner Spieler seien ja im Ausland engagiert: "Und für die wenigen, die hier spielen, gibt's am Wochenende eben frei. Das ist für die Nationalmannschaft ja nicht schlecht." Eine sehr eigenwillige Logik, zumal auch die Geduld der Regierung im Umgang mit dem Fußball aufgebraucht zu sein scheint. Der stellvertretende Sportminister erklärte: Ohne eine von allen Seiten getroffene Übereinkunft werde es keinen Neustart geben. Doch die Besitzer der Spitzenklubs stehen sich unversöhnlich gegenüber und verfolgen mit ihren Medienimperien ihre jeweils eigene Agenda.

Ivan Savvidis zum Beispiel werden beste Beziehungen zur Regierung von Ministerpräsident Tsipras nachgesagt. Im heutigen Georgien geboren, baute sich Savvidis nach dem Zerfall der Sowjetunion ein Tabakimperium auf. Einige Zeit saß der Oligarch für Putins Regierungspartei "Einiges Russland" im russischen Parlament, seit sechs Jahren investiert er im krisengeplagten Griechenland. Savvidis besitzt unter anderem Anteile am Hafen von Saloniki sowie an Zeitungen und einem TV-Sender. Seine Firmen "Makedonia Palace Hotel" und "Souroti" sind Hauptsponsoren der Super League.

Nachdem die Regierung vor drei Jahren ein umstrittenes Gesetz erließ, das unter anderem PAOK Saloniki von Steuerschulden in Millionenhöhe befreite, schrieb Savvidis einen Dankesbrief an Tsipras. In dem hieß es: "Befreit von den Fesseln der Schulden, werden wir den Klub auf den Weg unserer Träume führen können." Der Traum von der ersten Meisterschaft seit 1985 aber scheint nach dem Skandal ausgeträumt zu sein. Savvidis droht ein Stadionverbot zwischen drei und fünf Jahren, PAOK drohen Geldstrafen und Punktabzug, sogar der Zwangsabstieg steht im Raum. Lubos Michel, ein ehemaliger Fifa-Schiedsrichter aus der Slowakei und derzeit Technischer Direktor von PAOK, wurde Anfang der Woche in russischen Medien so zitiert: PAOK befinde sich "im Krieg" mit Athen.

Nach Ansicht vieler Kommentatoren spiegelt sich im Fußball der sich immer mehr zuspitzende Nord-Süd-Konflikt im Land wider. Zwei unterschiedliche Lesarten bestimmen die Debatte: Die eine besagt, dass die Athener und ihre Spitzenklubs sich auf Kosten von PAOK und Saloniki die Macht sichern. Eine andere vermittelt den Eindruck, PAOK und Saloniki wollten sich durch gute Verbindungen zur Regierung den Erfolg kaufen. Die Regierung weist derlei Vorwürfe entschieden zurück, eine Debatte im Parlament zum Thema wurde erhitzt geführt. Viele Beobachter glauben, eine harte Bestrafung von PAOK könne den Riss im Land verschärfen.

Für die Fans von PAOK bleibt Savvidis, der nach dem Eklat in seine russische Heimat reiste, weiter ein Held. Eigentlich sollte am Freitag erstmals nach 23 Jahren wieder ein Länderspiel in Saloniki stattfinden. Nach dem Eklat wurde die Partie nach Athen verlegt, und kaum jemand kam. Vielleicht gelingt es der Nationalmannschaft ja am Dienstag ausnahmsweise mal, wieder positive Schlagzeilen zu schreiben. Der Test gegen Ägypten findet in Zürich statt.

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