Golf:Weißer Rauch über Augusta

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"Das Masters ist mir sehr wichtig. Ich will hier sein": Tiger Woods. (Foto: Timothy A. Clary/AFP)

Tiger Woods wagt zehn Jahre nach seinem Titel beim Masters die Rückkehr - Favoriten in Augusta sind jedoch andere.

Von Gerald Kleffmann, Augusta/München

Sonntag in Augusta, Georgia, USA. Die Sonne strahlt. Tiger Woods steht am Rand des 16. Grüns. Er blickt nach links, nach rechts. Tausende Zuschauer harren hinter ihm aus, still wie in der Kirche. Vögel zwitschern und scheren sich wenig darum, dass einer der größten Golfer dieses traditionsreichen Sports zum Schlag ansetzt. Woods chippt den Ball mit einem Wedge, der für kurze Distanzen perfekt ist. Der Ball fliegt ein paar Meter, nur überhaupt nicht in die Richtung des Loches. Ein Fehlschlag?

Der Ball rollt in den Gegenhang. Macht kehrt. Rollt zurück. "Here it comes", sagt TV-Kommentator Verne Lundquist ruhig. Bald brüllt er, fassungslos: "Um Gottes willen!" Der Ball stoppt an der Lochkante. Verharrt. Fast eine Sekunde. Fällt. "Oh, wow! Hat man so was jemals im Leben gesehen!" Die Masse tobt. Tiger Woods, ja, er hat erneut zelebriert, wozu er fähig ist.

Was war das für ein Ereignis, an diesem 10. April 2005, als einer der spektakulärsten Schläge in der Geschichte des Masters glückte. Woods, 39, begeht somit nun ein doppeltes Jubiläum. Zehn Jahre nach seinem Kunststück und seinem letzten Titel beim Masters wird er wieder in Augusta spielen - es wird zudem seine 20. Teilnahme sein. Wozu er fähig ist? Diese Frage stellen sich erneut sehr viele. Jedoch, so hat sich die Geschichte von Woods entwickelt, ist die Frage völlig anders gemeint. Nach den Ereignissen der vergangenen Monate lautet die einhellige Expertise ja jetzt: Ab Donnerstag tritt der wohl schlechteste Woods beim Masters an, den es dort je gab.

Als Woods 2010 in Folge diverser Seitensprünge sein Saubermann-Image verlor und privat die Scheidung mit der damaligen Gattin hinnehmen musste, büßte er erstmals spielerisch an Dominanz ein. Zwar stieg er zwischenzeitlich wieder zur Nummer eins der Weltrangliste auf. Doch in seiner Welt zählen nur Major-Triumphe und die Jagd auf Rekordhalter Jack Nicklaus (18 große Titel). 2008 gewann er sein letztes Major, die US Open, bei 14 Titeln ist Woods' Bilanz eingefroren. Konstant hohes Niveau konnte er in den vergangenen Jahren nie mehr wie einst garantieren, auch, weil ihn mehr denn je Verletzungen plagten. Und so begann ein Kreislauf. Er versuchte, fit zu werden, versuchte, mit neuen Coaches einen verlässlich präzisen Schwung zu kreieren, versuchte, wieder die Aura des Unbesiegbaren zu erlangen.

Ben Crane, einer der Spaßmacher auf der US Tour, veröffentlichte nun ein Foto von sich beim Üben in Augusta, im Hintergrund ist Woods zu sehen. "Tiger beim Versuch, ins Fernsehen zu kommen, indem er sich hinter meinen Schwung schleicht", kommentierte Crane. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich früher jemand derart über Woods belustigt hätte, war praktisch nicht gegeben. Die Zeiten haben sich geändert, und es ist eine Ironie des Schicksals, dass er, der 683 Wochen lang die Nummer eins war, nun als 111. im Ranking geführt wird.

Woods' Ergebnisse sind, gemessen an seinen Ansprüchen, seit langem ein Fiasko. 2014 nahm er, auch wegen körperlicher Beschwerden (u.a. Bandscheiben-OP), nur an sieben Turnieren teil, von denen er zwei nicht beendete. Sein bester Rang war der 25. Platz. In diesem Jahr spielte er 47 Löcher: In Phoenix verpasste er die zwei Schlussrunden, in Torrey Pines gab er nach elf Bahnen auf. Das Turnier des von ihm verehrten Veteranen Arnold Palmer ließ er aus und verkündete, er werde erst zurückkehren, "wenn mein Spiel auf höchstem Level wettbewerbsfähig ist". Dass sich die Branche besorgt darüber ausließ, er leide an diesem ominösen Muskelzucken namens Yips, das Golfern das Schwingen und Schlagen verleidet, war sicherlich auch bis zu ihm vorgedrungen. Woods, der sich selten öffentlich äußert, liest ja die Presse. Im Dezember etwa hatte er sich sehr über ein fiktives Interview mit ihm, das als Satire gedacht war, aufgeregt. Zu allem Überfluss verlor Woods im Januar dann auch noch einen Zahn, als er seiner Freundin Lindsey Vonn beim Ski-Weltcup in Cortina d'Ampezzo zusah, ein Kameramann hatte beim Aufstehen Woods übersehen. Seine Aura gleicht zunehmend der eines Pechvogels.

Eine einzigartige Position nimmt der erste Sportmilliardär indes noch ein. Als er bekannt gab, er werde in Augusta spielen, waren die Reaktionen so, als sei weißer Rauch aufgestiegen. "Beste Show auf Erden wird noch besser", schrieb Ian Poulter, bekanntermaßen nicht der beste Freund von Woods, im Internet. Seitdem sich der nach wie vor durchtrainierte Kalifornier mit Wohnsitz Florida auf der piekfeinen Anlage aufhält, wird sein Tagwerk fast wie in einem Live-Ticker festgehalten. Am Montagnachmittag betrat er etwa um 15.25 Uhr die Übungsanlage, die practice range. Er trug dabei Ohrenstöpsel (die Poulter mal vor Jahren nicht tragen durfte), hörte Musik. Er grüßte die Profis Mike Weir und Darren Clarke, mit Caddy Joe LaCava stets im Schlepptau. Ach, und neue Golfschuhe trägt Woods nun, mit Spikes, also Stiften unter der Sohle, die er bis 2011 verwendete. "TW '11" heißt das Modell und soll besser zu seinem modifizierten Schwung passen, den er mit dem aktuellen Trainer Chris Como ausgearbeitet hat.

Seine Übungsrunden bestritt Woods mit dem langjährigen Mentor Mark O'Meara und Jeff Knox, einem Spitzenamateur des Augusta National Golf Club. Das kurze Spiel von Woods soll zwar immer noch nicht prickelnd sein, aber erleichtert berichten US-Medien: Woods hat sich nicht blamiert. Wozu er fähig ist? Vier Mal siegte er in Augusta, der Kurs liegt ihm, auch, weil Woods den Draw, die Rechts-Links-Kurve mit dem Ball, bevorzugt. 13 Top-Ten-Ergebnisse seit 1995 sprechen für sich. Allerdings, bei den Wettquoten rangiert er weit hinten, Titelverteidiger Bubba Watson und Jordan Spieth, einer aus der neuen Generation, sind die Favoriten. "Das Masters ist mir sehr wichtig", teilte Woods noch mit, "ich will hier sein." Er sucht eben auch eine Antwort auf jene Frage, die sich zehn Jahre nach seinem berühmten Chip so viele stellen.

© SZ vom 08.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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